Das Enneagramm I Im Gespräch mit Enneagramm-Coach Muni Konradi
Lieber Herr Konradi, am 14. September werden Sie im Rahmen der AkademiePlus-Reihe „SpotOn“ über das Enneagramm sprechen. Der Begriff „Enneagramm“ ist sicher nicht jeder und jedem geläufig. Können Sie kurz erläutern, was das Enneagramm überhaupt ist?
Kurz gesagt ist das Enneagramm ein Modell des Kosmos. Man könnte auch sagen, es ist eine Landkarte, in der wir unter anderem unsere psychologischen Muster, unsere Charaktereigenschaften und unsere Seins-Qualitäten studieren können. So gesehen gibt es zwar das Enneagramm, aber nicht das eine Enneagramm, sondern je nach Nutzung kann man es auf sehr unterschiedlichen Ebenen anwenden.
Wie ist es entstanden?
Der genaue Ursprung ist unbekannt. Ich denke, man kann davon ausgehen, dass es wie alle wesentlichen Informationen des Menschen aus einem unpersönlichen Wissen entsprungen ist. Wahrscheinlich ist, dass es seinen Ursprung in den Quellen des Sufismus, also der islamischen Mystik hat. Das Enneagramm erschien dann im Westen zum ersten Mal in der Lehre des armenischen Mystikers Gurdjeff im Jahre 1916 und ist seit den 70er Jahren durch den chilenischen Psychiater Claudio Naranjo in den USA bekannt geworden. Er hat seine Erfahrungen aus dem klinischen und therapeutischen Bereich mit dem Wissen des Enneagramms verknüpft.
Wer kann dieses Instrument nutzen?
Das Enneagramm kann jeder nutzen. In erster Linie dient es dazu, die eigene Selbsterforschung zu unterstützen. Und je nach Interesse kann dies in verschiedenen Tiefen geschehen. Und wie andere Werkzeuge, die in der Begleitung von Menschen eingesetzt werden, kann das Enneagramm auch von Therapeuten, Pädagogen und in vielen anderen Arbeitsbereichen genutzt werden.
Wie kamen Sie persönlich zu dieser intensiven Beschäftigung mit dem Enneagramm?
In der inneren Schule, in der ich seit 20 Jahren Schüler bin, dient das Enneagramm als ein wichtiges Werkzeug der Selbsterforschung. Und da es mich persönlich sehr angezogen hat habe ich eine dreijährige Ausbildung im Enneagramm absolviert. Die wesentlichen Teile des Enneagramms werden in mündlicher Tradition überliefert. Bücher können dabei sehr unterstützend sein und es gibt mittlerweile recht viele Bücher dazu auf dem Markt. Aber aus meiner Erfahrung heraus ersetzt das Lesen nie die direkte Vermittlung durch einen Lehrer. So konnte und kann ich durch meinen Lehrer OM C. Parkin das Enneagramm sehr direkt erfahren. Er steht in der Tradition von Eli Jaxon-Bear und Claudio Naranjo. Seitdem begleitet es mich in meiner Arbeit mit Menschen.
Was fasziniert Sie daran so?
Mich fasziniert die Präzision des Enneagramms in Bezug auf die Selbsterforschung. Also die Möglichkeit Ego-fixierte Charakterstrukturen in mir aufzudecken und so die Unterscheidungskraft zu nähren, was Seele und was Geist, also Ego ist. Und damit Leiden erkennen zu können.
Unumstritten ist das Enneagramm nicht. Was sind die Kritikpunkte, und wie ordnen Sie persönlich diese ein?
Ich finde das Enneagramm selbst nicht umstritten. Allerdings finde ich persönlich die Art und Weise, wie das Enneagramm zum Teil genutzt wird, umstritten. Wenn ich es nutze wie ein allmorgendliches Horoskop aus der Boulevardzeitung, dann wird es mir auch nur auf dieser oberflächlichen Ebene Antworten geben. Oder wenn ich es nutze mit der Idee ein besserer und erfolgreicher Mensch zu werden, dann nähre ich letztlich genau das innere Leiden, was auf einer tieferen Ebene mit dem Wissen des Enneagramms entlarvt werden könnte. Es ist also aus meiner Sicht nicht das Werkzeug umstritten, sondern derjenige, der das Werkzeug anwendet. Ich kann einen Hammer nutzen, um wunderbare Dinge zu bauen, ich kann mit ihm im schlimmsten Fall aber auch Gewalt anwenden. Es geht also immer um die Absicht desjenigen, der ein Werkzeug nutzt. Um die Reinheit seiner Absicht.
