Gefaltet, gedehnt, zum Fließen gebracht – Zaha Hadid und das MAXXI in Rom
„Das Maxxi ist also eine mögliche zeitgenössische Umdeutung der Faltung nach Deleuze im architektonischen Sinne, wo die Aneinanderreihung der Formen im Raum die Wahrnehmung des Besuchers rhythmisiert. Diese Raumgliederung umschreibt heterogene und wandelbare Volumen in Hinblick auf verschiedene Blickpunkte und Perspektiven. Es handelt sich in anderen Worten um die „Tendenz der Materie, den Raum zu überfluten, um sich mit dem Fließenden zu versöhnen, zu gleicher Zeit wie die Wasser sich selber in Massen verteilen.“
Pamela Bianchi
Sprachdadaismus?
Mag sein. Vielleicht haben Sie da recht. Wir werden das Zitat am Ende des Textes erklären, halten Sie also noch etwas durch, bitte.
Wer die journalistische und geisteswissenschaftliche Literatur zu Zaha Hadid (und zu anderen Architekten der vergangenen 20 Jahre) liest, stößt immer wieder auf die Unzulänglichkeit der Sprache, die daran scheitert, die gesehenen komplexen Strukturen zu beschreiben.
29. Oktober 2020 || ein Beitrag des Kunsthistorikers Dr. Till Busse
Mancher Autor versucht, diese Architektur in ein philosophisches System einzupassen, mit dem sie nicht unbedingt viel zu tun hat. Oft wird auf die Dekonstruktion Derridas verwiesen, in diesem Fall eher auf die Gedanken des Philosophen Gilles Deleuze. Tatsächlich erschien in der Presse eine Unzahl von Artikeln, die dem Phänomen dieses vielschichtigen Baues etwas hilflos mit freiem Assoziationsbombardement begegneten.
Das MAXXI Rom ist ein Kunst- und Architekturmuseum für das 21. Jahrhundert und wurde 2010 nach 11-jähriger Bau- und Planungsphase eröffnet. Schon ein Jahr vorher hatte man den fertigen, noch leeren Kunstpalast dem Publikum gezeigt, bevölkert durch eine Tanzperformance von Sasha Waltz. Bei dem 1999 ausgeschriebenen Wettbewerb hatte eine Jury aus 273 eingereichten Vorschlägen den Entwurf von Zaha Hadid ausgewählt, einer irakisch-britischen Architektin, die sich gegen bekannte Namen wie Rem Koolhaas und Jean Nouvel durchsetzte. Der nicht eben preisgünstige Plan kostete 150 Millionen Euro bei einer Bauzeit bis 2009, war aber nach langer Durststrecke eines der ersten Großprojekte, die Zaha Hadid verwirklichen konnte. Vor 1998 hatte die Künstlerin an einem Dutzend internationaler Ausschreibungen teilgenommen, aber außer großem Lob keine Aufträge heimbringen können. Die mathematisch komplexen Entwürfe waren schwierig umzusetzen und galten als nicht baubar. Das mag der Grund gewesen sein, weshalb Zaha Hadid mit ihrem Beitrag für den Wettbewerb in Rom auf konventionellere Muster zurückgriff und ihre Utopien einem Realitätstest aussetzte.
Die Architektin entstammte einer bildungsbürgerlichen Familie in Mosul und zog nach einem Studium der Mathematik in Beirut nach London um, wo sie unter anderem Mitarbeiterin von Rem Koolhaas wurde. Ihre frühen Arbeiten waren durch die Beschäftigung mit eigentlich gegensätzlichen Strömungen der russischen Kunst und Architektur der 1920er Jahre geprägt. Sie beschäftigte sich mit dem Suprematismus Malevitchs, einer durchgeistigten, kosmischen Malerei mit einfachsten geometrischen Formen. Auch der Konstruktivismus der Architekten El Lissitzky, Tatlin und des Bildhauers Antoine Pevsner spielte eine Rolle in ihrem Frühwerk. Diese Kunst wurde in den 1970er Jahren im Westen wiederentdeckt und entfaltete einen enormen Einfluss auf die jungen Architekten der Zeit. Hadid legte viele ihrer nicht gebauten Projekte zunächst wie suprematistische Gemälde an; die fließenden Formen vieler späterer Bauten finden sich in Skulpturen der frühen Avantgarde, etwa bei Boccioni oder Arp.
