Weingruss süßer Himmeltau
Nun grüße dich Gott, du süßer Himmelstau!
Komme her und befeuchte mir die Wiese meines Herzens
mit deinem gesunden und heilbringenden Getröpfel.
Ich lege dir mein Geld, mein Vermögen
Und meine geheimsten Gedanken offen.
Du bewirkst, dass so mancher Gast kaum reicher wird:
Bevor er länger auf dich verzichten müsste,
würde er eher seine gesamten Ersparnisse ausgeben.
Er hält mit seiner Liebe so beständig an dir fest,
dass er sein ganzes Kannenregal leert.
Nun vertraue auch ich seit jeher auf dich,
und sollte ich auch kein Steinhaus bauen,
so will ich mich doch nicht von dir trennen.
Auch kann dich mir niemand madig machen,
so dass du mir unsympathisch wirst.
Fließe herein und lösche mir meine ausgedörrte Leber!
aus: Hans Rosenplüt: Weingrüße und Weinsegen
Herausgegeben von Silvan Wagner
S. Hirzel Verlag
Um den Handwerkerdichter Hans Rosenplüt entstanden im Nürnberg des 15. Jahrhunderts die Weingrüße, eine Sammlung von Gruß- und Segenssprüchen an den personifizierten Wein. Auch Bier und Met werden mit je einem Weingruß und einem Weinsegen bedacht. Die prägnanten Sprachkunstwerke sind Schmuckstücke der Trinkerliteratur: Sie umschmeicheln den Wein als Freund, Geliebten und Heiland, um sich seiner Gunst zu versichern und seine dämonischen Seiten abzuwenden. Dabei gewähren sie auch faszinierende soziohistorische Einblicke in die Trinkkultur des spätmittelalterlichen Nürnberg. (siehe: S. Hirzel Verlag)
12. Oktober 2023 || ein Beitrag von Privatdozent Dr. Silvan Wagner, Lehrstuhl für Germanistische Mediävistik, Sprach- und Literaturwissenschaftliche Fakultät, Universität Bayreuth