In der Bibliothek der Zukunft: Göttlicher Unruhestifter und Trostspender
Es ist das Buch zum Pfingstfest: „Der heilige Geist. Eine Biographie“. Geschrieben hat das es der protestantische Theologe Jörg Lauster, der an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität Systematische Theologie lehrt.
Eine Biographie des Heiligen Geistes – das klingt reichlich gewagt. Wie will man die Lebensgeschichte eines Phänomens beschreiben, das nicht direkt sichtbar ist, und das mal als Wind, mal als Atem oder Hauch, dann wiederum als Taube, schließlich als Feuerzunge beschrieben wird? Aber, so mag man auch feststellen, ist es zumindest aus christlicher Sicht auch so verwegen wiederum nicht, wird doch der Heilige Geist als eine der drei Personen der göttlichen Trinität verstanden. Gerade diese personale Eigenschaft legt eine Biographie durchaus nahe.
Man könnte dennoch vor der Lektüre des Werkes zurückschrecken, in der Befürchtung, eine gelehrte, aber trotz des Themas etwas uninspirierte Abhandlung vorzufinden. Aber die Lektüre von Lausters Opus magnum „Die Verzauberung der Welt. Eine Kulturgeschichte des Christentums“ hat mich so begeistert, dass ich auch diesmal ohne Zögern zugegriffen habe.
Begeisternde Kulturgeschichte des Christentums
Schon bei seiner fulminanten Kulturgeschichte hat Lauster es vermocht, den theologisch wenig bewanderten Leser an die Hand zu nehmen und auf einen ungemein spannenden Gang durch zwei Jahrtausende christlicher Geschichte mitzunehmen. Die Leichtfüßigkeit und Eleganz, mit der Lauster das gewaltige Panorama abschreitet, lassen vergessen, wie mühselig allein die Lesearbeit gewesen sein muss, die der Autor bewältigt hat, um dieses Buch schreiben zu können.
Lauster schafft es, die großen Linien zu ziehen und seine Leser doch immer wieder ganz nah an ausgewählte Gegenstände heranzuführen: Man steht mit dem Augustinermönch Martin Luther in der Sixtinischen Kapelle und schaut Michelangelo beim Ausmalen der Deckengewölbe zu. Den Pfarrer und Theologen Johann Joachim Spalding, einen Zeitgenossen Immanuel Kants, beschreibt Lauster in nur zwei Absätzen so einnehmend, dass man sich schmunzelnd seiner abschließenden Frage anschließt, „warum Gott dem Christentum nicht mehr Spaldinge geschenkt hat“ (S. 425). Man blickt Dorothea Veit über die Schulter, die einen beschwingten Brief an den jungen Schleiermacher schreibt. Mit den frühchristlichen Gruppierungen der Nestorianer und Miaphysiten macht Lauster ebenso freundlich bekannt wie mit dem amerikanischen Transzendentalisten Ralph Waldo Emerson und den Romantikern Novalis und Wackenroder.
Ob man Lausters kulturprotestantischer Schlussthese „Nothing is ever lost“ zustimmt oder nicht: Man ist dem kundigen Lotsen, der seine liberal-protestantische Perspektive auf zwei Jahrtausende christlicher Kultur gleich zu Beginn klar benennt, dankbar – und etwas traurig, dass die gemeinsame Reise beendet ist.
Fortsetzung und Vertiefung
Entsprechend hoch sind nun die Erwartungen an Lausters Biographie des Heiligen Geistes, von der Johann Hinrich Claussen in seiner begeisterten Rezension für die Süddeutsche Zeitung sagt, sie sei eigentlich „eine Fortsetzung und Vertiefung seiner Kulturgeschichte“. Schon ein Blick ins Register zeigt, dass der Autor auch diesmal vom Stammvater Abraham bis zum Reformator Zwingli eine beeindruckende Zahl von großen Geistern einbezieht. Einige Namen waren zu erwarten, bei anderen darf man gespannt sein, was Lauster bei ihnen findet: Was verbindet den anarchistischen Schriftsteller und Räterepublikaner Gustav Landauer mit dem heiligen Geist? Und wie hat es der Rockgitarrist Eric Clapton in die Abhandlung geschafft?
