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Mit Heinrich Heine in den Herbst

Heinrich Heine: Am Himmel Sonne Mond und Stern

aus dem Lyrischen Nachlass

Am Himmel Sonne Mond und Stern
Sie zeugen von der Macht des Herrn
Und schaut des Frommen Aug nach oben
Den Schöpfer wird er preisen, loben.

Ich brauche nicht so hoch zu gaffen,
Auf Erden schon find ich genug
Kunstwerke welche Gott erschaffen
Die würdig der Bewunderung.

Ja, lieben Leute erdenwärts
Senkt sich bescheidentlich mein Blick
Und findet hier das Meisterstück
Der Schöpfung: unser Menschenherz.

Wie herrlich auch der Sonne Pracht
Wie lieblich auch in stiller Nacht
Das Mondenlicht, der Stern Glanz,
Wie stralend der Cometen Schwanz —

Die Himmelslichter allesamt
Sie sind nur eitel Pfennigskerzen
Vergleich ich sie mit jenem Herzen
Das in der Brust des Menschen flammt —

Das ist die Welt in Miniatur,
Hier giebt es Berge, Wald und Flur,
Einöden auch mit wilden Bestjen
Die oft das arme Herz beläst’gen —

Hier stürzen Bäche, rauschen Flüsse,
Hier gähnen Gründe, Felsabschüsse,
Viel bunte Gärten, grüne Rasen
Wo Lämlein oder Esel grasen

Hier giebts Fontainen welche springen
Derweilen arme Nachtigallen
Um schönen Rosen zu gefallen
Sich an den Hals die Schwindsucht singen

Auch an Abwechslung fehlt es nicht
Heut ist das Wetter warm und licht
Doch morgen schon ists herbstlich kalt
Und nebelgrau die Flur, der Wald.

Die Bäume sie entlauben sich,
Die Winde stürmen fürchterlich
Und endlich flockt herab der Schnee
Zu Eis erstarret Fluß und See.

Jetzt aber giebt es Winterspiele
Vermummt erscheinen die Gefühle,
Ergeben sich dem Mummenschanz
Und dem berauschten Maskentanz –

Freylich inmitten dieser Freuden
Beschleicht sie oft geheimes Leiden
Trotz Mummenschanz und Tanzmusik
Sie seufzen nach verlornem Glück —

Da plötzlich kracht’s — erschrecke nicht
Es ist das Eis, das jetzo bricht,
Die Rinde schmilzt, die frostig glatte,
Die unser Herz umschlossen hatte —

Entweichen muß, was kalt und trübe,
Es kehrt zurück, O Herrlichkeit
Der Lenz, die schöne Jahreszeit,
Geweckt vom Zauberstab der Liebe!

Groß ist des Herren Gloria
Hier unten groß wie in der Höh‘.
Ich singe ihm ein Kyrie
Eleison und Halleluja.

Er schuf so schön, er schuf so süß
Das Menschenherze und er bließ
Hinein des eignen Odems Geist,
Des Odems welcher Liebe heißt.

Fort mit der Lyra Griechenlands
Fort mit dem liederlichen Tanz
Der Musen, fort, in frömmern Weisen
Will ich den Herrn der Schöpfung preisen.

Fort mit der Heiden Musika
Davidis frommer Harfenklang
Begleite meinen Lobgesang!
Mein Psalm ertönt: Halleluja!

„Am Himmel Sonne Mond und Stern“

Er war der berühmte junge Meister der kleinen lyrischen Form des „Buchs der Lieder“ von 1827. Doch wurde er schließlich auch der begeisternde Verfasser von Großgedichten, die ihren ganz eigenen Reiz besitzen. Diese 18 vierzeiligen Strophen beispielsweise stammen aus den letzten Lebensmonaten des nicht einmal die sechzig erreicht habenden Dichters am Ende seiner Pariser „Matratzengruft“, wie Heine die acht Jahre währende Leidenszeit bis zum Tode am 17. Februar 1856 nannte. Und sie sind einer der spätesten, gleichzeitig eher untypischen und unbekannten, weil völlig unironisch sich zeigenden Gedichte des Lobgesangs auf die Schöpfung mit ihrem ergreifenden Mittelpunkt, dem menschlichen Herzen, das diese Höhen und Tiefen des Universums auf unvergleichliche Weise abbildet.

