Schön war’s und laut – Kleine Reise vom Engelskonzert zur Hausmusik im Kölner Wallraf-Richartz-Museum

Halleluja! Lobet Gott in seinem Heiligtum, lobet ihn in der Feste seiner Macht! …  Lobet ihn mit Posaunen, lobet ihn mit Psalter und Harfen! Lobet ihn mit Pauken und Reigen, lobet ihn mit Saiten und Pfeifen! Lobet ihn mit hellen Zimbeln, lobet ihn mit klingenden Zimbeln! (Psalm 150:1-5)

Darstellungen musizierender Engel im Mittelalter findet man vereinzelt erst ab dem 12. Jahrhundert. Ab 1450 häufen sich jedoch die jubilierenden, musizierenden Flügelwesen. Da wird gesungen, getrommelt, gepfiffen, die Drehleier gespielt, das Portativ – es werden alle Register des melodiösen Lärms gezogen.

(Abb. 1 Stephan Lochner, Weltgericht, ca. 1425, Detail, Köln, WRM)

Die Frage ist: Warum?
Engel hatte man ursprünglich als körperlose Emanationen des Göttlichen begriffen, dann aber im Lauf des Mittelalters immer menschlicher dargestellt, um ihre Funktion als Mittler zwischen Mensch und Gott aufzuzeigen. Sie dringen also in den Bereich der sinnlich erfahrbaren menschlichen Welt vor und werden damit musikalisch aktiv.

Ein weiterer Grund könnte sein, dass die musikalische Kultur der Fürstenhöfe in Frankreich, Burgund und in Norditalien im 15. Jahrhundert immer mehr Instrumente und Klangfarben für sich entdeckte und schließlich eine ausgefeilte Kunst des mehrstimmigen Singens und Spielens entwickelte. Musikengel beerben allmählich die musizierenden Ältesten in Darstellungen der Apokalypse und mit dem Aufkommen von Soloinstrumenten und Polyphonie in der realen Welt verändert sich auch die Kunst des gemalten Gotteslobs hin zu einer mehrsinnigen synästhetischen Erfahrung.

(Abb. 2 Stefan Lochner, Madonna im Rosenhag, um 1450, Köln, WRM)

Ein Beispiel ist die berühmte Madonna im Rosenhaag von Stefan Lochner. Maria sitzt in einem geschlossenen Gärtchen umgeben von Engeln, die Gaben und Entertainment mitbringen – zwei Engelein spielen Lauten in verschiedenen Größen, noch mit dem Plektron, das es nur erlaubte, geschlossene Akkorde erklingen zu lassen. Erst ab Ende des 15. Jahrhunderts entwickelten sich Techniken, das arabischstämmige Instrument mit den Fingern zu spielen und Arpeggio und Mehrstimmigkeit zu erzeugen. Dazu ertönen in Lochners Gärtchen die Harfe und das Portativ, eine kleine tragbare Orgel, die auf dem Knie ruhte. Eine Hand führte per Blasebalg Luft zu, eine andere nutzte die Tastatur. Obwohl das Portativ oft mit Engeln in Gemälden erscheint, verwendete man es kaum in der Kirchenmusik. Die meisten Portativspieler waren Spielleute. Es steht zu vermuten, dass hier eine höfisch-weltliche Situation in das religiöse Genre eindringt. Der gelüpfte Vorhang, die bekrönte Maria, das Kissen, auf dem Maria sitzt anstatt der verfügbaren Rasenbank – all diese Elemente deuten auf eine Vermischung von Hofzeremoniell und religiöser Bildsprache.
Durch das haptische Auf-und-zu-Klappen des ursprünglich als Diptychon gedachten Werks, durch die abgebildeten Instrumente und den Gesang, durch den Farbenreichtum und die Blumen im Gemälde, die essbare Frucht, die Maria überreicht wird, treffen sich in diesem Täfelchen zudem alle fünf Sinne: Takt, Klang, Blick, Duft, Geschmack.

