Alles fließt
Wasser ist lebensspendend. Die Flussgötter ließen die Quellen sprudeln. Mit Wasser wurde Christus getauft. Und wieviel muss ein Künstler üben, um Wasser täuschend echt erscheinen zu lassen?
Seit vielen Jahrhunderten ist Wasser Thema der Kunst. Die Höhle der Schwimmer ist mit ihren Ausmalungen vielleicht sogar 4000 Jahre alt. Sie liegt im Südwesten Ägyptens und gehört zu den ältesten Wasserdarstellungen der Welt. Dabei ist das Wasser hier gar nicht wirklich zu sehen, wohl aber die schwimmenden Menschen. Sie erscheinen fast spielerisch, schweben schwerelos über die Höhlenwände – zweifellos ein Grund für die Faszination Wasser.
Im christlichen Mittelalter ist das Wasser in seiner Bedeutung entsprechend bibelnah. So findet sich eine wunderbare Darstellung der Taufe Christi im Hidta-Codex aus dem frühen 11. Jahrhundert. Jesus steht bis zur Hüfte in den Fluten, über ihm berührt Johannes, dessen Füße ebenfalls im Fluss stehen, sanft sein Haupt. Aus dem Himmel fährt eine große weiße Taube auf Christus herab, der heilige Geist als Verbindung zwischen Gottvater im Himmel und Jesus Christus auf der Erde. Absolut bemerkenswert ist aber der Fluß selbst. Denn dieser ist nicht nur als durchsichtiger Stoff, der auch noch in Bewegung ist, festgehalten (eine nicht zu unterschätzende malerische Herausforderung, die dem Künstler gut gelungen ist, sind doch Christi Beine deutlich als Schatten im durch unruhige Linien bewegten Wasser zu erkennen), der Jordan selbst ist als Flussgott zu sehen und sogar gekennzeichnet: Jordan Fluvius. Es war römischer Brauch, lokale Götter im Reich zu etablieren, so gab es in Köln natürlich auch den Flussgott Rhenus, den Gott des Rheins. Entsprechend ist es hier also der Gott des Jordan, der als liegende Figur unter den Fluten ruht und ein Gefäß hält, aus dem das Wasser in die Welt fließt. So werden hier also römische Götter mit der monotheistischen Religion des Christentums vermengt. Für eine ganze Zeit war dies durchaus nicht unüblich, bis sich diese Toleranz auflöste und diverse Religionskriege nicht nur die Geschichtsbücher füllten, sondern bis heute traurige Realität sind.
Mit der Renaissance kam eines der berühmtesten Gemälde in die Welt: Die Geburt der Venus. Sandro Botticelli verarbeitete hier die mythologische Geschichte, in der – nach Hesiod – Venus Vater Uranos von dessen Sohn Kronos die Geschlechtsteile abgeschnitten und ins Meer geworfen wurden. Aus dem entstehenden Schaum wurde Venus geboren, was ihr den Beinamen „die Schaumgeborene“ einbrachte. Als sie an Land gespült wurde, kamen die Horen herbei und schmückten sie. In der Folge wurde sie den Menschen die Göttin der Liebe und der Schönheit. In Botticellis Variante ist von der „schweren Geburt“ nichts mehr zu spüren. In einer großen Jakobsmuschel wird Venus, vom Windgott Zephyr angetrieben, an Land gebracht und von einer herbeieilenden Frauenfigur, womöglich eine der Horen, bekleidet. Botticelli, der Meister der Darstellung von zarter Bewegung lässt sich das Meer in sanften und geradezu ornamentalen ganz oberflächlichen Wellen kräuseln. Vor der Muschel scheint es sich geradezu in nebligen Wasserdunst aufzulösen. Die Tiefe des Ozeans bleibt fast unbewegt. Und warum auch nicht? Die dargestellte Szene lässt nichts mehr erahnen von der Gewalt, die der Geburt der Venus vorausging. Schönheit und Erhabenheit der Göttin stehen im Zentrum. In einer Dreieckskomposition werden aller Augen auf der Venus Antlitz gelenkt, der Inbegriff von innerer Ruhe. (Heute ist dieses Antlitz übrigens auf der italienischen 10-Cent-Münze festgehalten.)
Auch Manierismus und Barock widmeten sich dem Thema des Wassers auf verschiedenste Weise, nicht zuletzt im Stillleben, für das besonders der niederländische Barock berühmt ist. Hier wird das Wasser in seiner malerischen Komplexität perfektioniert. Zahllose Stillleben zeigen wassergefüllte Gläser und Karaffen, zwei Stoffe also, die durchsichtig sind und die es in ihrer Feinheit zu meistern galt.