Das Gedicht stellt sogar unter den späten lyrischen Texten den viele verwundernden Schlusspunkt dar. Der Religionsspötter aus jüdischem Hause, der sich am Ende des Jurastudiums protestantisch taufen ließ, weil anders keine öffentliche Laufbahn zu betreten war, der aber durchaus Christus zum eigenen „Wahlgotte“ erklärte; dieser Freigeist, dem die Bibel freilich von früh an vertraut und lieb war, wird hier zum souveränen Beter, dem der Lobpreis des ewigen Gottes in fromm-begeisterter Sprache vieler Generationen aus der Seele fließt. Der „Wandermüde“, wie es in den Versen der mittleren Jahren des zum kühnen Grabgedicht aufgestiegenen Gedichts heißt, hat den „Gotteshimmel“ mit dessen uralten Traditionen als weltweites Grabmal eines ewigen Lebens erreicht. Tod, wo ist dein Stachel! Eine Welt ohne Gott erschiene dem deutschen Aufklärer aus der Schule des französischen Spötters Voltaire mit dessen ebenfalls stets präsent bleibenden Existenz eines allmächtigen, verehrungswürdigen Schöpfers, der den Menschen ihre positiven Möglichkeiten erst schafft und gewährleistet, eine unmenschliche, lieblose Erde ohne Sinn und Hoffnung. Die Kritik freilich trifft kühn und vehement die jeweiligen Systeme, die sich des Herrn der Geschichte zu bemächtigen versucht haben und die durch ihre zur Gefolgschaft verführende Koppelung von „Thron und Altar“ das Volk meint durch den Glauben als „Opium“ einfacher beherrschen und entmündigen zu können.

Heine liebte das Leben in seiner Größe und mit all seinem Leiden bis zuletzt. Er kannte sich dabei aus und sah sich stets als „kranksten“ von allen. Dabei übernahm er schließlich die Rolle des armen „Lazarus“ aus der Beispielerzählung Jesu, zugleich aber auch die des Jesus-Freundes dieses Namens, der „auferweckt“ wurde. Das Leben ist gewaltig und reich – dessen „Kunstwerke“ begegnen uns täglich; denn „das Meisterstück“ der „Schöpfung“ heißt schlicht und einfach: „unser Menschenherz“. Diese „Welt in Miniatur“ ist der nicht nur metaphorische, sondern reale und einzig erlebbare Mittelpunkt, das Herz erlebt sämtliche Jahreszeiten, so natürlich auch den Herbst. Und das Herz singt überwältigt in der Sprache Davids. Was könnte angesichts des stets als skeptisches und kritisches „Rätsel“ zu betrachtenden Dichters berührender und gleichzeitig anmutig-bewegender sein als sein dergestalter „Psalm“ mit seinem allerletzten Ruf: „Halleluja!“ Nicht die Verzweiflung hat obsiegt, sondern „Harfenklang“ und „Lobgesang“. Wohl uns, wenn wir uns davon sogar ein wenig anregen lassen mögen.

Prof. Dr. Joseph A. Kruse und Frau Dr. Sabine Brenner-Wilczek, Direktorin des Heinrich-Heine-Instituts Düsseldorf, leiten die Tagung „Heines wehrhafte Poesie“ vom 12. bis 13. November in der Thomas-Morus-Akademie Bensberg. Die Tagung begleitet durch Heines Biografie als Reiseschriftsteller und „erster“ Feuilletonist, als steckbrieflich gesuchter Exilant in Paris und als bettlägeriger Kranker in den letzten Jahren, um zugleich die inhaltlichen und formalen Schwerpunkte seines „offensiven“ Œuvres herauszuarbeiten.

Herzliche Einladung!

1. September 2022 || ein Beitrag von Prof. Dr. Joseph A. Kruse, Berlin, Heine-Biograph und bis 2016 1. Vorsitzender der Heinrich-Heine-Gesellschaft