(Abb. 3 Stefan Lochner, Madonna im Rosenhag, um 1450, Köln, WRM, Detail mit Portativ, links)
(Abb. 4 Stefan Lochner, Madonna im Rosenhag, um 1450, Köln, WRM, Detail mit Harfe und Laute, rechts)

22. Oktober 2020 || ein Beitrag des Kunsthistorikers Dr. Till Busse

Wir gehn nun, wo der Dudelsack
In unsrer Schenke brummt;
Und rufen dabei fröhlich aus:
Es lebe Dieskau und sein Haus,
Ihm sei beschert,
Was er begehrt,
Und was er sich selbst wünschen mag
!
J.S. Bach, Bauernkantate

Ein häufig abgebildetes Instrument bis zum Ende des 17. Jahrhunderts ist der Dudelsack, vor allem in der Malerei Deutschlands und der Niederlande. Normalerweise ist er das Attribut der Hirten auf dem Felde. Schon in frühen Textquellen wird erzählt, dass die Hirten den Dudelsack benutzen, um Wölfe fernzuhalten; angeblich wurden die Schafe durch den Klang des Instruments besonders fett. So taucht der Dudelsack beispielsweise auf einem Altärchen des Wallraf um 1350 auf. Hier erscheint der Engel der Verkündigung den Hirten auf dem Felde – ohne sich vom Lärm des Dudelsacks beeindrucken zu lassen – und verkündet ihnen die frohe Botschaft von der Geburt Christi. Der Dudelsack der einfachen Leute wird durch den Jubelgesang der Engel abgelöst.

200 Jahre danach stellt der Antwerpener Maler Jan de Beer eine mit enormem Ornament- und Symbolreichtum unterfütterte Anbetung der Hirten dar. Hier haben es drei Hirten schon bis zur Krippe geschafft, um ihre Gaben abzuwerfen (nützliche Dinge im Gegensatz zu den drei Heiligen Königen) und erweisen dem Kindlein die Ehre mit Dudelsack, Psalterium und Schalmei. Der Akzent verschiebt sich, da die Hirten nun den Jubel der drei Engel im Bogen über ihren Köpfen begleiten – mit Hilfe ihrer pastoralen Instrumente. Dem Kind wird gehuldigt, als wäre es die Ankunft eines Fürsten im Dörfchen. Es liegt inmitten einer Lichterscheinung auf dem Boden, ganz wie es die Heilige Birgitta von Schweden in ihren Visionen schildert: so hell, dass es alle anderen Lichter im Umfeld überstrahlt.

(Abb. 5 Klarissenaltar, Köln, 1340-50 ca. Detail mit Verkündigung an die Hirten)

Während Jan de Beer ein Hirtenkonzert darstellt, dessen Publikum die Heilige Familie und das etwas wehrlose Jesulein sind, bildet der Maler Peter Wtewael im 17. Jahrhundert die Anbetung der Hirten als eher unmusikalisches Ereignis ab. Auch hier allerdings trägt einer der Hirten einen pelzbesetzten Dudelsack, der deutlich macht, dass sich hier der dritte Stand mit wettergegerbten Gesichtern die Ehre gibt.

(Abb. 6 Jan de Beer, Anbetung der Hirten, 1515, Köln, WRM)