Gibt es Schnittpunkte oder Überschneidungen zu anderen psychologischen Typologien wie etwa bei C.G. Jung?
Es gibt ein Zitat von C.G. Jung, das sagt: »Der Schatten ist alles das, was du auch bist, aber auf keinen Fall sein willst«. Das ist sicherlich ein sehr wichtiger Aspekt, der einem bei der intensiveren Auseinandersetzung mit dem Enneagramm begegnet.
Das Enneagramm wird in verschiedenster Form immer wieder auch als Spiegel beschrieben, ein Begriff, den auch Jung benutzt. Die Schnittpunkte sind also vielmehr das, was in der eigenen Auseinandersetzung geschieht, wenn man sich traut, wirklich in den Spiegel zu schauen. Die dunklen, also unbewussten Kräfte und die Seele zu schauen. Und wie im Zitat benannt, ist es eine Arbeit mit dem Schatten. Eine Arbeit, die den eigenen Schatten bewusst macht.
Wenn man in die christliche Lehre schaut, gibt es zum Beispiel auch eine auffällige Überschneidung der sieben Todsünden Neid, Völlerei, Habgier, Wollust, Hochmut, Trägheit und Zorn mit den Ego-Leidenschaften, wie sie im Enneagramm benannt werden.
Auch im Buddhismus findet man in der Lehre die „drei Geistesgifte“: Gier, Hass, Verblendung – die sich mit den 3 Grundkräften überschneiden, die man im Enneagramm findet. Das macht noch einmal mehr deutlich, dass das Enneagramm ein Werkzeug ist, das universelle Kräfte beschreibt. Es ist keine Lehre wie der Buddhismus oder das Christentum. Es ist ein Spiegel und da ein Spiegel nicht schmeichelt, zeigt das Enneagramm auf klare und nüchterne Weise genau das, was in den Spiegel schaut, ob wir es sehen wollen oder nicht. Aber wenn es mich interessiert, ist es vielleicht nicht angenehm, aber befreiend und eine Erinnerung an mein wahres Gesicht.
Ist der Online-Abend am 14. September nur für „Fortgeschrittene“ geeignet, die schon Kenntnisse haben?
Nein, absolut nicht. Der Abend dient dazu einen ersten Einblick in das Enneagramm zu bekommen. Fortgeschrittene Kenner sind natürlich ebenso willkommen. Denn das Enneagramm ist ein Werkzeug, bei dem man nie auslernt. Es ist neben seiner Einfachheit gleichzeitig unglaublich komplex und facettenreich.
Was darf sich der Teilnehmer oder die Teilnehmerin von diesem Abend versprechen?
Neben einigen Einblicke in die Geschichte und Herkunft geht es mir im Wesentlichen darum, eine lebendige Erfahrung des Enneagramms zu vermitteln. Es nützt niemandem, wenn man über ein paar Zahlen referiert, ohne einen Geschmack davon zu bekommen, was damit eigentlich gemeint ist. Was sind die neun Typen im Enneagramm, warum gibt es sie überhaupt? Und was spiegeln sie mir? Dazu werden wir auch das Symbol des Enneagramms nutzen und seine Bedeutungen der einzelnen Elemente, die darin verwendet werden, kennenlernen.
Vielen Dank, lieber Herr Konradi!
Sehr gerne. Ich freue mich auf den gemeinsamen Abend!
20. Juli 2023 || ein Gespräch mit Muni Konradi, Seminarleiter und Enneagramm-Coach, Wismar
Muni Konradi ist Referent beim OnlineAbend „AkademiePlus“ am 14. September 2023 von 19.30 bis 21.00 Uhr.
Das Enneagramm – eine Einführung
Oder wie wir die Welt aus 9 verschiedenen Brillen erleben
AkademiePlus | Online
Das Gespräch führte Akademiereferentin Felicitas Esser.