Dr. Ursula Nothelle-Wildfeuer ist Professorin für Christliche Gesellschaftslehre an der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg.
Gemeinsam mit der Thomas-Morus-Akademie lädt sie zur Tagung „Instrumentalisierung der Weltkirche? Aktuelle Reformdebatten in der katholischen Kirche“ vom 27. bis 28. März 2020 (Fr.-Sa.) in Bensberg ein.

Immer wieder kann mal lesen und hören, dass kirchliche Reformen in Deutschland wegen der Befindlichkeiten der Weltkirche nicht möglich sind. Was halten Sie von diesem Argument?

Das Argument ist völlig undifferenziert und von daher nicht sinnvoll. Zum einen gibt es kirchliche Reformanliegen auf sehr unterschiedlichen Ebenen, und zum anderen geht es nicht um „Befindlichkeiten der Weltkirche“. Deutschland kann bestimmte Reformen vor Ort angehen und über deren Umsetzung entscheiden, wie z.B. die konkrete Ausgestaltung der Strukturen in den Diözesen – und damit auch die Gestaltung und Verteilung von Macht in den Ortskirchen. Für andere Anliegen kann die Kirche von Deutschland als Teil der Weltkirche Impulse und Argumente in einen weltkirchlichen Diskurs und Pro einbringen und in diesem auch von anderen Teilkirchen, deren kultureller Prägung, deren Erfahrungen und Anliegen lernen. Schon jetzt gibt es große Unterschiede – so kennen z.B. nur Deutschland, Österreich, die Schweiz und die Niederlande den Beruf des Pastoralreferenten bzw. der Pastoralreferentin.

Ist das Bild der Bistümer als „Filialen“ der Weltkirche mit Rom als Zentrum noch zeitgemäß?

War das Bild denn überhaupt schon jemals zeitgemäß? Grundgelegt wurde es mit spezifischen Akzentuierungen im 19. Jahrhundert und im I. Vatikanum. Ein solches Verständnis kann aber doch – pragmatisch betrachtet – fälschlicherweise erst Anspruch auf Realisierung stellen in einem Zeitalter wie dem unsrigen, in dem Kommunikation auch über große Distanzen in Echtzeit funktioniert. In früheren Zeiten gab es schon allein aufgrund langwieriger Rückmeldeprozesse eine entsprechende Eigenständigkeit der Ortskirchen und auch ein unterschiedliches Tempo. Die Rede von den „Filialen“ widerspricht aber, und das ist weitaus bedeutsamer, theologisch auch dem, was das Zweite Vatikanum in der Kirchenkonstitution „Lumen gentium“ Nr. 8 ausformuliert hat: Die Kirche ist wahrhaft gegenwärtig in den Teilkirchen (lat.: subsistit)! Das ist etwas ganz anderes als „sie besteht aus Teilkirchen“ – das wäre eher das Filialen-Denken.

Wie sieht für Sie eine Weltkirche aus, in der die Einheit trotz aller Verschiedenheit in den Frömmigkeitsformen oder auch den Theologien gewahrt bleibt? Oder sollten wir uns von Einheitsvorstellungen verabschieden?

Die katholische Kirche ist sicher weder einfach ein global player mit vielen Filialen noch eine Vereinigung von autarken Einzelorganisationen. Verabschieden sollten wir uns von einer monolithischen Vorstellung von Einheit, ich möchte lieber die viel strapazierte, aber immer noch gültige Rede von der Einheit in der Vielfalt bemühen: nicht Einheit mit einem zähneknirschenden Zugeständnis an gewisse, aber unbedeutende Verschiedenheitselemente, sondern die eine Kirche Jesu Christi in vielfältigen, kulturell und rituell unterschiedlichen, theologisch pluralen Ausdrucks- und, mehr noch, Existenzweisen, die sich gegenseitig bereichern und jeweils auch im Laufe der Geschichte weiterentwickeln. Das wiederum ist Ausdruck des konziliaren Ansatzes von der Kirche, die als wanderndes Volk Gottes unterwegs ist mit den Menschen – mit all den unterschiedlichen Menschen und Völkern überall auf der Welt.

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten: Wie sähe dann „Ihre“ Weltkirche aus?

„Meine“ Weltkirche ist eine Kirche, die zu allen Zeiten und an allen Orten mit den Menschen unterwegs ist, ihre Freude und Hoffnung, ihre Trauer und Ängste teilt (so wie es das Zweite Vatikanum in der Einleitung zu „Gaudium et spes“ formuliert hat), selber immer wieder neu lernt, wie ihre Botschaft zu verstehen ist und so ihre befreiende und erlösende Botschaft in die jeweilige Situation der konkreten Menschen hinein bezeugt. Es ist eine Kirche, die nicht Angst hat vor der bösen Welt und sich aus ihr in kleine Nischen zum Überwintern zurückzieht, sondern die überall dort in der Welt präsent ist, wo Menschen sind, eine Kirche also, die Weltkirche als Kirche in der Welt ist.

Sehr geehrte Frau Prof. Dr. Nothelle-Wildfeuer, vielen Dank für das Gespräch. Wir freuen uns auf die gemeinsame Veranstaltung.
Die Fragen stellte Dr. Michael Hartlieb, Referent in der Thomas-Morus-Akademie Bemsberg.

Hier geht es zum Programm „Instrumentalisierung der Weltkirche?“.

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Bild: Ursula Nothelle-Wildfeuer (privat)