Arthur Honegger: zur Schweizer Seele des französischen Komponisten – Mehr im Blog der Akademie

Arthur Honegger: zur Schweizer Seele des französischen Komponisten

Honegger - ein Musiker in der Schweiz - Mehr im Blog der Akademie (6)

Gedenktafel in Le Havre          (gemeinfrei)

Le Havre im 19. Jhdt.: Schweizer Kaffee-Importeure machen in Frankreichs Hafenstadt gute Geschäfte. So auch die Honeggers aus Zürich, deren Sohn Arthur schon als Kind vom Opernvirus infiziert wird und später in die Obhut Friedrich Hegars gerät, dem Meister   Kompositionslehre am Zürich Konservatorium. Mit Brahms-, Strauss-, Reger-, und Mahlerklängen wird der 17-Jährige in die deutsche Romantik eingeweiht, bevor er ab 1911 in Paris bei Maître Gédalge sowohl die französische Moderne seit Debussy wie auch den Künstlerkreis um Picasso, das russische Ballett und die Dichtung Apollinaires kennenlernt. Am Conservatoire studiert auch Andrée Vaurabourg, eine hervorragende Pianistin aus der Bretagne: seine zukünftige Frau. Honeggers erstes Streichquartett wird unter der Fuchtel seines Lehrers eine Zangengeburt, ein nervöses, z.T. wildes Werk, dessen dritter Satz mit seinen stampfenden und spröden Quintengriffen in Bratsche und Cello an Stravinsky erinnert:

Erstes Streichquartett von 1917, 3. Satz

Bald schon gehört Honegger zur «Groupe des Six», der berühmten Pariser Komponisten-Gilde der Avantgarde um Jacques Ibert und dem Dichter-Maler Jean Cocteau. In der Schweiz werden Ernest Ansermet und der Winterthurer Mäzen Werner Reinhart auf ihn aufmerksam. Man schickt ihn nach Wengen, wo er am Fuß der drei Alpen-Giganten ein impressionistisches Orchesterstück schreibt, die Pastorale d’Été, wo heimatliche Hornstösse dem Alphorn huldigen und wo der idyllische Klarinettengesang Beethovens «Pastorale» durchschimmern lässt:

Klarinettenmelodie          

Beethoven: Pastorale (Anfang)

In den 1920er-Jahren schreibt Honegger gegen den Moloch der Technikwelt an, vor allem aber gegen den aufkommenden Faschismus. Nach dem für Solothurn komponierten Oratorium Cris du Monde entsteht eines seiner Schlüsselwerke:

Nicolas de Flue (1939-1940)

Im Sinne der «geistigen Landesverteidigung» gilt für Schweizer Künstler, den hiesigen Nazi-Frontisten substantiell entgegenzuwirken. Honegger, inzwischen bekannt für seine großen Werke wie Pacific 231, Le Roi David, Jeanne d’Arc au bûcher, Cantique des cantiques und La Danse des morts, erarbeitet in Paris zusammen mit dem Neuenburger Dichter Denis de Rougemont ein opernähnliches Projekt, in der äußeren Form dem ‘Welttheater’ Calderons nachgebildet. Nicolas de Flue erinnert an den heiligen Eremiten in Flühli-Ranft, der im 15. Jahrhundert als weiser Mann in politischen Konflikten zu vermitteln verstand. Honeggers Werk beschränkt sich auf einen gemischten Chor, einen Kinderchor, den Erzähler (Baryton) und ein Blasorchester. Zu Beginn ertönt die Klage der zurückgelassenen Familie, vom f-moll in G-Dur hinübergleitend:

«Solitaire!» (Du Einsamer!»)

Der Ruf nach Bruder Klaus’ Rat ertönt sogar von jenseits der Landesgrenze: Er möge doch im Konflikt zwischen Österreich und Burgund dem Habsburger Heer gute Schweizer Söldner vermitteln.

Doch Bruder Klaus lehnt ab und beschwört die Eidgenossen, sich nicht als Reisläufer zu stellen (sein pazifistischer Grundsatz «Mischt euch nicht in fremde Händel!» gilt als früher Leitspruch der Neutralität). Doch die Männer wittern in Burgund reiche Beute, schlagen Klaus’ Ermahnung in den Wind und stürzen sich in den Kampf. Honegger lässt hier lautes Blech auffahren, Musik zum Kampf mit Hellebarden und Lanzen!

