Orange Days - Mehr im Blog der Akademie

Häusliche Gewalt und Gewalt gegen Frauen

Der Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) in Köln beteiligt sich an den „Orange Days“: Viele Gebäude in Köln erstrahlen in Orange, um damit ein Zeichen gegen Gewalt gegen Frauen und Kinder zu setzen. Wie viele Menschen sind statistisch gesehen in Köln von Gewalt betroffen, wie viele davon sind Frauen oder Kinder?

Zur Gewaltbetroffenheit im häuslichen Umfeld liegen auf Köln heruntergebrochen, keine validen Zahlen vor. Für NRW wurden 2021 30.759 Taten mit 34.235 Betroffenen von vollendeten und versuchten Delikten der Häuslichen Gewalt erfasst in der Kriminalstatistik erfasst. Davon waren 69,1 % weiblichen 30,9 % männlichen Geschlechts. Unter den Betroffenen von Häuslicher Gewalt hatten Kinder, Jugendliche und Heranwachsende einen Anteil von etwa einem Viertel.

Man muss aber davon ausgehen, dass diese Zahlen nur einen Teil der Delikte im Bereich der Häuslichen Gewalt, unter die auch Partnerschaftsgewalt, der Missbrauch von Schutzbefohlenen sowie weitere Straftaten fallen, erfassen.

Kinder leiden immer, wenn es in einer Familie zu verbalen oder körperlichen Übergriffen zwischen den Eltern kommt, viele Paare wollen ihre Beziehung aufrechterhalten, andere sind vom Partner oder der Partnerin materiell oder aus anderen Gründen abhängig und schrecken deshalb davor zurück, sich bei der Polizei oder in einer Beratungsstelle zu offenbaren. Daher halten wir die Zahlen für realistisch, die in verschiedenen bundesweiten und europaweiten Studien ermittelt wurden und in denen 30 und 40% aller Frauen angeben, einmal in ihrem Leben Gewalt in engen Beziehungen erlebt zu haben.

Seit wann ist der SkF Köln engagiert im Bereich der Gewaltprävention und des Schutzes bei Gewalt?

Im Grunde genommen engagiert sich der SkF e.V. Köln schon seit seiner Gründung im Jahr 1900 für den Schutz von Kindern, Jugendlichen und Frauen vor Gewalt. Gewaltprävention und Gewaltschutz sind immer zentrale Themen in der Inobhutnahmestelle für Jugendliche, in der ambulanten und stationären Jugendhilfe, in der Wohnungslosenhilfe für Frauen oder in der Prostituiertenhilfe.

Institutionalisiert wurde die Gewaltschutzarbeit mit dem Gewaltschutzgesetz und dem Aufbau der Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt für das linksrheinische Köln im Jahr 2001.

Mit welchen Problemen kommen die Betroffenen zu Ihnen? Oder, noch früher angesetzt: Kommen die Betroffenen selbst zu Ihnen, oder werden Sie durch andere (etwa Menschen aus dem Freundeskreis oder der Nachbarschaft) auf die Betroffenen aufmerksam gemacht? Finden mehr Menschen den Weg zu Ihnen als, sagen wir, vor 10 Jahren?

Die Zahlen der Betroffenen bleiben mit kleinen Schwankungen seit Jahren stabil. Durchschnittlich kommen zwischen 600 und 700 Menschen pro Jahr aus dem linksrheinischen Köln in das Gewaltschutzzentrum. Ähnliche Zahlen gibt es für die rechtsrheinische Beratungsstelle „Der Wendepunkt“. In Köln erreichen wir die meisten Menschen nach einem Einsatz der Polizei wegen häuslicher Gewalt. Die Betroffenen werden beim Einsatz gefragt, ob sie Hilfe möchten. Die Mitarbeiter:innen der Gewaltschutzzentren erhalten, je nach Rheinseite, die Daten der Betroffenen und nehmen dann von sich aus Kontakt auf. Das erspart den Menschen die Suche nach einer Beratungsstelle oder anderen Hilfeangeboten. Neben denen, die nach einem Polizeieinsatz in die Beratung kommen, wenden sich zunehmend Menschen aus eigenem Antrieb oder nach einem Hinweis aus der Familie, dem Freundeskreis oder der Nachbarschaft an uns.

