7-Kapellen_Beitrag-Simone-Husemann-Mehr-im-Blog

Die 7 Kapellen – Teil 1

Der Mensch benötigt besondere, dem Alltag enthobene Orte. Das ist wohl eine der wichtigsten Erkenntnisse der vergangenen zwei Jahren, die uns alle existentiell stark angefragt haben.

Der Mensch bedarf, und dies gilt im Besonderen auch für eine zunehmend säkularisierte Gesellschaft, „Lebens-Mittel“, welche nicht nur auf die bloße Sicherung der physischen Existenz zielen, sondern ihm auch Nahrung wie Schutzräume ganz anderer Art bieten.

In seiner Suche nach dem Anderen, in seinen Fragen und seinem immer wieder neuen Austarieren einer Positionierung zu Welt und zu Gott können die Künste wie die Architektur als tatsächliche Resonanzräume ein unerlässlicher Dialogpartner sein.

Und was könnte es Schöneres geben, als sich auf Reisen zu begeben und neue Orte in der Nähe und in der Ferne zu entdecken. Sich auf den Weg machen heißt immer auch, die Perspektive zu verändern.

Immer schon begleiteten Wegkreuze und Kapellen den Menschen, der unterwegs ist. Anders als die großen Kirchen oder Kathedralen sind Kapellen offene Begegnungsräume, in die eine Einkehr fast immer möglich ist.

Und – sie sind klein, damit still, wohltuend konzentriert auf das Wesentliche. Nichts lenkt ab. Diese Orte empfangen den Eintretenden, die Besuchende. Kapellenräume sind einladende Kokons, nicht Versammlungs- oder Austauschorte vieler.

Es sind wohl nicht zufällig sieben Wegkapellen, die sich im schwäbischen Donautal wie ein Kranz um die Stadt Dillingen legen. Ihnen allen gemeinsam ist ihr ausschließlicher Werkstoff Holz. Dies war der ausdrückliche Wunsch der Stifter, Siegfried und Elfriede Denzel.

Nicht allein dadurch, sondern auch mit ihren architektonischen Formen gehen diese sakralen Solitäre stets eine Symbiose mit der sie umgebenden Landschaft ein; Architektur und Natur bedingen einander und nehmen aufeinander Bezug. Auf diese Weise entstanden sakrale Landschaftsbilder von einer großen Schönheit, denen man sich nach und nach nähern und in die man eintreten kann.

Denn dies ist eine weitere Besonderheit. Die 7 Kapellen liegen abseits der großen Routen. Sie finden sich an Wegen, die der Mensch zu Fuß geht oder mit dem Rad streift. Ist man mit dem Auto unterwegs, muss man diese spirituellen Rückzugsorte bewusst suchen, und dann, plötzlich, tauchen die Wegkapellen wie vereinzelte Wegmarken gleich göttlichen Fingerzeigen in der sanfthügeligen Bilderbuchlandschaft des Donautales auf:

Die erste Kapelle findet sich bei Gundelfingen. Von dem Augsburger Hans Engel erdacht und entworfen steht sie inmitten von Feldern und Weihern, im Donauried, nicht weit vom Flussufer entfernt.

Gundelfingen_7 Kapellen-Mehr im Blog

Gundelfingen_7 Kapellen-Mehr im Blog

Von allen Seiten offen erhebt sich diese Kapelle auf dem Grundriss eines griechischen Kreuzes wie ein vor allem Wetterunbill schützenden Unterstand. Zwölf gedrechselte hohe und schlanke Lärchenstämme tragen das luftige Dach. Die Ausmaße spannen sich in einem idealen Kubus von 5 x 5 x 5 Metern aus. Vier Blutbuchen markieren die durch die Kreuzesbalken ausgesparten Ecken. Glasscheiben mit ausgewählten Textsequenzen lassen das Außen und Innen miteinander verschmelzen.