1481 droht ein Bürgerkrieg zwischen den Land- und Stadtkantonen. Die Tagsatzung zu Stans (bei Luzern) soll die Lage klären. Man ruft Bruder Klaus aus dem Ranft herbei, der die erhitzten Gemüter beschwichtigt und damit den Konflikt abwenden kann. Musikalisch antwortet die Musik auf die Stanser «Friedenskonferenz» mit einem hymnischen Schlusschor, der Haendels «Alleluja» in Erinnerung ruft.

Noch ist der Huldigung an die Schweiz nicht genug: In Appel de la Montagne von 1943 über einen euphorischen englischen Touristen des 19. Jahrhunderts im Berner Oberland schleichen sich diverse Schweizer Lieder durch die Partitur, allen voran das heute noch sehr beliebte «Lueget vo Bärg und Tal», ein an romantischer Bergidylle nicht zu überbietender Gesang, hier allerdings von neckischen Dissonanzen begleitet.

Original-Handschrift des Volkslieds von 1824 mit einer dem Alphornklang nachempfundenen Melodie (gemeinfrei)

Nach dem Krieg weilt Honegger oft in der Schweiz (in Sils-Maria, bei den Luzerner Festwochen und sehr oft bei Paul Sacher in Pratteln/Basel). Sacher zu Ehren komponiert er 1946 seine Vierte Symphonie, dessen ‘Larghetto’ im Horn-Solo das Basler Lied «Z’Basel an mim Rhy» (In Basel an meinem Rhein) zitiert, eine Melodie, die in witziger Manier von Flöten- und Klarinetten-Girlanden umsponnen wird.

Zu den Feierlichkeiten des Zürcher Beitritts zur Eidgenossenschaft vor 600 Jahren schreibt Honegger 1951 seine Sechste Symphonie genannt Monopartita, die von majestätischen Klängen im Stil der ‘französischen Ouvertüre’ eröffnet wird und im anschließenden ‘Adagio’ dafür mit innig-nostalgischen Melodie-Bögen aufwartet:

Die Holzbläser reichen sich gegenseitig den Stab weiter

Honeggers 60. Geburtstag wird landesweit mit vielen Konzerten gefeiert. Doch sein krankes Herz hält die Stellung nicht mehr lange. Nach verschiedenen Klinikaufenthalten in der Schweiz kehrt er 1954 definitiv nach Paris zurück.

In seinem Pariser Domizil 1949 (© Pascale Honegger)

Hier verlässt der das Haus kaum noch, höchstens für Besuche bei seinen letzten Freunden Darius Milhaud und Francis Poulenc. Zu Hause entsteht noch sein letztes Werk, die Cantate de Noël. Arthur Honegger stirbt am 27. November 1955 mit 63 Jahren, in den Armen seiner Frau Andrée.

Q U E L L E N :

Halbreich Harry, L’Oeuvre d’Arthur Honegger, éd. Champion, Paris 1994

Halbreich Harry, Arthur Honegger, éd. Slatkine, Genève 1995

Tchamkerten Jacques, Arthur Honegger, éd. Papillon, Drize/Genève 2005

Jost Peter (Hrsg.), Arthur Honegger, Werk und Rezeption, P. Lang, Bern 2009

D I S C O G R A P H I E :

Erstes Streichquartett : Amati Quartett 1985

Nicolas de Flue : Youtube-Video von 2016, Kirche Murten, mit Harmonie La Concordia Fribourg und dem Chor St-Pierre von Bulle, Ltg. Jean-Claude Kolly (+CD)

Appel de la Montagne : Orch. Des Südwestfunks Baden-Baden mit dem Komponisten am Pult (Youtube audio 1949)

Vierte Symphonie: Bayerisches Symphonieorchester, Charles Dutoit Youtube audio)

Monopartita: Orchester der UdRSS, G. Rozhdestwensky (Youtube audio)

9. Oktober 2024 || ein Beitrag von Josef Zemp, Studium der Romanistik und Musikologie in der Westschweiz und in Frankreich (Doktorat). Parallel dazu Berufsausbildung am Konservatorium (Cello und Klavier) – Cello-Diplom.

Seit 2021 verfasst Josef Zemp Artikel für den Blog der Akademie. In diesem Zeitraum ist eine vielfältige Sammlung von Beiträgen entstanden, die Sie hier nachlesen können.