Vom Dudelsack vermutet man, dass er vielleicht schon in der Jungsteinzeit existiert hat. Gesichert ist er in der griechischen Antike und auch den Römern muss er schon bekannt gewesen sein. Erfinderin der Flöte, also des ersten Blasinstrumentes, ist laut Mythologie die Göttin Pallas Athene, die das Ding wegwarf, da sie sich in einer Spiegelung beim Musizieren sah und das ganz Bild selfietechnisch als eher unvorteilhaft empfand. Antike Flötenspieler pumpten nämlich normalerweise für das Spielen der Doppelflöte die Wangen auf und bliesen dann schrittweise die Luft in die Instrumente. Klar, dass die Göttin da neben der schicken, schlanken Aphrodite optisch floppte. Diese Funktion des Luftspeichers konnte durch den Luftsack übernommen werden, der später mit Bordunpfeifen ergänzt wurde, die eine gewisse Polyphonie ermöglichten und die Lautstärke steigerten. Sowohl Doppelflöte als auch Schalmei und Dudelsack galten deshalb schon in der Antike als ländliche Instrumente, die weder schön klangen, noch einen besonders schön aussehen ließen. Man fragt sich unwillkürlich, wie das Christuskind mit dieser massiven musikalischen Frontalttacke zurechtgekommen sein mag, 17 ½  Minuten, nachdem die Welt sein Licht erblickt hatte. Sei’s drum – der Dudelsack wird bis hin zu Bachs Bauernkantate zum Attribut des dritten Standes. Schon Dürer zeigte den Bauern in einem Holzschnitt mit einem Dudelsack gegen einen Baum gelehnt, später wird diese Figur in 3D auf dem Holbeinbrunnen in Basel verewigt. In gewissem Sinne spiegeln die Krippenszenen der Zeit um 1500 die ständische Gesellschaft: den Adel mit den Drei Heiligen Königen, die Engel im liturgischen Gewand der Geistlichkeit und die Bauern mit ihren krachlastigen Instrumenten.

(Abb. 7 Jan de Beer, Anbetung der Hirten, 1515, Köln, WRM, Detail mit Dudelsack- und Schalmeispielern, rechts)

(Abb. 8 Peter Wtewael, Anbetung der Hirten, 17. Jh., Köln, WRM, links)

(Abb. 09 Dürer, Bauer mit Dudelsack, 1514, links)
(Abb. 10 Basel, Holbeinbrunnen mit Dudelsackspieler, 1545, rechts)

Musica Componit pellitque iram ardores
Musik vereint, sie vertreibt den Zorn und das Brennen

Eine recht große Eichenholztafel im Wallraf stellt eine Familie im Festtagsstaat dar, die sich orgelpfeifenartig vor einem Virginal, einem Vorläufer des Cembalos, postiert hat. Höchstwahrscheinlich handelt es sich, wie das Wappen des Butzenfensters im Hintergrund links andeutet, um die Gattin und die neun damals lebenden Kinder des Kölner Patriziers und erzbischöflichen Rates Christoph Wintzler im Jahr 1616.

(Abb. 11 Gottried von Wedig, Familie Wintzler, 1616, Köln, WRM)

Der Maler Gottfried von Wedig (1583-1641) gehörte zwar einer in Köln nur geduldeten evangelischen Familie an und wurde später auf dem protestantischen Geusenfriedhof einen Kilometer vor der Stadt bestattet, war aber wegen seines malerischen Könnens in Köln erfolgreich für die katholische Oberschicht tätig. Zu seinem Werk gehören Porträts der Kölner Haute Volée, Stillleben und Kopien nach mittelalterlichen Meistern. Malerisch war er also eine solide konservative Stütze des noch weitgehend mittelalterlichen Systems.

Der Auftraggeber war ein Vertreter des obersten Segments des Kölner Bürgertums und war als Vizekanzler und Zensor für den Erzbischof Ferdinand von Bayern tätig. Damit gehörte er zu einer Schicht der Kölner Bevölkerung, die stark durch die adelig-höfische Kultur ihrer Zeit beeinflusst war und sicherlich eine zeittypische Aristokratisierung der Kölner Stadtgesellschaft anstrebte. Nicht von ungefähr hielt sich der Rat oft in Bonn, der Residenz des Erzbischofs auf. Von 1607 bis 1615 lebte die Familie allerdings im Haus zum Engel am Alter Markt in Köln, also in bester Wohnlage mit Blick auf Kalledrießer und Platzjabbeck. Durch Archivrecherchen lässt sich bestimmen, wer auf dem Bild posiert. Die Mutter der Familie, Gertrud Schradts, sitzt am Spinett, mit den Fingern auf den Tasten, um sie herum links die Tochter Gertrud mit dem jüngeren Geschwisterchen Johann Theodor auf den Knien, der einen kleinen Papagei und einen Talisman mit Wolfszahn hält, die Töchter Anna Maria, Christina, Katharina, Elisabeth, Maria, dazu die Brüder Ferdinand, links unten Eitel Friedrich (sic!) mit einem Hündchen.