Etwas weiter im Laugnatal, auf der anderen Seite der Donau, zwischen Welden und Emersacker erhebt sich auf einer Lichtung inmitten eines Fichtenwaldes ein Gebilde, das auf dem ersten Blick einem Zeigefinger, einem gezimmerten Ausguck oder einer Absprungschanze ähnlicher ist als einer Kapelle. Doch öffnet man seine Schiebetür tritt man in das Innere eines wahren sakralen Leuchtturms, den ein einzig durch ein Oberlicht eintretendes himmlisches Blau erfüllt. Ein großartiges Raumerleben, realisiert von dem Architekten Wilhelm Huber, Betzigau.

Emersacker-7 Kapellen-Mehr im Blog

Emersacker-7 Kapellen-Mehr im Blog

Nahe des kleinen Ortes Unterliezheim liegt indes auf einer Anhöhe, geschmiegt an der Naht zwischen Weidefläche und Wald die eindrucksvolle Kapelle des Londoner Architekten John Pawson, vielen vielleicht bekannt durch seine gelungene Umgestaltung des Innenraums von St. Moritz in Augsburg. Pawsons Kapelle überzeugt durch die plastisch assoziative Kraft des Baukörpers. Er gleicht einem riesigen Stapel gefällter Baumstämme, als Nutzholz am Waldsaum abgelegt – wenn auch eigentlich zu hoch ausgeführt, um tatsächlich sicher zu lagern. Dieser wundersame Raum lässt sich durch einen engen rückwärtigen Zugang betreten. Der Kapelleninnenraum besticht mit einer lichten Höhe von fast sechs Metern bei einer Länge von acht Metern. Die beiden einzigen Lichtquellen, abgesehen von einer kleinen Spalte oberhalb der aufgehenden Wand, sind eine kreuzförmige Öffnung in der Stirnwand sowie ein einzelnes Fenster an der Seite.

Man ist im Holz geborgen: man riecht es, fühlt seine haptischen Qualitäten, sieht die Maserung, zählt die Jahresringe und blickt aus der Enge in die Weite: vom Lichtkreuz auf die Welt, die sich gleich einem Gemälde wie ein vom Fenster gerahmtes Panorama öffnet. Ein Betonsockel hebt dieses „Blockhaus“ aus der Erde. Er lädt zugleich ein, Platz zu nehmen und den Blick schweifen zu lassen.

Pawson_7 Kapellen-mehr im Blog

Pawson_7 Kapellen-mehr im Blog


Pawson-Mehr im Blog-7 Kapellen

Pawson-Mehr im Blog-7 Kapellen


Pawson-7 Kapellen-Mehr im Blog

Pawson-7 Kapellen-Mehr im Blog

Pawson_Mehr im Blog_7 Kapellen

Pawson_Mehr im Blog_7 Kapellen

Teil 2 folgt.

Bildnachweis:
© Martin Kalverkamp, Simone Husemann

Unsere Empfehlung: Ferienakademie zu den 7 Kapellen im Mai 2022

Gemeinsam mit Dr. Arno-Lutz Henkel beschreitet die Akademie im Mai diesen Jahres im wahrsten Sinne des Wortes „neue Wege“: die Ferienakademie zu den Sieben Kapellen rund um Dillingen an der Donau widmet sich dabei nicht nur den einzigartigen Bauten, die allesamt zwischen 2018 und 2020 eingeweiht wurden, sondern auch dem gemeinsamen Weg dorthin. Teamleiterin Sandra Gilles sprach mit ihm über diese ganz besondere Ferienakademie und die Intention, die dahintersteckt.

16. bis 20. Mai 2022 (Mo.-Fr.)
Gesegnet mit sieben Gaben
Geistliche Zeit im Zeichen der Sieben Kapellen
Ferienakademie

15. März 2022 || ein Beitrag von Dr. Simone Husemann, Leiterin und Referentin Kirche und Kultur, Bildungswerk Wiesbaden-Untertaunus und Rheingau

Simone Husemann