Abb. 2 A. Pevsner, Dritte und Vierte Dimension, Den Haag, Johan de Witt – Laan
Ihre Teilnahme an architektonischen Ausschreibungen verlief nach einem sich wiederholenden Muster. Meist gewann Hadid den Wettbewerb, dann scheiterten die Projekte an der Skepsis der eigentlichen Bauherren. Eklatantester Fall war das Opernhaus von Cardiff, dessen Ausschreibung Hadid mehrmals gewann, es jedoch nie baute, unter anderem wegen einer polemischen Kampagne der britischen Boulevardpresse. Erst seit Anfang der 90er Jahre wurden ihre Bauten verwirklicht, vor allem durch deutsche Mäzene. Das Feuerwehrhaus für Vitra in Weil am Rhein, das Phaeno in Wolfsburg und das Zentralgebäude für BMW in Leipzig sind mittlerweile Architekturikonen.
Für Rom war das Museum ein Wagnis, da Italien bis Ende der 1990er Jahre nur sehr wenige Sammlungen zeitgenössischer Kunst zeigte. Es gab Kollektionen in Mailand, Turin, Venedig, die Fondazione Pecci in Prato; sonst war die Moderne meist integriert in Sammlungen des 19. und 20. Jahrhunderts. Es gibt bis heute eine tief verwurzelte Abneigung gegen das Zeitgenossentum. Der Ballast einer dreitausend Jahre zurückreichenden Kunstgeschichte ist nicht immer förderlich für einen Blick nach vorne. Die italienische Kultur ist durch den Gedanken der Parodie oder Variation geprägt; sie lebt vom Zitat älterer Kulturepochen, eine Tendenz, die sich schon in der Renaissance des 16. Jahrhunderts äußert. Ein besonders italienisches Problem ist die Tatsache, dass es zwar prestigeträchtige private Sammlungen der Moderne gibt, dass die Mäzene allerdings zögern, diese Kollektionen einem notorisch klammen, überbürokratischen und vermeintlich korrupten Staat zu überschreiben.
Das MAXXI wurde unter anderem begründet, da Rom eine der wenigen europäischen Hauptstädte ohne ein Avantgarde-Museum war. Hinzu kam, dass Italien nach dem Ende des Kalten Krieges seine militärischen Kapazitäten herunterfuhr und im römischen Quartiere Flaminio ehemalige Kasernen leerstanden. Der vormals von der Armee und der Industrie abhängige Stadtteil sollte durch einen Bilbao – Effekt belebt werden. Ähnlich wie das Guggenheim die marode baskische Metropole gerettet hatte, sollte das MAXXI für ein kulturelles Erwachen des Viertels in der italienischen Hauptstadt sorgen.
Abb. 3 MAXXI Vogelschau
Tatsächlich ruht ein Teil des Museums auf einem Trakt der Kaserne. Das Gebäude orientiert sich an der Traufhöhe der Umgebungsarchitektur und am urbanen Raster des Viertels. Der Hauptbau besetzt ein Rechteck, auf dessen Diagonale die Schaufassade liegt. Das freibleibende Dreieck bildet die Piazza davor. Der L-förmige Grundriss der Vorgängergebäude wurde von Hadid übernommen, wie sich aus der Vogelschau erschließt. Wie bei den meisten ihrer Projekte geht die Baumeisterin auch hier von einem von oben gesehenen Muster aus, das fast ornamentalen Charakter hat. Ausgangspunkt für ihre frühen Entwürfe war der Suprematismus von Kasimir Malevitch.
Die geometrischen, einander überlagernden Formen auf den Bildern des Russen werden zu Bauelementen, die in spielerischer Freiheit schwebend miteinander kombiniert werden. Im Falle des MAXXI handelt es sich um 5 schienenartige, parallel verlaufende L-förmige Stränge. Einer der Stränge überfängt die anderen und mündet im Eingangsbereich über der vorgelagerten offenen Piazza in einem stark vorkragenden Belvedere, das an die so genannten Wolkenbügel El Lissitzkys erinnert. Lissitzkys Idee eines waagerecht schwebenden Baukörpers erscheint auch in den Kölner Kranhäusern von Hadi Teherani, aber auch im CCTV-Gebäude von Rem Koolhaas in Peking.
