Humanistisches Frühlingslied

Amsel, Drossel, Star und Fink
singen Lieder vom Frühlink,
machen recht viel Federlesens
von der Gegenwart, vom Präsens.

Krokus, Maiglöckchen und Kressen
haben längst den Schnee vergessen,
auch das winzigste Insekt
denkt nicht mehr ans Imperfekt.

Hase, Hering, Frosch und Lachs,
Elke, Inge, Fritz und Max —
alles, alles freut sich nur
an dem Jetzt. Und aufs Futur.

Heinz Erhardt

Humor ist Ansichtssache. Aber wenn es um Heinz Erhardt geht, sind sich viele einig. Der Mann hatte Humor. Besonders mit seinen Gedichten traf er den Nerv der Gesellschaft. In ihrer feinen Komik und ihrer enormen Wortgewandtheit fordern sie so manches Mal zu einem zweiten und auch dritten Lesen auf, erst dann – so kommt es vor – beginnt der Lesende zu grinsen und zuweilen schallend zu lachen.

Wer beim Genuss der Wortjonglage zwischen den Zeilen Erich Kästner oder Christian Morgenstern hindurchblitzen sieht, hat ganz recht, denn Heinz Erhardt hatte großen Spaß an den Werken dieser Schreiber. So widmet auch er sich der Kunst der Wortspiele und der Verdrehung von Redewendungen, die so manchen kurz an sich zweifeln lassen. „Moment, heißt das nicht…“, um dann zu merken: Genau das war der Plan des Dichters. Man fühlt sich ertappt, ist man dem Mann doch gerade auf den Leim gegangen. Denn das zeichnet viele seiner Werke aus: Er schaute, wie man so sagt, dem Volk auf’s Maul und widmete sich immer wieder – in Film, wie in Literatur – dem „typischen Deutschen“. Zuweilen kippt der Spaß gar in Richtung des schwarzen Humors, Vergänglichkeit und Tod nimmt er mit auf die Schippe. Das lässt so manchen Lesenden kräftig schlucken, doch wenn man sich wieder erholt hat, siegt doch meist der Lachmuskel.

Den Frühling nun nimmt er zum Anlass für diverse Späße. Er setzt Wortverfremdungen ein, damit der Reim ein Reim ist und geht so auf ironischen Kurs auf die klassische Dichtung.  Gleichzeitig werden Pflanzen, Tiere und Menschen, als seien sie alle persönliche Bekannte von Dichter und Leser, gemeinsam aufgezählt, offenbar eine große (Wohn-)gemeinschaft. Ganz nebenbei gibt es noch Nachhilfe in Grammatik – für jeden gratis dazu. So klein und unscheinbar das Gedicht daherkommt, so viel steckt drin, denn bei dem Mann mit der überkämmten Glatze zählt jedes Wort. Und mit diesem Spaßgefühl im Bauch entgeht doch nicht: Der Frühling kommt, und das ist schön!

© Jill Wellington auf pixabay

20. März 2024 || ein Beitrag von Akademiereferentin Judith Graefe