Tomáš Halík über das Christentum in Zeiten der Krankheit
Schon seit Beginn des pandemiebedingten Ausnahmezustandes begleitet uns die Frage, wann eine Rückkehr zur „Normalität“ möglich sein werde. Das ist angesichts der vielfältigen Einschränkungen und Zumutungen nur zu verständlich. Aufhorchen lässt daher die These des tschechischen Priesters und Philosophen Tomáš Halík, der eine baldige Rückkehr zur vertrauten Lebensweise nicht nur für unwahrscheinlich, sondern auch für nicht erstrebenswert erklärt.
Halík lehrt an der an der Karlsuniversität Prag und leitet die Tschechische Christliche Akademie. In den 1980er Jahren baute er im Untergrund ein Netzwerk von Akademikern auf, das den Übergang zur Demokratie vorbereitete. Seit der „Samtenen Revolution“ setzt sich Halík für religiöse Toleranz und den Dialog zwischen Anhängern unterschiedlicher religiöser und spiritueller Traditionen und insbesondere auch für den Austausch mit Skeptikern und Zweifelnden ein, die er als „Suchende“ begreift.
In seinem Essay „Christentum in Zeiten der Krankheit“ argumentiert Halík nun, nach dem Ende der Pandemie werde „die Welt nicht mehr dieselbe sein wie vorher – und offensichtlich soll sie auch nicht mehr dieselbe sein“. Zwar ist der Text während der diesjährigen Fastenzeit und mit Blick auf das nahende Osterfest entstanden, doch ist er auch in der nach-österlichen Zeit im Unterwegssein auf Pfingsten mit Gewinn zu lesen. Halík bezieht darin Gedanken, die er schon zuvor – etwa in einem Podcast von Radio Vatican – geäußert hat, auf die aktuelle Situation. Im Zentrum seiner Überlegungen steht dabei die (katholische) Kirche. Sie solle, so Halík, die leeren Kirchenräume als Anlass zu gründlichem Nachdenken und zu grundlegenden Reformen nehmen. Dem auferstandenen Christus sollten die Gläubigen ohne Bekehrungsabsicht aus ihren vertrauten sicheren Räumen in die „Welt der Suchenden“ folgen. Dort könnten „Inseln der Spiritualität und des Dialogs“ entstehen, indem sich „unsere christlichen Kommunitäten, Pfarreien, Kollegien, kirchliche Bewegungen und Ordenskommunitäten dem Ideal annähern […], aus dem die europäischen Universitäten entstanden sind: eine Gemeinschaft von Schülern und Lehrern zu sein, eine Schule der Weisheit, in der die Wahrheit durch freie Disputation und durch tiefe Kontemplation gesucht wird.“ Eine faszinierende Vision – auch und gerade für die katholischen Akademien.
Den Essay von Tomáš Halík können Sie hier lesen.
Bild: Ein Priester geht am Tiber entlang. von: Alberico Bartoccini auf unsplash, gemeinfrei
28. April 2020 || empfohlen von Dr. Matthias Lehnert, Referent Forum: PGR