Zum 100. Geburtstag: Papst Johannes Paul II. im Nahen Osten

Die päpstliche Reiseroute ins Heilige Land setzt Akzente

Papst Johannes Paul II (Bild: gemeinfrei)

Papst Johannes Paul II (Bild: gemeinfrei)

Ganz bewusst startete die Reise von Papst Johannes Paul II. von Rom aus gesehen jenseits des Jordans: Er landete im jordanischen Amman, traf dort Würdenträger aus Politik, Religionen und Konfessionen. Die politische Situation gestattete nicht, dass Papst Johannes Paul II. auf dem Landweg den Jordan überquerte: Stattdessen landete die Alitalia-Sondermaschine in Tel Aviv. Von dort fuhr der Papst am 21. März 2000 rund 70 km nach Osten in die palästinensischen Autonomiegebiete, nach Bethlehem – zunächst ohne Stopp in Jerusalem.

Menschenwürde und Solidarität: in Palästina

Bereits bei der Ankunft in der Geburtsstadt Jesu versuchte PLO-Chef Yassir Arafat, den Papst und dessen Reise für eine politische Option in der Jerusalemfrage zu nutzen: Arafat änderte kurzerhand den vorgesehenen und abgestimmten Redetext und sprach nun von „Jerusalem als der ewigen Hauptstadt der Palästinenser“. „Das palästinensische Volk schätzt,“ so fasste Arafat dann seine Sicht zusammen, „Ihre gerechte Haltung in der Unterstützung unserer Angelegenheiten und der rechtmäßigen Heimat als souveränes und unabhängiges Volk.“ Arafat würdigte den Papst als „Mann von Wort und Tat, der immer zu Brüderlichkeit unter den Völkern und gegenseitigem Respekt der Anhänger der drei monotheistischen Religionen aufruft.“

Der PLO-Chef wagte dann einen vorsichtigen Spagat: Zwar erwähnte er häufiger das palästinensische Volk, sprach aber ebenso von den Völkern, womit er auch Israel meinte, ohne explizit den Namen zu nennen. Der jüngste Grundlagenvertrag hatte ihm den Rücken gestärkt, sodass auch palästinensische Kirchenführer kaum mit ihrer zuvor geäußerten Kritik – besonders hinsichtlich der Menschenrechte und der Diskriminierung einzelner Christen – zu hören waren. Denn alle stimmten überein, dass es bei der Reise des Papstes um den Frieden gehe, den auch Arafat anmahnte: „Das Heilige Land harrt noch immer der Erlösung von den Desastern des Kriegs, der Konflikte, von Besatzung und Aggression.“

Grabeskirche (Flickr, gemeinfrei)

Klar war von vorneherein: Der Schlüssel für die Lösung des Konfliktes lag für Papst Johannes Paul II. in Bethlehem, wo sich die Heilsbotschaft erfüllt habe. „Deshalb wenden sich die Menschen diesem einzigartigen Flecken der Erde mit einer Hoffnung zu, die alle Konflikte und Schwierigkeiten übersteigt … Bethlehem ist eine Welt-Wegkreuzung, wo alle Völker einander begegnen können, um miteinander eine unserer Menschenwürde und Bestimmung würdige Welt aufzubauen“, so der Papst. Als es um den Frieden ging, schlug er deutliche, politische Töne an: „Friede für das palästinensische Volk! Friede für alle Völker der Region! Niemand kann unbeachtet lassen, wie sehr das palästinensische Volk in den letzten Jahrzehnten zu leiden hatte. Euer Leiden steht vor den Augen der Welt. Und es hat allzu lange angedauert.“ Allein mit dieser Botschaft zeigte sich Papst Johannes Paul II. einmal mehr auch auf dieser Reise als taktischer Politiker, denn die Forderung nach Frieden kann kaum unabhängig von der Politik gesehen werden.