Durch die dokumentierten Geburts- und Sterbedaten der Kinder lässt sich die Entstehung des Werks genau auf 1616 festlegen. Der Talisman mit Wolfszahn, wohl eine Kinderrassel, sollte sicherlich vor dem Bösen und vor Krankheit beschützen, genauso wie die Korallenkette mit dem Medaillon, auf dem man das Konterfei des Erzbischofs ausmachen kann. Das Hündchen ist ein ambivalentes Tierchen, das einerseits Treue und Folgsamkeit, andererseits unkontrollierte Triebhaftigkeit verkörpern kann … – dazu gleich noch mehr. Der Papagei gilt als Symbol für die Muttergottes, da sein Ruf als „Ave“ gedeutet wird, also als natürliche Vorwegname des „Gegrüßest Seist Du, Maria“. Hündchen, Papagei und Medaillon deuten also im Familienporträt die Treue zu Kirche und Kirchenfürst an, nur zwei Jahre vor dem Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges.

Die Wintzlers umgeben sich mit den teuersten Luxusprodukten der damaligen Zeit: Gold- und rosa Brokat, seidene Schürzchen, Mühlsteinkrägen im spanischen Geschmack, extravagante italienische oder flämische Spitzen in Weiß, Rot und Gold, die für Diademe und Krägen verwendet werden. Inspiration ist hier teils die spanische, vor allem jedoch die französische Hofmode. Luxus wird auch durch die güldenen Vasen nach manieristischen Vorbildern des 16. Jahrhunderts auf dem Vertiko im Hintergrund verkörpert. Der Terminus „Vas“ ist den Zeitgenossen allerdings auch als Metapher für den zerbrechlichen menschlichen Leib als Gefäß der Seele geläufig gewesen, wie im Römerbrief 9,21 angedeutet wird: „Hat nicht der Töpfer Macht über den Ton, aus demselben Klumpen ein Gefäß zu ehrenvollem und ein anderes zu nicht ehrenvollem Gebrauch zu machen?“ Die Vasen stehen gleichsam für die zerbrechlichen Körper der Kinder, von denen eines noch im selben Jahr sterben sollte.

Hinzu kommt ein spektakuläres Tasteninstrument, das mit aufwändigen Holzintarsien verziert ist, wie sie damals gerade in Köln populär waren. Aus Italien kommend, hatten sich Holzeinlegearbeiten über Augsburg und Süddeutschland bis hin nach Köln verbreitet, wo die berühmte Intarsienwerkstatt des Melchior von Rheydt gerade den Senatssaal des Rathauses mit einem prachtvollen Gestühl ausgeschmückt hatte. Das Virginal ist nur mit einem relativ einfachen Flechtband- und Pflanzenornament verziert, über der Tastatur allerdings befindet sich eine Inschrift: Musik vereint, sie vertreibt den Zorn und das Brennen.

(Abb. 12 Gottried von Wedig, Familie Wintzler, 1616, Köln, WRM, Detail mit Intarsien)