Abb. 4 K. Malewitsch, 8 Rechtecke, Amsterdam, Stedelijk Museum, 1915
Auf der Piazza vor dem Museum bietet sich eine breite, durch waagerechte Gestaltung raumgreifende Fassade dar, ein horizontales Sichtbetonband im ersten Obergeschoss, das links nach vorne drängt, in der Mitte zurückschwingt und sich rechts wieder nach vorne bewegt. Ein horizontal durchfensterter kastenartiger Baukörper steht links davor auf leichten metallenen Rundstützen. Ähnliche Stützen tragen den Bereich rechts vom verglasten Eingang. Über dem rechten Teil erhebt sich das erwähnte Belvedere. Bis auf die Rundstützen gibt es hier kaum einen rechten Winkel. Den vermeidet Hadid bewusst, scheint es. Dazu existiert ein Statement, das man auch auf Rudolf Steiner und Antoni Gaudí münzen könnte: „Es gibt 360 Grad, warum sollte man sich da auf einen Winkel festlegen?“ Die Oberflächenästhetik dieser in kleinere Teile gefalteten Fassade nimmt die Materialien des Neuen Brutalismus der 1960er Jahre auf: Sichtbeton, Metall, Glas. Anders als in den 1960er Jahren wird das nun feinkörnige Material ohne Spuren der Holzverschalungen des Gussvorganges verarbeitet und es wird somit auf alle prozesshaften Spuren verzichtet. Das Finish ist hochpoliert, die Oberfläche glänzt wie Seide.
Sollte man die Prinzipien dieser Schaufront zusammenfassen, passten die Worte Fragmentierung, Faltung und Fließen.
Das Farbkonzept – grau, schwarz, weiß – erinnert ebenfalls an die Architektur des Neuen Brutalismus. Als der Architekt der Hayward Gallery in London gefragt wurde, was seine tristen grauen Bauten beleben solle, antwortete er, die bunt gekleideten Gäste. Übertragen auf das MAXXI, soll der neutrale lichtgraue Hintergrund der Innenwände die Farben der Kunst zum Leuchten bringen.
Wer den Bau betritt, befindet sich in einem langen, quer verlaufenden hohen Foyer. Gewellte Treppen aus schwarzem Stein und übereinander gestaffelte Galerien durqueren fließend den Raum. Die scheinbar schwebenden, von der Wand losgelösten Treppen haben durchsichtige Stufen und wirken durch weiße Lichtbänder noch schwereloser. Der Raum schwingt und der Besucher wird in Bewegung versetzt. Unwillkürlich hebt sich der Blick, der Körper strebt seitwärts. Unbewusst verhält sich der Besucher als Flaneur und beginnt, den Raum zu erwandern.
Abb. 5 MAXXI, Foyer von innen
Die Licht- und Schattenkontraste finden sich in den verglasten Decken wieder, die aus parallel verlaufenden Betonschienen bestehen. Überdies bieten diese Betonlamellen Halt für Kunstwerke und Zwischenwände, die so aufgehängt werden können. Das Foyer und die Verbindungskorridore scheinen mehr Raum einzunehmen als die eigentlichen Ausstellungsräume. Beides gleitet jedoch nahtlos ineinander. Nahtlosigkeit und Bewegung sind zwei weitere Begriffe, mit denen sich diese Architektur beschreiben ließe.
Die Wände sind doppelschalig und hinterfangen als neutrale Fläche die Kunstwerke. Die Wand verdeckt die nötige Technik. Die soliden Böden tragen auch schwere Lasten. Die Passagen und Galerien gipfeln in der Panoramalounge mit einem Café, von wo der ebenfalls von Hadid gestaltete Außenbereich betrachtet werden kann.
Zentral im Foyer liegt der Empfang, rechts geht es in eine langgezogene Ausstellungshalle, links gelangt man in zwei rechteckige Räume für Graphik und Sonderausstellungen, die konventioneller gehalten sind. Unmittelbar hinter der Empfangstheke befindet sich auch ein großes Auditorium für Konzerte, Filme und Vorträge.
Abb. 6 MAXXI, Treppe
Hier zeigt sich die Multifunktionalität des Projektes, das nicht nur ein Kunstmuseum, sondern auch Italiens einziges Museum für zeitgenössische Architektur beherbergen sollte. Als eingeweiht wurde, hatte die Finanzkrise das Land schon im Griff, sodass der Staat gezwungen war, Subventionen zu kürzen. Man hatte das MAXXI in einem abgelegenen Stadtteil begründet, mit dem Ziel, diesen zu erneuern. Im gleichen Bezirk liegt die Konzerthalle Parco della Musica, entworfen 2002 von Renzo Piano. Sie wurde 2011 durch die so genannte Musikbrücke von Kit Powell-Williams und Happold erschlossen. Durch dieses Kultur-Cluster wollte man ein zeitgemäßes Viertel mit einem neuen Image schaffen, das auf Sport, Musik und Kunst beruht. Der erhoffte Besucheransturm blieb aus, da das Flaminio-Viertel fernab der klassischen Touristenattraktionen liegt und das Museum im Wettbewerb mit der ohnehin überreichen Kulturlandschaft Roms steht. Im ersten Jahr kamen 479 000 Besucher; danach sanken die Zahlen.