So hob er auch die Grundlinien der Nahostpolitik der vergangenen Jahrzehnte hervor: „Der Heilige Stuhl hat immer anerkannt, dass das palästinensische Volk ein natürliches Recht auf ein Heimatland besitzt und das Recht, in Frieden und Ruhe mit den anderen Völkern dieses Gebiets leben zu können.“

Im weiteren Verlauf des durchaus ersten heiklen Besuchstages mischte der Papst – wie gerne bei seinen Redekompositionen – Politik und Spiritualität. Wie einst bei seiner ersten Polenreise als er der Solidarność-Bewegung das Wort des Evangelisten Lukas „Fürchtet euch nicht!“ zurief, galt diese Ermutigung nun auch der palästinensischen Bevölkerung. Seine anschließende Frage bewegt bis heute Generationen von Christen und Muslimen in Bethlehem: „Bethlehem ist ein Ort, der das Joch und den Stock der Unterdrückung gekannt hat. Wie oft war der Schrei der Unschuldigen in diesen Straßen zu hören?“

Anders als andere Staatsoberhäupter bestand Papst Johannes Paul II. darauf, auch ein Flüchtlingslager in den Autonomiegebieten zu besuchen. So weitete er den politischen Bereich aus und hob im Flüchtlingslager Dheisheh die kirchliche Solidarität mit den Armen hervor. Während der Papst die personale Komponente des Flüchtlingselends betonte, griffen Redner aus dem Umfeld Arafats scharf das UN-Embargo an. Davon ließ sich der Papst jedoch nicht beirren und sagte: „Ich hoffe, dass mein Besuch euch in der schwierigen Situation etwas Trost bringen kann. So Gott will, wird er auch dazu dienen, die Aufmerksamkeit auf euer andauerndes Elend zu lenken. Euch werden viele Dinge vorenthalten … Vor allem aber lebt ihr in der traurigen Erinnerung an das, was ihr gezwungenermaßen zurückgelassen habt, nicht nur materiellen Besitz, sondern eure Freiheit.“ Es bedürfe durchsetzungsfähiger Anstrengungen der Spitzenpolitiker im Nahen Osten, so der Papst, um die erniedrigenden Bedingungen zu bewältigen. „Ihr dürft eure Würde als Kinder Gottes nicht vergessen“ war der eindringliche päpstliche Appell. Auch wenn der Besuch von Papst Johannes Paul II. in den Autonomiegebieten keine Anerkennung des noch nicht ausgerufenen Palästinenserstaates war, kann dieser wohl als Höhepunkt der Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und der PLO bewertet werden.

Mea culpa in Nahost: Besuch von Yad Vashem und der Westmauer

Blick auf Jerusalem (Bild: M. Kopp)

Nach Jordanien und Palästina war Israel die dritte und politisch entscheidende Etappe der Reise von Papst Johannes Paul II. Ausdrücklich würdigte er die Entwicklung der Beziehungen zwischen dem Vatikan und Israel seit der Pilgerreise Papst Pauls VI. im Jahr 1964. Gezielt verwendete er in seinen Reden die unter ihm eingeführte Formulierung „Staat Israel“. Außerdem würdigte der Papst Staatspräsident Ezer Weizmann als „Friedensstifter“, der seinerseits gegenüber dem Gast aus Rom betonte, dass er 30 Jahre im Krieg für Israel gekämpft habe und seit 20 Jahren für den Frieden des Landes eintrete. Und den Frieden forderte der Papst und beschränkte sich nicht ausschließlich auf Israel, sondern nannte mehrfach die ganze Region. Weizmann nutzte im Gegenzug die Gelegenheit, Problemfelder der Nachbarn anzudeuten: „Der Frieden wird kommen. Wir haben Übereinkommen mit den Palästinensern erreicht … Die große Wunde ist der Libanon und es ist offensichtlich, dass der Schlüssel zum Libanon in Damaskus liegt.“