Trotz des noch unklaren Urprungs dieser Sentenz ist klar, was gemeint ist. Musik besänftigt die starken Emotionen, bringt Harmonie unter die Menschen. Musik wurde schon um 1485 verwendet, um den kranken Papst Innozent VIII. zu heilen, während er auf seinem Krankenlager in einer mit gemalten musizierenden Engeln und Sängern geschmückten Loggia siechte; noch im 18. Jahrhundert ließ sich der spanische König Philipp V. vom Kastraten Farinelli in seiner Melancholie trösten, versuchte also Depressionen zu bekämpfen. Der italienische Höfling Baldassare Castiglione betrachtete Musik um 1520 als Teil der Ausbildung eines Adeligen und bemerkte hierzu: „Ihr werdet nicht den Hofmann seiner Musik berauben wollen, die nicht nur die menschlichen Seelen besänftigt, sondern darüber hinaus selbst die wilden Bestien sanft werden lässt. Wer sie nicht schätzt, kann davon ausgehen, dass in ihm die Geister der Zwietracht leben…“ Aber Castiglione geht noch einen Schritt weiter. Basierend auf Pythagoras schreibt er: „Ich erinnere daran, wie schon die Alten Musik als heilig feierten. Es war die Meinung der weisesten Philosophen, dass die Welt aus Musik bestehe und die Bewegung der Himmel Harmonie erzeuge…“. Die Harmonie der Sphären spiegelt sich in der Harmonie der menschlichen Beziehungen. Einträchtig reichen sich die Kinder die Hände; sie stehen für die Concordia einer idealen Gesellschaft. Im Widerspruch dazu steht eine Partitur auf dem Virginal. Es handelt sich um das Madrigal „Come potrò fidarmi giamai“ des wallonisch-italienischen Komponisten Jacobus Arcadelt. Der ins Deutsche übertragene Text lautet, wie folgt:

Wie kann ich dir je trauen, sag`s mir, treuelose Liebe
Wenn Du mir in einem Punkt Freude und Schmerz zugleich bereitest
Zur Stunde, als ich Dein Reich mitleidig betrat,
Zeigtest Du mir für meine treue Begleitung zwei heilige Lichter
mit süßen Worten bandest Du das Herz
Nun benimmt ein Klang mir jene Strahlen
So schnell bestiehlst Du mich
Verwandelst Hoffen und Freuden in Jammer
So roh beraubst du mich und plagst das HerzIndem Du mich bald hoffen und bald fürchten lässt.“

Im Gegensatz zum gelassenen Motto auf dem Spinett darunter beschreibt dieses Madrigal eine innere Zerrissenheit zwischen Hoffen und Hoffnungslosigkeit in Bezug auf die Liebe.

(Abb.13 Gottried von Wedig, Familie Wintzler, 1616, Köln, WRM, Detail mit Instrumentalpartitur: „Come potrò“ von Jacobus Arcadelt)

Wer im Bild fehlt, ist der Vater der Familie, Christoph Wintzler. Das Liebesmadrigal kann sich eigentlich nur auf die Unwägbarkeiten des Liebeswerbens zwischen den Geschlechtern beziehen. Ist man (also der Mann Christoph Wintzler) erst einmal in den Hafen der Ehe eingelaufen, endet diese Zerrissenheit zugunsten gemeinsamer Harmonie. Das Gemälde von Wedig gewinnt so eine gewisse Doppeldeutigkeit – es geht sicherlich um die höfische Sittsamkeit und das gute Benehmen innerhalb einer mit neun Kindern turbulenten Kölner Sippe, es geht auch um die Concordia innerhalb einer gut katholischen Stadt; es geht aber auch um das Bezwingen einer subversiven Emotion, des körperlichen Begehrens, das kanalisiert werden muss.

Das Virginal wurde erstmals von Paulus Paulirinus im Buch der 20 Künste um 1460 erwähnt. Volksetymologisch führt er den Namen auf lateinisch virgo, die Jungfrau zurück: „…Man nennt es Virginal, weil es wie eine Jungfrau mit weicher und süßer Stimme singt.“ An anderer Stelle wird der Name von virga ‚Rute‘ hergeleitet, da die Seiten durch Federkiele angeschlagen werden. Das Virginal war interessanterweise auch das Lieblingsinstrument ausgerechnet der protestantischen Jungfrauenkönigin Elisabeth I. von England, die es vorzüglich spielte und sich wie die Jungfrau Maria verehren ließ. Der Name des Instrumentes und die keusch guckenden Maiden vor dem selbigen lassen vermuten, dass es um die disziplinierende Funktion der Musik geht, die ja bis heute in Akademikerfamilien bekannt ist. Jedenfalls wirkt die Stimmung im Gemälde ungefähr so lustvoll wie ein SED-Parteitag.