Deutliche Schwerpunkte setzt Lauster bei der Betrachtung der mittelalterlichen Denker Meister Eckhart und Joachim von Fiore, sowie insbesondere beim Renaissance-Philosophen Marsilio Ficino, mit dem sich Lauster schon in seiner Dissertation eingehend befasst hat. Ich bin sehr gespannt, wie Lauster die mit diesen großen Namen verbundenen Gedankenwelten und -traditionen erschließen und dem heutigen Leser begreifbar machen wird.
Ein Buch zur rechten Zeit
Dass er für dieses Unternehmen interessierte Leser finden wird, liegt nicht allein am Erfolg von Lausters Kulturgeschichte des Christentums, sondern auch am Sujet seines neuen Buches: Der Heilige Geist ist en vogue. So bemerkt Rezensent Claussen: „Das Buch kommt zur rechten Zeit. Denn wenn nicht alles täuscht, eröffnet der Geist am ehesten noch Zeitgenossen einen Zugang zum Christentum. Ein steiler Gottesbegriff stößt sie ab, die Gestalt Jesu Christi ist ihnen fraglich geworden. Aber ein Wehen des Geistes hat man selbst schon einmal erlebt, oder man sehnt sich danach. Man stellt sich etwas Belebendes darunter vor, das von außen kommt und einen doch innerlich erfüllt, tröstet und inspiriert, Beziehungen stiftet und für unterschiedliche Deutungen offenbleibt.“
Zugleich macht Claussens kurze Charakterisierung die paradoxe Komplexität dieser wohl geheimnisvollsten Person der christlichen Trinität deutlich: Der Geist kommt von außen und erfüllt das Innere. Er belebt und bewegt – Lauster hat ihn als „Unruhefaktor“ bezeichnet – und tröstet doch, spendet innere Ruhe und Geborgenheit. Der Geist treibt Menschen an, lässt sie Bestehendes infrage stellen und für Veränderung kämpfen. Zugleich führt, so die mystische Vorstellung Meister Eckharts, die Gegenwart des Geistes zu einem Erlöschen der Fragen und zu einem „Leben ohne Warum“ („sunder warumbe“). Ausgerechnet diesen Geist, der bekanntlich weht, wo er will, verspricht Jesus im Johannesevangelium seinen Jüngern als „Beistand“ („Paraklet“ von griech. παράκλητος paráklētos).
Ich bin sehr gespannt, wie Lauster diese vielfältigen und – zumindest auf den ersten Blick – widersprüchlichen Eigenschaften und Wirkweisen des Geistes darstellt. Bietet Lauster vielleicht gar eine Synthese, in der die Gegensätze harmonisch aufgehoben sind? Und kann er in einer plausiblen „Unterscheidung der Geister“ begründen, warum emanzipatorische Bewegungen als vom Geist inspiriert gelten dürfen, während sich Kreuzritter, heilige Krieger und Fanatiker zu Unrecht auf den Geist berufen?
Eines ist sicher: Lange wird Lausters Biographie des Heiligen Geistes nicht in meiner persönlichen „Bibliothek der Zukunft“ verbleiben. Sie liegt schon bereit und wird bald gewiss be-geisternde Leseerlebnisse bieten.
Literatur
Der heilige Geist. Eine Biographie. C.H. Beck, München 2021
Die Verzauberung der Welt. Eine Kulturgeschichte des Christentums. C.H. Beck, München 2014; 5. Auflage 2018
Bildnachweise:
Ivo Rainha auf Unsplash, gemeinfrei
Herrad von Landsberg auf commons.wikimedia.org, gemeinfrei
23. Mai 2021 || ein Beitrag von Dr. Matthias Lehnert, Akademiereferent