Bei den offiziellen Reden verband Papst Johannes Paul II. geschickt die politische mit der religiösen Dimension, die in Israel nicht voneinander zu trennen sind. Es sei unabdingbar, so der Papst, dass Christen und Juden mit neu gefundener Offenheit füreinander „mutige Anstrengungen notwendig sind …, um alle Formen von Vorurteilen zu beseitigen. Wir müssen immer und überall danach trachten, das wahre Antlitz der Juden und des Judaismus wie auch der Christen und des Christentums zu zeigen“. Weizmann würdigte den Einsatz des Papstes: „Wir anerkennen Ihren Beitrag, Antisemitismus als Sünde gegen Gott und die Menschheit zu bezeichnen und die Bitte um Vergebung durch Vertreter der Kirche gegenüber den Juden.“

Die Begegnungen mit der israelischen Politik machten gleichzeitig deutlich, was auch beim Besuch in den Autonomiegebieten Tenor war: dass die israelische Seite zum einen bemüht war, sich als Exempel praktizierter Religionsfreiheit im Nahen Osten darzustellen, was – so Weizmann – durch den freien Zugang zu den heiligen Stätten allen Menschen ermöglicht werde.

Premierminister Ehud Barak sicherte zu, dass der israelische Staat Rechte und Eigentum der katholischen Kirche schützen werde und sprach so indirekt auf die vertraglichen Verpflichtungen von zwei Abkommen mit dem Heiligen Stuhl von 1993 und 1997 an. Zum anderen nutzten die politischen Vertreter Israels die Situation, um den Status von Jerusalem – auch mit Blick auf einen, seit Anfang des Jahres 2000 bestehenden Vertrag zwischen dem Vatikan und der PLO – hervorzuheben. So betonte der Präsident während der Ankunft des Papstes: „Sie kommen nach Jerusalem, der Stadt des Friedens, der Hauptstadt Israels, dem Herz der jüdischen Welt, die ebenso heilig dem Islam und den Christen ist.“ Deutlich wurde in den Ansprachen Weizmanns und Baraks der politische Alleinvertretungsanspruch, den sie mit der religiösen Dimension verbanden. Diplomatisch vermied es der Papst, die Position des Heiligen Stuhls zu benennen, nach der Jerusalem die Hauptstadt von Israelis und Palästinensern sein könnte. Auch verzichtete er, das international garantierte Statut für Jerusalem konkret zu fordern und hob mit taktischer Rücksicht auf die Gastgeber den universalen und einzigartigen Charakter der Stadt hervor.

Entsprechend delikat war der letzte Besuchstag der Reise, denn dieser führte auf den Jerusalemer Tempelberg und an die jüdische Westmauer. Um Eskalationen zu vermeiden, hatte das Religionsministerium angeordnet, beim Hissen der palästinensischen Flagge vor der Al-Aksa-Moschee nicht einzuschreiten. Die Anwesenheit mehrerer hochrangiger PLO-Politiker bei der Begrüßung des Papstes durch den Großmufti von Jerusalem, Scheich Ikrima Sabri, zeigte die Brisanz. Diese griff Minister Rabbi Michael Melchior in einer überraschend politischen Rede auf, in der er zunächst von der Rückkehr der Juden in ihr Heimatland und ihre Hauptstadt Jerusalem sprach. Der entscheidende Punkt – wenn auch von einem Minister, der in der israelischen Bevölkerung weder bekannt noch beliebt ist – war ein Zugeständnis: „Ab heute verpflichten wir uns, die Manipulation der Heiligkeit Jerusalems für politische Zwecke zu beenden. Jerusalem muss Hass, Kampf und Blutvergießen verwerfen, sie muss wieder eine Stadt des Friedens und eine Quelle der Heiligkeit werden.“

Die Auswirkungen dieses Satzes waren kaum zu überblicken – heute ist dessen Realisierung weiter entfernt denn je. Erneut wurde bei dieser Äußerung offensichtlich, wie eng die Begriffe von Politik und Heiligkeit mit einem religiös motivierten Anspruch verbunden werden, sodass jede weitere Interpretation beliebig ausgelegt werden kann. Die Wirklichkeit bis in unsere Tage hinein hat gezeigt, dass die Forderung Melchiors, Jerusalem nicht mehr zu politischen Zwecken zu „missbrauchen“, Makulatur geblieben ist.