Die mangelnde Akzeptanz der Moderne ist in Italien immer noch ein Problem. Auch wer die Fondazione Pecci in Prato besucht, oder das Castello di Rivoli bei Turin, bleibt relativ allein mit den Kunstwerken. Der eigentliche Bestand des Hauses ist klein, es handelte sich 2010 um 300 Kunstwerke – kein Vergleich zu Sammlungen der Moderne anderswo in Europa. (Allein die drei Kernsammlungen des Ludwig in Köln machen ca. 2000 Werke aus). Die eigentliche Trumpfkarte des Museums ist das „MAXXI architecture“, zu dessen Beständen die Archive von Carlo Scarpa, Aldo Rossi und Pierluigi Nervi zählen sowie Arbeiten zeitgenössischer Architekten wie Toyo Ito oder Giancarlo de Carlo. Trotzdem musste das Haus schon im Jahr der Eröffnung eine Strategie entwickeln, um Besucher anzuziehen. So setzt man auf Konzerte, Kongresse, Happenings und multimediale Events und bestreitet das Museum vor allem mit Sonderausstellungen.
Die italienische Architekturkritik war dem Museum wohl gesonnen. Sicherlich hoffte man, endlich einem gewissen Provinzialismus zu entkommen, der mit traditioneller nationaler Selbstbespiegelung zu tun hatte; man hegte den Wunsch nach internationalem Flair. Interessanterweise fand man in der Bewegtheit der Architektur aber auch die eigenen baulichen Traditionen wieder. So sprach ein Kritiker von „Barocco Minimalista“. Die wellenförmigen Treppen mit ihren vielen Absätzen erinnern tatsächlich an römische Palastarchitektur, die Bewegtheit lässt an Bernini und Borromini denken – die vielen einander überkreuzenden Wege rufen Erinnerungen an die Grafikserie der „Carceri“ von G.B. Piranesi wach.
Um die formalen Prinzipien Zaha Hadids zu erklären, verwendete die Kritikerin Pamela Bianchi einen berühmten Text von Gilles Deleuze (siehe die eingangs zitierte Passage). Deleuze schrieb über die Faltenwürfe der so genannten Rheingrafenhosen des 17. Jahrhunderts, die sich analog in den komplexen Gedankengängen der Philosophie von Leibnitz, aber schließlich auch in den Architekturen der Zeit wiederfanden.
So üppig und bewegt wie diese Pluderhosen des Barock, so unvorhersehbar und labyrinthisch ist die von Zaha Hadid gebaute Reise durch die Vielstimmigkeit der späten Moderne und der Postmoderne.
Abb. 7 Sebastiano Bombelli, Maximilian Philipp Hieronymus von Bayern-Leuchtenberg in Rheingrafenhosen, 1666, Dresden, Staatliche Kunstsammlungen
Abbildungsnachweise:
- Abb. 1 MAXXI Schaufassade (wikipedia commons / Archeologo)
- Abb. 2 A. Pevsner, Dritte und Vierte Dimension, Den Haag, Johan de Witt – Laan (Wikipedia commons / wikifrits)
- Abb. 3 MAXXI Vogelschau (https://www.teknoring.com/news/restauro/perche-il-maxxi-roma-e-una-delle-opere-fondamentali-di-zaha-hadid/)
- Abb. 4 K. Malewitsch, 8 Rechtecke, Amsterdam, Stedelijk Museum, 1915 (wikipedia commons)
- Abb. 5 MAXXI, Foyer von innen (wikipedia commons / Commonurbock23)
- Abb. 6 MAXXI, Treppe (wikipedia commmons / e.mil.mil)
- Abb. 7 Sebastiano Bombelli, Maximilian Philipp Hieronymus von Bayern-Leuchtenberg, 1666, Dresden, Staatliche Kunstsammlungen (wikipedia commons)