Die Faust am Rhein | Macht und Stadtgestalt in Koblenz
Im Sommer 1930 unternahm Kurt Tucholsky einen Spaziergang am Deutschen Eck in Koblenz: „Wir gingen auf der breiten, baumumstandenen Allee mit den Fotografenbuden, dann standen da keine Bäume mehr, ein freier Platz, ich sah hoch … und fiel beinahe um. Da stand – Tschingbumm! – ein riesiges Denkmal Kaiser Wilhelms des Ersten: ein Faustschlag aus Stein. Zunächst blieb einem der Atem weg.“
In Atemlosigkeit kann heute noch verfallen, wer knapp und dennoch präzise, halt so, wie es dem um redliche Rede bemühten Reiseleiter geziemt, die 200 Jahre deutscher Geschichte, welche sich um das 1897 enthüllte Reiterstandbild des ersten Kaisers des Reichs von 1871 und seiner gegenwärtigen Inszenierung floren, zur Sprache bringen will. Eigentlich rekurriert die zwölf Stockwerke hohe, als Pendant zum Niederwalddenkmal an den Hängen des Taunus verstehbare Allegorie der kaiserlichen, vor allem gegen Frankreich gerichteten „Wacht am Rhein“ (Max Schneckenburger, 1840) auf 1.200 Jahre Geschichte deutscher Reichsideen. Wer gemäß Geschichtsbild des 19. Jahrhunderts auch noch dahinter rückwärtsdenken möchte und Karl den Großen als ersten römisch-deutschen Kaiser nach dem Untergange Roms im Jahre 455 betrachten mag – sockelinschriftlich indirekterweise tut jenes „Wilhelm dem Großen“ gewidmete Monument genau dies – der erkennt in JEnem den geballten Handabdruck von 2.000 Jahren imperialer Geschichte am Rhein.
Confluentes
„Confluentes“, die „Zusammenfließenden“ nannten die Römer ihr im Jahre 16 am Zusammenfluss von Mosel und Rhein gegründetes Auxiliarlager. Der Standort wuchs strategisch zu allergrößter Bedeutung. Denn hier war die Schnittstelle und der wichtigste Verkehrsknotenpunkt zwischen den administrativen Zentren jener drei Provinzen, die über hunderte von Kilometern, von der Nordsee bis an die Alpen, dem feindlichen Barbarenland im Osten direkt gegenüberlagen: die rheinischen Provinzen Germania Superior mit Verwaltungssitz in Mainz und Germania Inferior mit Köln sowie die Provinz Belgica mit Amtssitz des Ende des 3. Jahrhunderts sogar zur kaiserlichen Residenz aufsteigenden mosellanischen Trier.
Confluentina
Ziemlich genau entlang dieser römischen Provinzgrenzen begannen sich bereits in der Spätantike die einflussreichsten geistlichen Fürstentümer des „Heiligen Römischen Reichs“ des Mittelalters auszubilden: die Bistümer und späteren Erzbistümer Mainz, Köln und Trier. Die politische und wirtschaftliche Achse des Sacrum Imperium war der Rhein. Trier, weit am oberen Mosellauf gelegen, war in eine Randlage geraten und markierte die äußerste Grenze im Westen des Reichs. Und so drängte es ab dem im 11. Jahrhundert auch die Herren der vormaligen Augusta Treverorum an den Rhein. Anfang des 14. Jahrhunderts schloss Erzbischof Balduin, Bruder Kaiser Heinrich VII. von Luxembourg, den Ausbau Koblenz‘ zur kurtrierischen Residenz ab und trat damit in geographische Augenhöhe zu Kurmainz, Kurköln und der rheinischen Kurpfalz. Alte Burg und Balduinsbrücke sind seither Zeugen der Trierischen Herrschaft am Rhein-Mosel-Eck.
Kobolentz
Nach weiteren 200 Jahre ließ Erzbischof Richard von Greifenklau zum Schutz der Koblenzer Rheinflanke die ebenfalls seit Anfang des Jahrtausends in trierischem Besitz befindliche Burg Ehrenbreitstein am gegenüber liegendem Ufer zur Bastion ausbauen. Damit hatte Richard unübergehbar seinen Fuß in die Nähe der von Kurpfalz und Kurmainz beanspruchten Gebiete auf der rechten Seite des Mittelrheintals gesetzt. Wieder ein Säkulum später, in Zeiten des Dreißigjährigen Kriegs und zu Beginn eines über Jahrzehnte nicht enden wollenden Belagerns und Beschießens von Stadt und Festung durch Schweden, Kaiserliche und Franzosen verlegte Erzbischof Philipp Christoph von Sötern auch die kurtrierische Residenz ans andere Ufer, an den Fuß des Ehrenbreitstein.
Coblence
Die Residenz von dort aus wieder rüber, auf die linke, die Koblenzer Seite – das war des letzten Trierer Kur- und Erzbischofs, Clemens Wenzeslaus von Sachsen, letzte große Amtshandlung. Das bis 1793 im späten Louis-Seize-Stil erbaute neue Residenzschloss war soeben bezugsfertig, als der Bauherr vor den anrückenden Truppen französischer Revolutionäre fliehen musste. Aus „Kobolentz“ ward „Coblence“. Mit dem Frieden von Lunéville fiel es 1801 formal an Frankreich und wurde Hauptstadt des französischen Département de Rhin-et-Moselle, das im Wesentlichen die nun untergegangenen kurtrierischen, kurkölnischen und kurpfälzischen Gebiete umfasste.
