Wo ist eigentlich Matthias Lehnert?

Eigentlich hatte ich geplant, in diesem Jahr weiter auf dem französischen Jakobsweg zu pilgern, auf dem ich 2019 von Belfort bis Dole gepilgert bin. Jetzt wäre ich dann aus der Franche-Comté ins Burgund gekommen, wäre über das Mutterkloster der Zisterzienser – die 1098 von Robert von Molesme in Citeaux gegründete Abtei – vielleicht bis nach Cluny gepilgert. Aber ohne vollen Impfschutz und bei den etwas unsicheren Verhältnissen war mir das Risiko zu groß.

Anders als auf den spanischen Jakobswegen übernachtet man in Frankreich nämlich in der Regel in sogenannten Accueils Jacquaires oder Accueils Pèlerins – also bei Privatpersonen, die Pilger beherbergen. Das macht den Reiz des französischen Jakobspilgerns aus: Nach der Anstrengung des Tages sitzt man mit „Einheimischen“ am Tisch und erfährt bei einem guten Abendessen viel über die Gegend und das Leben in den kleinen Ortschaften, die man als Pilger passiert. Meist sind es ältere Menschen, die Pilger aufnehmen und in den verwaisten Zimmern ihrer längst erwachsenen Kinder unterbringen. Ob angesichts der immer noch recht hohen Inzidenzzahlen schon wieder alle dazu bereit sind, so dass man ein engmaschiges Netz an Übernachtungsmöglichkeiten vorfindet? Das war mir zu unsicher, weshalb ich die Fortsetzung der Pilgerschaft noch einmal um ein Jahr verschiebe.

Stattdessen bin ich nun, wie schon im letzten Jahr, zu einem Kontemplationskurs am Benediktushof aufgebrochen. Der Benediktushof ist ein Zentrum für Meditation und Achtsamkeit, das sich in der alten Benediktinerpropstei von Holzkirchen in Unterfranken befindet. Gegründet wurde das Zentrum von Willigis Jäger (1925 – 2020), einem der Pioniere der Zen-Meditation in Deutschland. Jäger war 1946 in die Benediktinerabtei Münsterschwarzach eingetreten, aber in den 1960er Jahren als Referent für „Mission und Entwicklung“ beim Bund der deutschen katholischen Jugend auf Reisen nach Asien mit dem Zen-Buddhismus in Berührung gekommen. Nachdem er einige Jahre in Japan gelebt und Zen praktiziert hatte, erlangte Willigis Jäger die Befugnis, selbst Zen zu lehren und wurde sogar zum 87. Nachfolger des Buddha erklärt. Es verwundert nicht, dass dies die Glaubenskongregation unter Kardinal Ratzinger auf den Plan rief, die 2001 ein Rede-, Schreib- und Auftrittsverbot gegen Jäger verhängte. Daraufhin legte Jäger das Priesteramt nieder und bat seine Abtei, ihn zu exklausurieren. Bis zu seinem Tod im März 2020 blieb Willigis Jäger aber Mitglied der Klostergemeinschaft Münsterschwarzach, wo er auch vom Abt beerdigt wurde.

Vermutlich war die Verbannung letztlich ein Segen, denn nur so konnte der Benediktushof zu dem werden, was er heute ist: ein Ort, an dem verschiedene spirituelle Praktiken und Wege gelehrt und geübt werden. Mehrere tausend Menschen kommen jedes Jahr hierher, wobei Männer und Frauen aller Altersgruppen vertreten sind. Zum zentralen Angebot gehören Kontemplations- und Zen-Kurse. Daneben kann man aber auch Yoga, Vipassana und diverse Achtsamkeitstechniken trainieren. Alles findet unter einem Dach statt, in einem gemeinsamen örtlichen und zeitlichen Rahmen. Die Teilnehmenden der verschiedenen Kurse kommen zu den Mahlzeiten zusammen, wobei diese üblicherweise im Schweigen eingenommen werden. Die Räume sind schlicht und sparsam möbliert, die Gartenanlagen einfach und ansprechend gestaltet. Es gibt auch einen sehr schönen Garten im japanischen Zen-Stil.

Man könnte den Benediktushof auch als ein geniales Modell einer analogen Plattformökonomie beschreiben: Viele Lehrer teilen sich, ohne selbst beim Benediktushof angestellt zu sein (wobei dies auch einige sind), eine gemeinsame Infrastruktur. Sie brauchen also kein eigenes Tagungshaus zu betreiben, können den Werbe- und Verwaltungsaufwand reduzieren und sich auf die Inhalte konzentrieren. Das funktioniert natürlich nur, da sich alle mit Respekt begegnen und an gewisse Regeln halten.

Nachdem ich schon vor einigen Jahren Zen geübt habe, wollte ich gerne den westlichen Weg der Kontemplation kennenlernen, der bei den Wüstenmönchen der frühen Christenheit seinen Ursprung hat. Die Praxis unterscheidet sich nicht fundamental von der des Zen: In beiden Traditionen spielen die Stille und der Atem eine wichtige Rolle. Bei der Kontemplation kommen aber Texte aus der christlichen Tradition hinzu, aus der Bibel, aber auch von den großen Mystikerinnen und Mystikern wie Meister Eckhart, Johannes Tauler oder Teresa von Avila.

Viel passiert in meinen Tagen auf dem Benediktushof nicht: Der Tag beginnt früh um 6 Uhr mit einigen Körperübungen. Es folgen abwechselnde Sitz- und Gehmeditationen, Vorträge und Einzelgespräche. Und die Arbeit: Alle Teilnehmenden arbeiten nämlich im begrenzten Umfang in der Küche, in den Speisesälen oder im Garten mit. Ganz im Sinne der Regel des heiligen Benedikt: Bete und arbeite!

Es ist gerade diese einfache Gestaltung der Tage, die ich als sehr wohltuend empfinde. Man muss nichts leisten, nichts organisieren, nichts erleben. Die Herausforderung stellt sich erst nach dem Ende des Aufenthaltes: Wie schaffe ich es, das am Benediktushof Erfahrene und Erlebte auch allein in meinen Alltag zu integrieren. Denn weder der Zen- noch der Kontemplationsweg bestehen nur aus solchen Kursen. Beide vollziehen sich im gewöhnlichen Leben. Ich bin gespannt, ob mir das gelingen wird.

Bilder

Der Benediktushof im Sommer 2021. Bild: Matthias Lehnert

Zen-Garten am Benediktushof. Bild: UlrichAAB via Wikimedia commons (CC BY-SA 3.0)

2. August 2021 || ein Beitrag von Akademiereferent Dr. Matthias Lehnert