Der SkF unterhält eine Interventionsstelle, die zum SkF-Gewaltschutzzentrum gehört. Wie genau muss man sich die Arbeit dieser Interventionsstelle vorstellen?

Nachdem die Meldung der Daten durch die Polizei erfolgt ist, nehmen die Mitarbeiterinnen des Gewaltschutzzentrums an Wochentagen innerhalb von 24 Stunden, am Wochenende innerhalb von 72 Stunden Kontakt zu den Betroffenen auf. Dann wird in einem ersten Telefonat geklärt, ob die Menschen in die Beratungsstelle kommen, einen Hausbesuch oder ein Treffen an einem anderen Ort möchten.

Bei diesem ersten Treffen werden die nächstliegenden Fragen geklärt, z.B. ob die Wegweisung des gewalttätigen Partners/der Partnerin erfolgt ist, ob es eine Chance gibt, die Wohnung für sich zu behalten, wie die Situation der Familie insgesamt ist. In einigen Fällen kann es angezeigt sein, die Betroffenen zur Rechtsmedizin zu begleiten, damit Beweise für den gewaltsamen Übergriff gesichert werden. In der Folge werden die Betroffenen bei allen auftretenden Fragen unterstützt. Das reicht von der ersten Klärung der notwendigen rechtlichen Schritte über die Vermittlung zu Rechtsanwält:innen, die Unterstützung bei der Beantragung weiterer Leistungen bis hin zur Vermittlung in therapeutische und psychosoziale Hilfen. Kinder und Jugendliche können in der Kinderinterventionsstelle, die ebenfalls um Gewaltschutzzentrum gehört, eine altersgerechte Begleitung finden. Kommt es nach der Trennung zu Stalking kann die Stalkingberatung im Gewaltschutzzentrum eine Hilfe sein. Mit der Strickleiter unterstützen wir Menschen längerfristig, die aufgrund der Auswirkungen der erlebten Gewalt vom Verlust des Arbeitsplatzes bedroht sind oder Hilfe benötigen, um auf den Arbeitsmarkt zurückkehren zu können.

Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stehen im Gewaltschutzzentrum zur Verfügung, und wie viele Fälle jährlich betreuen sie? Leistet der SkF auch „aufsuchende Hilfe“?

Für die Arbeit im Gewaltschutzzentrum werden zwei Vollzeitstellen finanziert. Hinzu kommt eine halbe Stelle für die Begleitung von Menschen, die von Stalking betroffen sind. Diese Stellenkontingente werden von mehreren Mitarbeiterinnen besetzt, damit die Erreichbarkeit gesichert ist. Allerdings ist die Refinanzierung durch die Stadt Köln nicht kostendeckend, so dass Spenden und weitere Drittmittel eingeworben werden müssen. Die Arbeit in der Kinderinterventionsstelle wird seit Jahren ausschließlich durch Spenden finanziert.

Die Mitarbeiterinnen des Gewaltschutzzentrums arbeiten aufsuchend, begleiten Wege und bieten Beratung im Gewaltschutzzentrum. Hausbesuche erleichtern gewaltbetroffenen Menschen nicht nur die Annahme von Hilfe, sondern vermitteln den Beraterinnen auch einen Eindruck in die Lebensumstände und den Hilfebedarf. Manche Betroffenen brauchen Unterstützung bei Ämtergängen oder bei Erstgesprächen mit Anwält:innen, weil sie sich in der aktuellen krisenhaften Situation überfordert und überlastet fühlen. Die Form der Begleitung richtet sich nach den Bedarfslagen der Betroffenen.