Dass Papst Johannes Paul II. den jüdischen und islamischen Heiligtümern mit seinem Besuch die Ehre erwies, zeugte nicht nur von seinem weit gefassten Verständnis des interreligiösen Dialogs, sondern mindestens ebenso von seinem Wunsch, allen politischen Seiten auf heiklem Terrain entgegenzukommen.

Gedenkstätte Yad Vasehm (Bild: gemeinfrei)

Dies unterstrich der Papst insbesondere dann mit seinem Gang zur Gedenkstätte Yad Vashem: Hier vollendete er den Wunsch nach einer umfänglichen Aussöhnung mit dem Judentum, den sein gesamtes Pontifikat prägte.

Für manche waren seine Worte an diesem Ort zu wenig, für andere zu viel. „Ein Besuch in Passform, der – im positiven Sinne des Wortes – unvermeidbar war“, kommentierten Berater des Papstes den historischen Moment, der für Papst Johannes Paul mehrere Ziele hatte: „Ich bin nach Yad Vashem gekommen, um den Millionen Juden die Ehre zu erweisen, denen alles genommen wurde, besonders ihre Würde als Menschen … Wir möchten uns erinnern … nämlich um zu gewährleisten, dass das Böse nie mehr Überhand gewinnen wird …“ In ihrem Verhältnis zum Judentum möchte die katholische Kirche – so seine Botschaft – eine aktive Rolle spielen. Der Papst führte die Vergebungsbitte, die er am ersten Fastensonntag des Jahres 2000 – bewusst im Heiligen Jahr – gesprochen und um Vergebung gebeten hatte, um Nuancen fort: „Als Bischof von Rom und Nachfolger des Apostels Petrus versichere ich dem jüdischen Volk, dass die katholische Kirche … zutiefst betrübt ist über den Hass, die Taten von Verfolgungen und die anti-semitischen Ausschreitungen von Christen gegen die Juden, zu welcher Zeit und an welchem Ort auch immer. Die Kirche verwirft jede Form von Rassismus …“ Diese Aussage ist der Zenit in der Annäherung eines über Jahrhunderte schwierigen Verhältnisses, so wie es Premierminister Barak in Yad Vashem zusammenfasste: „Sie haben mehr als jeder andere dazu beigetragen, den historischen Wechsel in der Haltung der Kirche gegenüber den Juden umzusetzen, der vom guten Papst Johannes XXIII. initiiert worden war … Ihr Kommen ist der Höhepunkt des historischen Prozesses der Heilung … Die Flagge der Brüderlichkeit ist von Ihnen auf Vollmast gesetzt.“

Selbstbestimmung und Ökumene: Ermutigung der katholischen Gemeinden

Obwohl Papst Johannes Paul II. keine Gelegenheit ausließ, die Ortsgemeinden zu ermutigen und zu stärken, sei es in den Palästinensergebieten, sei es in Israel, fehlt in vielen Analysen der Wert der Papstreise für die katholischen Gemeinden.

Brotvermehrungskirche (Bild: gemeinfrei)

Bei einer Messe mit über 100.000 Gläubigen in Korazym am See Genezareth ging es dem Papst darum, Ungerechtigkeit und Leid in der Region zu verurteilen. 1200 Priester und 100 Bischöfe konzelebrierten beim Gottesdienst – allein diese Bilder zeigten, wie stark die katholischen Gemeinden mit ihren internationalen Gästen aus aller Welt im Heiligen Land präsent sind. Die „Brotvermehrungskirche“ in Tabgha, die Primatskapelle und Kapernaum waren weitere Stationen am See Genezareth, die der Papst als Pilger besuchte. In Nazareth erinnerte er – als er die Ergebnisse der Heilig-Land-Synode der katholischen Kirche erhielt – an den Besuch seines Vorvorgängers Paul VI. im Jahr 1964 im Heiligen Land. Tatsächlich war die Reise von Papst Johannes Paul II. zu den katholischen Gemeinden im

