Fußball und Religion. Das geht gut!
Beobachtungen bei der Andacht zum Bundesligaauftakt im Kölner Dom
Das würde jedem Gemeindepfarrer ein Grinsen ins Gesicht bringen und zu großer Freude führen, wenn Menschen in großer Zahl Schlange stehen, um in die Kirche zu kommen. So geschehen im Kölner Dom am 7. August 2022. Da der Kölner Dom wegen des 12 Uhr-Gottesdienstes noch „belegt“ war, mussten sich die Fußballfans noch gedulden, um in den Dom zu kommen. Die beiden Schlangen reichten weit bis in die Fußgängerzone hinein und bis alle schließlich im Dom waren, war so geplante Anfangszeit überschritten, so dass die Andacht mit Verzögerung beginnen musste.
Traditionell beginnt in Köln der Start der Bundesligasaison vor dem ersten Heimspiel mit einer Ökumenischen Andacht im Kölner Dom. Geleitet wurde diese von Stadtsuperintendent Bernhard Seiger von der evangelischen und von Stadtdechant Robert Kleine von der katholischen Kirche. Fans des 1. FC Köln und auch der gegnerischen Mannschaft, in diesem Fall von Schalke 04 – sie wurden von Stadtdechant Kleine besonders benannt und mit großem Applaus von den anderen Fans begrüßt – hatten sich in großer Zahl im Dom versammelt. Da die Bänke in Haupt und Seitenschiffen voll besetzt waren, mussten viele stehen oder nahmen auf der Chorempore im Seitenschiff Platz.
Dass Fußball und Religion viel miteinander zu tun haben, ist ja keine Neuigkeit. Ein großes Fußballspiel hat viele Elemente eines großen Hochamtes. Ein großer Einzug der Mitwirkenden mit Musik, kleine Fußballer gehen wir Messdiener voran, der Ball wird wie ein Heiligtum in das Stadion getragen, das oft wie eine Kathedrale die Besucherinnen und Besucher empfängt. Und die Spieler werden bei Erfolg schnell zu Erlösern hochstilisiert, erfolgreiche Trainer, die die Mannschaft zur Meisterschaft geführt oder vor dem Abstieg gerettet haben schnell wie ein Messias verehrt. Und schließlich hat die Hand Gottes Argentinien 1986 zum Fußball-Weltmeister gemacht. An Jesus kam nie einer vorbei — außer Stan Libuda, wie ein berühmtes Zitat sagt. Und mancher Spieler ist nicht nur Verteidiger oder Stürmer, für die Fans aus der eigenen Mannschaft auch ein Fußball-Gott, der sich auf „heiligem Rasen“ bewegt.
Das alles mag stimmen und doch arg übertrieben wirken. Die Zugehörigkeit zu einem Verein verbindet Menschen miteinander wie bei einer Religion. Das Gemeinschaftsgefühl, die große Freude nach dem Sieg, aber auch der Trost nach der Niederlage hat quasireligiöse Elemente, weil es mit dem Leben, den Grundvollzügen unseres Daseins zu tun hat. In den Kirchen sprechen wir über das Leben, über Sünde und Vergebung, über Tod und Auferstehung, im Stadion geht es um Jubel und Enttäuschung, um Hoffnung und das Gericht, das mit jeder Niederlage verbunden ist.
Und nun eine Andacht im Kölner Dom. Rot-weiße Trikots des 1. FC Köln aus den letzten Jahren, Rückennummern und Namen von aktuellen und längst nicht mehr aktiven Spielern, Schals und Base-Caps erfüllten den Dom – abgesehen von einigen in weiß-blau bekleideten Schalkern, Junge und Alte, Familien, Kölner und aus dem ganzen Land angereiste Fans. So saßen in meinem Umfeld Fans aus Ostbelgien oder von der niederländischen Grenze am Niederrhein.
Eine gelassene, freudige, aber auch andächtige Stimmung erfüllte den Dom, als der Organist zum Einzug über den „Stammbaum“ von den Black Fööss improvisierte. Das Lied diente als musikalisches, aber auch als inhaltliches Intro, denn es ging in der Schriftlesung aus dem Markusevangelium um die Frage, wer denn der Größte sei und in den Ansprachen vor allem um Respekt, Vielfalt, Engagement für den anderen und das Eintreten gegen Hass und Gewalt – auch im Stadion. Dies machten auch die Fürbitten deutlich, die nicht nur inhaltlich um göttlichen Beistand dafür baten, sondern es auch anschaulich zeigten, weil einige Fürbitten auch von Menschen mit Handicap vorgetragen wurden. Die Orgel-improvisation über „You’ll never walk alone“ fasste dies gut zusammen. Höhepunkt nach dem gemeinsamen Vaterunser und dem Segen für das Spiel, die Spieler und die Fans war natürlich zum Abschluss das Singen der FC-Hymne, bei der auch der Stadtsuperintendent Seiger und Stadtdechant Robert Kleine die Schals schwenkten. Von diesen Menschen – so war mein Eindruck – geht ein positives Signal aus. Wer sich mit vielen andern Fans zum Saisonauftakt im Dom trifft, um Inne zu halten, um für ein faires Spiel zu beten und auch die Benachteiligten im Blick hat, gehört zu den Fans, die gerne in den Stadien gesehen werden.
P.S.: Zuerst habe ich nach der Andacht gedacht: So etwas gibt es nur in Köln! Die Recherche zu diesem Blogbeitrag hat aber gezeigt, dass diese Andacht kein Einzelfall ist. Auch bei Borussia Dortmund und Schalke 04 gibt es einen Saisoneröffnungsgottesdienst, in Gelsenkirchen gar einen christlichen Fanclub „Mit Gott Auf Schalke“.
Fotos: A. Würbel
16. August 2022 || ein Beitrag von Andreas Würbel, Akademiereferent