Auf ein Wort mit… Thomas Quartier osb

Der Benediktinermönch Thomas Quartier hat eine CD mit mit dem Titel „Ein Spalt noch offen“ aufgenommen. In seinen Kompositionen lässt er sich vom amerikanischen Musiker und Literaturnobelpreisträger Bob Dylan anregen. Quartier schreibt eigene Lieder und Texte, in denen er für Dylans Kompositionen aus dem kontemplativen Raum des Klosters einen Resonanzkörper schafft.

Wie kommt ein deutscher Benediktiner dazu, sich intensiv mit einem amerikanischen Rock-Poeten zu befassen, ja, ihm sogar mit eigenen Kompositionen gewissermaßen zu antworten?

In meiner Jugend hat Dylan mich immer fasziniert. Vor allem seine spröde Andersheit war es, die mir in einem kleinen Dorf am Niederrhein, in dem meine Ideen zu jener Zeit kaum Resonanz fanden, aus der Seele sprach. Dylan traute sich, sein Leben in all seinen Wendungen in seine Musik und seine Texte zu integrieren. Er wurde quasi zu einem Gesamtkunstwerk.

Als ich dann ins Kloster eintrat, dachte ich, dass der Soundtrack meines weiteren Lebens quasi festgelegt sei. Ich würde fortan nur noch gregorianischen Choral singen, auch das Stundengebet in der Muttersprache. Doch Dylans existenziell kreative Lebensweise hat mich dann irgendwann wieder aufhorchen lassen. Die Einsicht wuchs, dass es viele Parallelen zum Mönchsleben gibt, auch wenn das auf den ersten Blick kaum so scheint.

Nach beinahe zwanzig Jahren habe ich meine alte Gitarre, die auf dem Speicher unserer Abtei lag, wieder aus dem Koffer geholt. Zunächst für mich selber. Ich hatte ja immer Musik gemacht, in Bands oder als Straßenmusiker, um mein Studium zu finanzieren. Nun entstanden wieder eigene Lieder, die ich als Mönch schrieb und sang, die dann aber doch auch in der Tradition eines Singer-Songwriters wie Dylan standen. Keine Kopien, sondern Resonanzen.

Meine Mitbrüder und mein niederländischer Verleger haben mich ermutigt, die Lieder zu teilen. Wir haben sie auf CD aufgenommen, und ich freue mich sehr darüber, sie jetzt, nach einer langen Corona-Durststrecke, auch wieder live darbieten zu können.

Bob Dylan wurde 1941 als Robert Zimmerman geboren und hat sich während der bald 60 Jahre seines Schaffens immer wieder neu erfunden. Seit über 30 Jahren reist er auf seiner Never Ending Tour pausenlos um die Welt. Sie haben sich dagegen bei der Profess für eine klar geordnete Lebensform entschieden und stabilitas loci, die Beständigkeit des Ortes, gelobt. Finden Sie bei Dylan das, was Sie mit dem Eintritt in den Orden aufgeben mussten?

Na ja, man könnte in Dylans schier unendlichen Tourneeleben schon fast wieder eine Art Mobilitas stabilster Art sehen. Aber im Ernst: Stabilität zu geloben ist nur auf einer Eben räumlich zu verstehen. Bei Benedikt ist die Stabilität in der Gemeinschaft mindestens genauso wichtig. Und, so würde ich hinzufügen: Echte Stabilität ist innerlich, eine Frage der Haltung.

Natürlich unterscheidet mein Leben als Mönch sich stark von Dylans „Hobo-Leben“, mit all seinen Wandlungen und Wendungen. Dennoch, ich sehe durchaus monastische Züge in diesem Barden: Es ist, als habe auch er immer mehr den Weg ins eigene Innere angetreten. Er schirmt sich von der Öffentlichkeit ab, spricht wenig, denn alles ist in den Liedern enthalten. Man könnte fast den Eindruck bekommen, dass sein Tourbus seine mobile Klosterzelle ist.

Umgekehrt will ich auch noch hinzufügen: Der Mönch und der Pilger haben viel gemeinsam. Im Lateinischen steht „peregrinus“ auch für Fremder. Das verkörpert Dylan, wobei das Ziel seiner Pilgerreise offen ist. Er ist immer ein Fremder, wo er auch ist – in welcher Stadt, aber auch in welchem Musikstil. Das spricht mich als Mönch sehr an. Und ich muss sagen, dass ich das Ziel meiner eigenen Pilgerreise im Kloster und in der Begegnung mit Studenten und Zuhörern auch nicht wirklich kenne.

Mönchsein hat viel mit Nicht-Wissen und trotzdem weitergehen zu tun. Dylan bereichert also mein Mönchsein, macht es natürlicher. Darum traue ich mich heute nach etlichen Jahren der Suche auch, die Kreativität, die seine Musik und Texte in meiner Mönchszelle wecken, mit anderen zu teilen.

Wie wohl nur wenige Pop-Musiker setzt sich Dylan in seinen Songs mit religiösen Themen auseinander. In vielen seiner Werke finden sich mehr oder minder explizite Verweise auf Bibelstellen. Einige Jahre lang präsentierte sich Dylan seinen irritierten Fans sogar als wiedergeborener Christ. Sind es eher Dylans offensichtlich religiös motivierte Dichtungen, die Sie anregen, oder lassen Sie sich gerade von den nicht explizit religiösen Songs inspirieren?