Ganz anders ein kleines Gemälde von Johann Peter Hasenclever, einem Vertreter der Düsseldorfer Malerschule, der um 1850 ein kleines Hauskonzert abbildete.

(Abb. 14 Johann Peter Hasenclever, Abendgesellschaft, 1850, Köln, WRM)

In einem vornehmen Salon voller Pilaster, Bögen, Spiegel und Gemälde wird Hausmusik gemacht, die ein Duo – Sängerin und Sänger – und ein Pianist produzieren. Über dem Flügel baumelt eine milchweiße Glaslampe und taucht die Szenerie in heimeliges Licht. Die Beleuchtung betont die Hauptakteure mit ihren Partituren. Der Klavierspieler ist ein wohlbeleibter Herr mit Halbglatze und Zwicker auf der Nase, neben ihm steht eine junge Soubrette in brennend roter schulterfreier Robe und weißen Handschuhen, die sich, mitgerissen vom Gesang, nach vorne neigt. Hinter dem Pianoforte schmettert der etwas stupsnäsige Duettpartner mit ebenfalls erhobenen Notenblättern in ähnlich leidenschaftlichem Aktionismus. Der halbprivate Charakter des Ereignisses wird durch das leicht distanzlose Publikum unterstrichen. So hat sich ein recht wuchtiger älterer Herr neben der Primadonna niedergelassen, trommelt den Takt der Musik mit den Fingern auf der Lehne seines Sessels, während der kleine Junge zwischen seinen Beinen mit weit aufgerissenem Mund mitplärrt und ein Hündchen an ihm empor hüpft. Rechts stehen etwas dränglerisch zwei schneidige Herren mittleren Alters und begaffen die Sängerin, einer davon in blauroter preußischer Uniform, der es kaum schafft, seine Teetasse gerade zu halten. Sie werden nur durch den dicken Greis im Lehnsessel davon abgehalten mit der Gesangsdarbietung auf engere Tuchfühlung zu gehen. Es scheint sich um eine allseits bekannte Melodie zu handeln, da das Publikum im Saal emotional mitgeht.
(Abb. 15 Johann Peter Hasenclever, Abendgesellschaft, 1850, Köln, WRM, rechts)

Bei vielen Werken Hasenclevers handelt es sich um humoristische Kommentare, die an den etwa gleich alten Spitzweg denken lassen. Der Düsseldorfer Künstler verwendet eine skizzenhaft spontane Malweise, die in vielerlei Hinsicht auch an die etwas späteren Bilderbögen von Wilhelm Busch und deren respektlose Kommentare erinnert:

Beim Duett sind stets zu sehen

Zwei Mäuler, welche offen stehen.

Wilhelm Busch 1904

(Abb. 16 Wilhelm Busch, Der Virtuose, 1868)

Besonders eng ist die Beziehung zu Buschs Bogen „Der Virtuos“, der einen Pianisten im Musikrausch und die emotionalen Reaktionen eines Zuhörers pointiert beobachtet. Ähnlich wie Hasenclever arbeitet Busch mit doppelten Konturen und Bewegungslinien, um Dynamik auszudrücken. Hasenclever und Busch legen dabei den Finger direkt in eine Wunde. Eine Gesellschaft, die sich meist keine großen Gefühle erlaubte, schon gar keine erotischen Freiheiten herausnahm, erlaubte sich einen Freiraum im Bereich der Musik und der bildenden Kunst, der aber oft Risse in der bürgerlichen Fassade erzeugte.