Vielleicht kommen betroffene Frauen nicht nur einmal mit ihrem Problem zu Ihnen, sondern wiederholt. Gibt es Möglichkeiten der „Nachsorge“ in besonders heiklen Fällen? Welche Grenzen sind Ihrer Arbeit gesetzt – persönliche, juristische, finanzielle? Was müsste sich ändern, damit Sie noch erfolgreicher durchdringen mit Ihrem Angebot und Ihren Maßnahmen?

Die Gewaltschutzarbeit ist komplex, daher sind Mehrfachberatungen, Krisenintervention oder eine Form der Nachsorge nicht nur möglich, sondern integraler Bestandteil der Arbeit.

Nicht alle Betroffenen von häuslicher Gewalt kann man schon nach der ersten Meldung erreichen, nicht alle Prozesse sind stringent und selbst, wenn die Akutphase beendet ist, bietet die Regelung familienrechtlicher Fragen im Laufe eines Trennungsprozesses Anlässe für neue Konflikte.

Die Grenzen der Gewaltschutzarbeit definieren, wie oben bereits erwähnt, die Betroffenen und die Menschen im Familiensystems selbst: Abhängigkeiten, Scham, Angst oder die Hoffnung auf eine Verbesserung der Situation hindern die Menschen, sich zu offenbaren und Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Dann gibt es ein unterschiedliches Verständnis von Gewalt, wenn verbale Einschüchterung und Demütigungen nicht als gewaltsam wahrgenommen, sondern erduldet werden.

Kinder stecken in Loyalitätskonflikten, sie wünschen sich eine heile Familie und tun viel dafür, die Familie zu erhalten. Häufig geben sie sich sogar selbst die Schuld an der Gewalt in der Familie.

Zudem gibt es Menschen, die in ihren eigenen Herkunftsfamilien Gewalt als Form der Konfliktlösungsstrategien erlernt haben und lange Zeit und viele Anläufe brauchen, um diese erlernten Muster zu hinterfragen und aufzulösen.

Darüber hinaus gibt es viele Grenzen, die nicht in den Menschen zu suchen sind, sondern in gesellschafts- und sozialpolitischen Missständen. So hindert schon allein die in Köln grassierende Wohnungsnot die Menschen daran, eine gewaltsame Beziehung zu beenden bzw. die Trennung zu vollziehen. Seit Jahren ist es angesichts fehlenden Wohnraums Alltag in der Beratung, dass Paare und Familien trotz häuslicher Gewalt weiter unter einem Dach ausharren müssen, weil ein Auszug aus der Wohnung Obdachlosigkeit bedeuten würde.

Juristisch ist es für Kinder und gewaltbetroffene Elternteile vielfach schwer auszuhalten, dass das Umgangsrecht einen so hohen Stellenwert hat, dass Kinder auch gegen ihren Willen zum Umgang mit dem gewalttätigen Elternteil gezwungen werden können. Hier wäre eine individuelle Abwägung des jeweiligen Falles wünschenswert, wobei die Ängste und Wünsche von Kindern und Eltern gleiches Gewicht haben sollten.

Grundsätzlich muss die Arbeit der Gewaltschutzzentren auskömmlich finanziert werden, dazu gehört auch eine Regelfinanzierung der Kinderinterventionsstellen.

Darüber hinaus muss die Gesellschaft nicht nur im Rahmen der Orange Days wieder stärker für das Thema Gewalt sensibilisiert werden und die Menschen müssen Handlungssicherheit gewinnen. Nicht wegschauen, sondern die Polizei rufen, wenn man häusliche Gewalt im Umfeld erlebt – das würde vielen Betroffenen schon helfen.

Vielen Dank für das Gespräch und Ihre Zeit!

27. November 2023 || ein Interview mit Iris Rotter, Fachbereichsleitung Gefährdetenhilfe, Sozialdienst katholischer Frauen e.V. Köln

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Das Interview führte Akademiereferentin Felicitas Esser.