Coblenz
Mit dem Wiener Kongress fiel das Rheinland an Preußen. Aus Koblenz wurde eine Stätte deutschnationaler Behauptungs- und Erinnerungskultur. Gleich mit Übernahme der Rheinlande durch das Haus Hohenzollern wurde jenes letzterbaute Schloss zum Amts- und Gerichtsgebäude umfunktioniert und von der königlich-preußischen Familie bewohnt. Mit Ausbau der Bastion auf dem Ehrenbreitstein und Anlage eines stadtumweitenden Rings von Forts und Schanzen wandelte sich Koblenz ab 1815 zur nach Köln zweitgrößten Festungsanlage Europas. „Coblence“ war nun „Coblenz“, Regierungssitz der preußischen Rheinprovinz.
Koblenz
Die großzügigen, rheinseitigen „Kaiserin-Augusta-Anlagen“, bis ins 20. Jahrhundert sukzessive bestückt mit Helden und Malen der antinapoleonischen sogenannten Befreiungskriege und des deutschen Einheitsgedankens, initiierte Augusta von Sachsen-Weimar-Eisenach, Gattin des Jetzt-König-später-Kaisers Wilhelm der Erste von Preußen. Die Kaiserin wollte sich als dem Volke zugewandt erweisen; die Anlagen wurden ab 1856 als öffentlicher Promenadenpark angelegt. An dessen rheinunterem Ende, dort, wo die Mosel müde in den zwischenzeitlich zu „Der Deutsche Strom“ umbenannten heiteren Nibelungenstarken mündet, befindet sich das Kaiser-Wilhelm-Denkmal am begrifflich wie natürlichem Deutschen Eck.
Das bereits 1888, in des Kaisers Todesjahr projektierte Erinnerungsmal sollte dem „Andenken an die glorreiche Regierung Sr. Majestät“ dienen. In einem Fauststreich mit dem Ansinnen des Andenkens wurden die seit Ludwig dem Frommen mehrfach als Elektionsort für fränkisch-deutsche Herrscher genutzte St. Kastorkirche in unmittelbarer Nähe sowie das aus dem 13. Jahrhundert stammende Deutschherrenhaus zu Stätten nationaler Selbstvergewisserung umgedeutet. Zum Nachweis eigener nationaler Größe ließ Wilhelm der zweiundletzte deutsche Kaiser 1902-06 zwischen dem kurfürstlichen alt-neuen Schloss und seinem Kaisergroßvater zu Ross das heute vom Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) genutzte Regierungsgebäude im mittelalterlich-staufischem Stil – Sie wissen ja: der Staufer Friedrich Barbarossa, welcher im Kyffhäuser bei seinem Barte festgewachsen sitzt und der Wiederkehr des guten alten Reiches harr-harr-harrt – errichten.
Deutschlande
War der schiffsbugähnliche Ausbau der Mündungsstelle von Mosel und Rhein am „Deutschen Eck“ bereits bei Errichtung des Kaiser-Wilhelm-Denkmals als bauliches „Voran!“ der geradewegs in Chauvinismus und Militarismus führenden national-autokratischen Strömungen gedacht, so stellte sich nach dem Ende dieses Andenkens von des Kaisers gebeuter Herrlichkeit durch eine amerikanische Artilleriegranate im März 1945 die Frage, ob überhaupt und was denn nun auf dem jetzt leeren Kommandosockel des versenkten Schiffes stehen könnte. Die anathemnehmende Folge anachronistischer Umdeutungen, Erweiterungen des Denkmals zum Potpourri, zum bunten Blumenstrauß deutscher Verfasstheit mag für sich stehen: 1953 widmete Theodor Heuss den leergeschossenen Sockel zum Mahnmal der selbstverlorenen deutschen Einheit um, wurden die Wappen aller deutschen Länder einschließlich der ehemaligen Ostgebiete in die Sockelringwand gesetzt, welche seither und immer und noch und trotz Willi Brandt dort eingefügt, welche 1990 durch die Namen der seit dem davor vergangenen Jahr sich in die Baldvergangenheit verabschiedenden Bundesländer der DDR ergänzt wurden, welche 1992 in wendisch-flatternder Gestalt als die „neuen deutschen Länder“ nebst den Fahnen der „alten“ an der Reeling des Rhein-Mosel-Schiffsbugs Heißung fanden, welche seit 1993 dem rekonstruierten Hohenzollern-Chevallier Parade steh‘n …
MS Deutschland
Das erneuerte Standbild Kaiser Wilhelms I. am Deutschen Eck wurde nicht wie das Original mit der Faust in Kupfer geschlagen, sondern gegossen. Wohin fließt ihr, Mosel, Rhein? Wohin steuerst, großes Land am Strom?
Unsere Empfehlung:
Begleiten Sie Markus Juraschek-Eckstein nach Koblenz! Herzliche Einladung zur Erkundung am 4. Juni 2022:
4. Juni 2022 (Sa.)
Die Faust am Rhein
Koblenz: Stadtgestalt und Ausdruck von Herrschaft
Bildnachweis:
© H. Weinandt – CC BY-SA 30 commons wikimedia
12. Mai 2022 || ein Beitrag von Markus Juraschek-Eckstein, Kunsthistoriker und Germanist