(Abb. 17 Moritz von Schwindt, Schubertiade)

Typisch für die emotional aufgeheizte Atmosphäre während der Hauskonzerte waren die Schubertiaden, häusliche Veranstaltungen mit Musik Franz Schuberts, die ab 1821 stattfanden. Schubert selbst beschreibt ein derartiges Konzert in einem Haus in Linz: „Es war eine kleine Gesellschaft geladen. Nach dem Vortrage einiger wehmütiger Lieder geriet der weibliche Teil des Auditoriums ins Heulen, so dass das Schluchzen das Konzert Vogls und Schuberts zu einem vorzeitigen Ende brachte. Eine gute Jause (Kaffee und Kuchen) und Schuberts wie Vogls Humor brachten die Gesellschaft wieder in Ordnung.“

Abgesehen von der ventilartigen Funktion der Hauskonzerte dienten derartige Soireen auch als Schaulaufen für den Heiratsmarkt. Dieser Umstand mag das rege Interesse der beiden Herren rechts im Bild an der singenden Solistin erklären. Eine schöne Stimme scheint erotisches Signal gewesen zu sein. Von einem Mädchen der höheren Gesellschaft wurde aber neben traditionellen hausfraulichen Qualitäten auch erwartet, dass sie für die Unterhaltung im privaten Rahmen sorgen sollten. Gutes Beispiel ist ein Wiener Klavier von Andreas Landschütz, dass im Museum für angewandte Kunst in Köln aufbewahrt wird: Hier wird das Klavier kombiniert mit einem Behälter für Näh- und Stickzeug. Wenn die Frau des Hauses nicht die Abendgesellschaft klimpernd unterhielt, stopfte sie ihr die Strümpfe; stopfte sie nicht Strümpfe, sorgte sie für Koloraturen.

Musik ist angenehm zu hören,

doch ewig braucht sie nicht zu währen.

Wilhelm Busch, 1904

(Abb. 18 Andreas Landschütz, Wien, Tafelklavier mit Stauraum für Nähzeug, 1820, Köln, MAKK)

Bildnachweise:
Abb. 1 Stephan Lochner, Weltgericht, ca. 1435, Detail, Köln, WRM) Autor
Abb. 2 Stefan Lochner, Madonna im Rosenhag, um 1450, Köln, WRM) Autor
Abb. 3 Stefan Lochner, Madonna im Rosenhag, um 1450, Köln, WRM, Detail mit Portativ) Autor
Abb. 4 Stefan Lochner, Madonna im Rosenhag, um 1450, Köln, WRM, Detail mit Harfe und Laute) Autor
Abb. 5 Klarissenaltar, Köln, 1340-50 ca. Detail mit Verkündigung an die Hirten) Autor
Abb. 6 Jan de Beer, Anbetung der Hirten, 1515, Köln, WRM) Autor
Abb. 7 Jan de Beer, Anbetung der Hirten, 1515, Köln, WRM, Detail mit Dudelsack- und Schalmeispielern) Autor
Abb. 8 Peter Wtewael, Anbetung der Hirten, 17. Jh., Köln, WRM) Autor
Abb. 09 Dürer, Bauer mit Dudelsack, 1514) Wikipedia Commons
Abb. 10 Basel, Holbeinbrunnen mit Dudelsackspieler, 1545) Wikipedia Commons
Abb. 11 Gottried von Wedig, Familie Wintzler, 1616, Köln, WRM) Autor
Abb. 12 Gottried von Wedig, Familie Wintzler, 1616, Köln, WRM, Detail mit Intarsien) Autor
Abb.13 Gottried von Wedig, Familie Wintzler, 1616, Köln, WRM, Detail mit Instrumentalpartitur: „Come potrò“ von Jacobus Arcadelt Autor
Abb. 14 Johann Peter Hasenclever, Abendgesellschaft, 1850, Köln, WRM) Autor
Abb. 15 Johann Peter Hasenclever, Abendgesellschaft, 1850, Köln, WRM) Autor
Abb. 16 Wilhelm Busch, Der Virtuose, 1868) Wikipedia Commons
Abb. 17 Moritz von Schwindt, Schubertiade) Wikipedia Commons
Abb. 18 Andreas Landschütz, Wien, Tafelklavier mit Stauraum für Nähzeug, 1820, Köln, MAKK) Colsman, Edla: Möbel – Gotik bis Jugendstil, Kataloge des Museums für Angewandte Kunst, Stuttgart 1999, ISBN 3-9253-6908-2, Abbildung Seite 341