See Genezareth (Bild: gemeinfrei)

Heiligen Land der sichtbarste Ausdruck jener Solidarität, von der die Kirche heute noch lebt. Die inmitten des hoffungsvollen Friedensprozesses angestoßene Synode fand ihren Höhepunkt in der Begegnung mit dem Papst. So gewann der synodale Prozess einen weiteren Schub durch diese Reise des Papstes, der die Ortskirche aufforderte, die Ergebnisse handlungsorientiert für die Zukunft umzusetzen.

Untersucht man die zahlreichen Ansprachen des Papstes ist durchaus zu fragen, ob dort eine Rezeption der palästinensischen Theologie zu finden ist: Tatsächlich hat das Kirchenoberhaupt im Heiligen Land im Jahr 2000 die historischen Wurzeln des israelisch-palästinensischen Konflikts, die Ursachen von Leid und Ungerechtigkeit, die Notwendigkeit zweier freier Völker, den Dialog zwischen den Religionen und den Völkern im Heiligen Land aber auch das Gespräch zwischen den Christen des Ostens und des Westens betont. Es sind jene Kriterien, die bis heute eine palästinensische Theologie ausmachen; von dieser schien Papst Johannes Paul II. deutlicher inspiriert gewesen zu sein, als bisher angenommen wurde.

Trialog in Nahost: Religionen für den Frieden

Den Aspekt der Brüderlichkeit wendete Papst Johannes Paul II. bei dieser Reise auch auf das Verhältnis der drei monotheistischen Religionen untereinander an. Im Heiligen Land müsse es eine neue Ära des Verstehens und der Kooperation geben: „Meine Reise ist ein Tribut an die drei Religionstraditionen, die in diesem Land koexistieren“, lautete sein zusammengefasstes Reiseziel. Dabei ging es ihm – wie bei Ansprachen im interreligiösen Bereich üblich – um das Aufzeigen von Gemeinsamkeiten. Politische Töne wurden vermieden, dafür die spirituelle Bedeutung Jerusalems umso deutlicher für alle drei Religionen hervorgehoben: „Vielleicht vermittelt keine andere Stätte der Welt diesen Sinn von Transzendenz und der göttlichen Auserwählung, die wir in den Steinen und Monumenten dieser Stadt erkennen, sowie im Zeugnis der drei Religionen, die innerhalb ihrer Mauern Seite an Seite leben.“ Gezielt bezeichnete Papst Johannes Paul II. Jerusalem als „Stadt des Friedens für alle Völker“, bevor er die gleichnamige Passage aus dem Propheten Jesaja zitierte und so ein weiteres Mal indirekt die politische Haltung des Vatikans verdeutlichte.

Das interreligiöse Treffen eskalierte dann zwar – wenn auch in den Medien zu hoch gespielt – durch die scharfen politischen Worte des islamischen Vertreters: Denn Scheich Tayseer al-Tamimi verließ das Treffen vor dem symbolischen Pflanzen eines Ölbaums. Diese Szene hielt der Reise des Papstes einen Spiegel vor Augen: Im Dialog zwischen Christentum (hier der katholischen Kirche) und dem Islam bzw. dem Judentum sind jeweils gute Fortschritte gemacht worden – aber es liegt noch ein längerer Weg bevor. Die katholische Kirche spricht daher nicht mehr im Dialog, sondern im Trialog.