Für mich sind die christlich inspirierten, predigenden Werke Dylans eine Phase von vielen. Spirituell gesehen sind es nicht die interessantesten Momente. Ich finde zum Beispiel wirklich spannend, wie er in seinen frühen Liedern die alttestamentlichen Propheten zu Wort kommen lässt. In Blowin‘ in the Wind hören wir zum Beispiel Ezechiel – das Volk, das Augen hat, aber nichts sieht, Ohren hat, aber nichts hört. Da macht er Raum für Prophetenstimmen im Kontext des gesellschaftlichen Engagements, ohne zu predigen. Wenn ich heute mit meinen eigenen Liedern dazu einen bescheidenen Beitrag leisten kann, bin ich froh und dankbar.

Ein zweites: In seinem Alterswerk sehen und hören wir mehr als zuvor den gebrochenen Dylan, denjenigen, der zu verzweifeln droht. „Can’t even hear the murmur of a prayer – it’s not dark yet, but it’s getting there”. Als Theologe ist das für mich eine Kontrasterfahrung, die zur Quelle religiöser Inspiration werden kann. So habe ich diese Passage in meinem Lied „Abendlicht“ verarbeitet: „Wenn ich gar nichts mehr singen kann – kein Thema mehr im Sinn – Wenn schon das Lied gesungen ist – werd‘ ich, wer ich schon bin. Und jetzt auch in der späten Stund – ein frühes Endgericht – Der Abend tut die Wahrheit kund – ich seh das Abendlicht“.

Dylans Auftritt beim Eucharistischen Kongress 1997 in Bologna hat der damalige Präfekt der damalige Glaubenskongregation Joseph Ratzinger sehr kritisch kommentiert. In Dylan sah er einen falschen Propheten und Nihilisten. Welche Reaktionen haben Sie für Ihre Konzerte und Ihr Album „Ein Spalt noch offen“ bekommen?

Bis jetzt sind die Reaktionen sehr positiv, weil ich schon glaube, dass Dylan mittlerweile fest im kulturellen Kontext verankert ist. Es ist eine gute Tradition, Kulturschaffende auch in spirituellen Werken widerhallen zu lassen. Auch glaube ich, dass Dylan durch seine enigmatische, ungreifbare Aura einfach gut zum Mönchsein passt und zu demjenigen, was Menschen darin suchen, auch wenn sie außerhalb der Klostermauern leben.

Dylan ist meines Erachtens höchstens in dem Sinne ein Prophet, dass er ständig in Frage stellt, auch sich selbst. Genau das sollte der Mönch tun. Mönche sind „professionelle Gottsuchende“. Benedikt von Nursia hat in seiner Regel dieses Kriterium der Suche in den Mittelpunkt gerückt. Wenn es aber eine Suche ist, dann ist sie auch radikal offen. Sonst wäre es ja keine Suche. Wenn man das artikulieren will, geschieht das immer im Dialog mit Kultur – so war es auch in allen Phasen des Klosterlebens. Ich hoffe, dass die Leute das spüren – die Erfahrungen bis jetzt sind sehr positiv.

Übrigens war die Kritik an Dylans damaligen Auftritt beim Eucharistischen Kongress in den Kreisen der kritischen Kulturschaffenden mindestens genauso scharf wie die Ratzingers. Zum Glück merke ich auch davon bis jetzt wenig, wenn ich auf Singer-Songwriter-Festivals oder in Theatern eingeladen werde. Vielleicht sind wir ja einen Schritt weiter, und haben die Zeiten sich wieder ein bisschen geändert: The times they are a-changin‘.

Sehr geehrter Herr Professor Quartier, wir danken Ihnen für das Gespräch und freuen uns auf das Konzert in Bensberg!

Am Samstag, 20. November 2021, 19 Uhr, wird Bruder Thomas Quartier osb seine Kompositionen bei der spirituellen Konzert-Lesung „Ein Spalt noch offen in der Edith-Stein-Kapelle des Kardinal Schulte Hauses Bensberg präsentieren. Es sind noch Plätze frei. Herzliche Einladung! Anmelden können Sie sich über die Internetseite der Thomas-Morus-Akademie: HIER

Das Gespräch führte Dr. Matthias Lehnert, Akademiereferent

Einmal im Monat erscheint „Auf ein Wort mit…“ und stellt interessante und engagierte Personen vor, mit denen die Akademie auf unterschiedliche Weise verbunden ist. Gesprochen wird über Gott und die Welt, über Kunst und Kultur, über Aktuelles aus Gesellschaft und Kirche ….

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Bilder
Porträtbild: Thomas Quartier, Leuven
Cover der CD „Ein Spalt noch offen“: Thomas Quartier osb, Leuven
Bob Dylan beim Civil Rights March in Washington, D.C. 28. August 1963: Rowland Sherman / U.S. Information Agency. Press and Publications Service via Wikimedia Commons, gemeinfrei

14. November 2021 || ein Gespräch mit Thomas Quartier osb, Benediktinermönch und Professor für Monastische Studien

Thomas Quartier osb, Dr. theol., geb. 1972, Benediktinermönch in der Abtei Keizersberg Leuven; Professor für Monastische Studien an der Katholischen Universität Leuven und Direktor des Benediktinischen Zentrums für Liturgische Studien an der Radboud Universität Nijmegen. Zahlreiche Veröffentlichungen, zuletzt: Rituale leben. Suchbewegungen im Mönchtum (Echter Verlag, 2021)