Vor diesem Hintergrund wird es eine bleibende Aufgabe sein, dem stockenden Dialog von Islam und Judentum im Heiligen Land neue Impulse zu verleihen. Die interreligiösen Treffen haben gezeigt, warum der Papst nicht nur als Pilger kam, sondern eine politische Gratwanderung vollziehen musste, als er feststellte: „Religion ist keine Entschuldigung für Gewalt und darf auch nicht dazu werden, besonders wenn sich religiöse Identität mit kultureller und ethnischer Identität deckt. Religion und Frieden gehen Hand in Hand.“ Religion, Politik und Friedensarbeit sind immer ein Stück politische Arbeit und sind nicht voneinander zu trennen.

Grabeskirche (Bild: B. Werner)

Diese Verantwortung rief Papst Johannes Paul II. auch bei den ökumenischen Begegnungen ins Gewissen – ohne an diese allerdings zu hohe Erwartungen zu stellen. Denn einzigartig war – nach Jahrhunderten der Trennung – der Bruderkuss von Papst Paul VI. mit dem griechisch-orthodoxen Oberhaupt Athenagoras in Jerusalem im Jahr 1964. Positiv war bei dieser Reise von Papst Johannes Paul II, dass an den meisten Gottesdiensten orthodoxe Vertreter teilnahmen, insbesondere zum Abschluss in der Grabeskirche. Diese Feier, die den sonst für die lateinische Kirche durch den gegebenen Status quo eng begrenzten Zeitrahmen sprengte, war ein ganz besonderes Zeichen.

Der Papst ging im Jahr 2000 so weit, den von der Ostkirche gerne gegenüber Rom in Erinnerung gerufenen Johannes von Damaskus zu zitieren und sprach von der Grabeskirche als der „Mutter aller Kirchen“. Bereits am Vortag hatte der griechisch-orthodoxe Patriarch von Jerusalem, Diodoros I., beim ökumenischen Treffen an die „Heilige Kirche von Jerusalem als Mutter aller Kirchen“ erinnert. Papst Johannes Paul II. rief zur Überwindung der Fehler aus der Vergangenheit auf: „In den Jahren haben wir erfahren, dass sich der Weg zur Einheit als schwierig erweist. Das sollte uns jedoch nicht entmutigen.“ Es gebe eine legitime Verschiedenartigkeit der Konfessionen, die aber nicht im Widerspruch zur Einheit des Leibes Christi stehe. Politische Töne fehlten auch hier nicht, denn die Kirchen – so der Papst – müssten einen neuen Geist der Eintracht und Solidarität untereinander wecken, „um den praktischen Schwierigkeiten, die die Gemeinschaft der Christen in Jerusalem und im Heiligen Land bedrängen, begegnen zu können“. Diodoros versicherte mit Blick auf die Synode der katholischen Kirche, dass sich die Konfessionen des Heiligen Landes der vielschichtigen pastoralen Arbeit des Papstes anschließen werden, wobei die Eigenständigkeit einer jeden Kirche gewahrt bleiben müsse.

Nach der Reise: Was bleibt?

Im Heiligen Land war Papst Johannes Paul II. Grenzgänger an der „Straßenkreuzung von Geschichte und Geographie, wo Religion begann und Zivilisation sich erstmals entwickelte“, wie Jordaniens König Abdallah gegenüber dem Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche, feststellte. Manche päpstliche Äußerung wie auch Versprechen auf Gastgeberseite gilt es auch heute in Erinnerung zu rufen, wenn es im Heiligen Land mit religiöser Toleranz, mit der Ökumene oder der Menschenrechtslage wieder schwieriger wird.

Papst Johannes Paul II. kam vor 20 Jahren als Pilger ins Heilige Land – und ist als solcher gegangen. Aber er ist genauso Politiker gewesen. Spätestens seine Friedensbotschaft für Jerusalem und die Forderung nach einem dauerhaften Frieden in Toleranz und Koexistenz haben gezeigt, dass Politik von Pastoral kaum zu trennen ist. Das gilt besonders dann, wenn die Kirche ihre Option für die Armen – wie bei den palästinensischen Flüchtlingen – ernst nimmt. Papst Johannes Paul II. hatte mit und während der Reise ins Heilige Land erneut Hände gereicht und die beherzte Rolle als Vorkämpfer des interreligiösen Trialogs übernommen, dem sich keiner, wenn er ihn ehrlich meint, entziehen kann.

Gleichzeitig hat die Reise ins Heilige Land – und einige Wochen zuvor nach Ägypten – der langjährigen Politik des Vatikans Rechnung getragen, für das staatlich garantierte Existenzrecht des palästinensischen Volkes einzutreten und die Jerusalemfrage nicht einer einseitigen politischen Option preiszugeben. Gerade deshalb kann der Heilig-Land-Besuch von Papst Johannes Paul II. weder in eine überwiegend palästinenserfreundliche noch in eine pro-israelische Haltung eingeordnet werden. Der Papst ist – völlig zurecht und lange genug durch sein Pontifikat und die langwierige Diplomatie vorbereitet – bei den bisherigen Positionen geblieben und war verständlicherweise bemüht, die eigene Religion und Kirche im ökumenischen Kontext zu stärken. Hinter die Besuche im Nahen Osten kann keine Religionsgeschichte und politische Debatte zurück. Papst Johannes Paul II. hat den Durchbruch der Pilgerfahrt Pauls VI. in mühevoller Arbeit fortgeführt. Die von ihm gereichten Hände wurden angenommen, jedoch nur auf begrenzte Zeit. Denn der schleichende Christenexodus in Nahost findet bis heute kein Ende. Und: Wenige Monate nach dem Besuch des Papstes brach am 28. September 2000 die Al-Aksa-Intifada aus, die das Heilige Land zutiefst erschütterte.

Mit dem Besuch in Jordanien, den Palästinensischen Gebieten und Israel hat Papst Johannes Paul II. ernst gemacht, was er in einem visionären Brief am 29. Juni 1999 grundgelegt hatte. In diesem Brief legte er den Wunsch dar, an die religiösen Stätten der Menschheitsgeschichte zu pilgern. Und er schrieb, was das Ziel solcher Anstrengungen sein müsse: „Die Kirche kann ihre Wurzeln nicht vergessen. Mehr noch: An diese Wurzeln muss sie ständig zurückkehren, um sich in vollkommener Treue an Gottes Plan zu halten.“

18. Mai 2020 || Beitrag von Matthias Kopp, er begleitete im Jahr 2000 Papst Johannes Paul II. ins Heilige Land, ebenso wie 2009 Papst Benedikt XVI. sowie im Jahr 2014 Papst Franziskus. Der Theologe, Archäologe und Journalist ist seit 2009 Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz.

Seit 2001 führten Ferienakademien mit Begegnungen und Hintergrundgespräche unter Leitung von Matthias Kopp und Akademiereferentin Elisabeth Bremekamp auch nach Jordanien, Israel und in die Palästinensischen Autonomiegebiete.

Literaturhinweise:

  • Alle Texte der Heilig-Land-Reise von Papst Johannes Paul II. sind hier veröffentlicht.

  • „Pilgerspagat. Der Papst im Heiligen Land“ ist der Titel des Buches, das Matthias Kopp über die Heilig-Land-Reise von Papst Johannes Paul II. schrieb (LIT-Verlag Münster 2001; im Antiquariat erhältlich).
  • Die Erfahrungen aller Papstreisen ins Heilige Land (1964, 2000, 2009, 2014) und die zentralen Stationen vatikanischer Nahostdiplomatie hat Matthias Kopp im Buch „Franziskus im Heiligen Land. Päpste als Botschafter des Friedens: Paul VI., Johannes Paul II., Benedikt XVI., Franziskus“ veröffentlicht (Verlag Butzon & Bercker 2014).
  • Weitere Informationen zum Leben und Wirken von Papst Johannes Paul II. finden Sie aus Anlass seines 100. Geburtstages hier.