Die Avantgarde aber löste sich von der Darstellung des Wassers – symbolisch und auch malerisch. So soll dieser Artikel mit dem berühmten Namengeber des Impressionismus enden (es hätten aber auch unzählige andere Beispiele sein können): Claude Monets „L‘impression soleil levant“ (Die Impression eines Sonnenaufgangs). Eigentlich hätte es klassischerweise den Titel „Hafen von Le Havre“ tragen sollen, denn dort ist es entstanden, und das stellt es auch dar. Es sollte für die erste Ausstellung der Société anonyme des artistes peintres, sculpteurs et graveurs, die im Jahr 1874 in Paris stattfand, umbenannt werden, viel zu abstrakt war es doch für den altmodischen Ursprungstitel. So soll Monet „Impression“ vorgeschlagen haben. Der sich für den Katalog verantwortlich zeichnende Journalist Edmond Renoir (Bruder von Pierre Auguste Renoir) ergänzte noch „soleil levant“, also den Sonnenaufgang, und so kam es dann in die Ausstellung. Wirklich, so abstrakt, wie Monet den Pinsel arbeiten ließ, ist der Hafen von Le Havre kaum noch erkennbar. Alles verliert sich in einem nebligen Dunst, das ganze Bild scheint im Begriff, im Grau zu verschwinden. Im Hintergrund Schiffe und Schlote, noch mehr Rauch gelangt in die Szene und macht alles unscharf, nur die Sonne ist als orangefarbener Ball noch zu erkennen und die scheinbar einzige Quelle von Licht und Farbe. Über die Hälfte des Bildes ist Wasser. Es ist das Thema des Werks, schließlich trägt es die Schiffe des Hafens. Gleichzeitig ist es die Folie, auf der sich die einzige Licht- und Farbquelle ausbreiten kann, spiegelt die Sonne sich doch auf der bewegten Oberfläche und wird so einmal quer durch das Bild gezogen. Der Rest der Wasseroberfläche ist durch grobe und sehr schnelle Striche gekennzeichnet, noch mehr Spiegelungen machen die Oberfläche greifbar. Wenn es um die Spiegelungen des entfernten Rauchs geht, wird es geradezu „krakelig“. Kein Wunder also, dass das zuviel war für die Kunstliebhaber ihrer Zeit. Unordentlich war es, unscharf, eintönig in der Farbe. So belächelte der Kunstkritiker Louis Leroy diese „neue Kunst“ und machte seinen Unmut darüber an eben jenem Gemälde Monets fest. Richtige Malerei war das nun nicht, so meinte er, nur „Impressionen“, so stand es ja sogar auf dem Schild. Nicht ahnte er, dass er damit eine neue Kunstrichtung benannt hatte, die sich heute höchster Beliebtheit erfreut und ein zunächst unscheinbares Gemälde von Claude Monet unsterblich machte.
So kann das Wasser viele Formen annehmen und Bedeutungen tragen. In der Kunst kann es von Dokumentation über christliche Symbolik und künstlerische Herausforderung bis zum Anlass für eine neue Technik und eine neue Kunst gehen. Obwohl das Thema viel größer ist, soll mit diesem Beitrag sozusagen immerhin schon einmal der Zeh ins kühle Nass getaucht werden. Und die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Denn alles fließt…
30. November 2024 || ein Beitrag von Judith Graefe, Akademiereferentin
30. November 2024 || ein Beitrag von Judith Graefe, Akademiereferentin
3. Dezember 2024 (Di.)
„Im Fluss“
Eine Kunstausstellung im Arp Museum
Akademietagung
„Im Fluss“ – Kunstausstellung im Arp Museum
Entdecken Sie die faszinierende Kunstausstellung „Im Fluss“ im Arp Museum! Diese Ausstellung präsentiert rund 50 Meisterwerke der Malerei von 1600 bis zur Moderne und erzählt die wechselvolle Kunstgeschichte des Wassers. Von den Meeresstillleben des Barock bis zu impressionistischen Meisterwerken zeigt sich, wie sich die Darstellungen und Wahrnehmungen des fließenden Elements im Laufe der Jahrhunderte verändert haben.
Die besondere Lage des Arp Museums am Rhein eröffnet eine zeitbezogene Dimension der Malerei, die durch die aktuellen Herausforderungen des Klimawandels und die Darstellung von Naturkatastrophen geprägt ist. Besonders die Werke des 19. Jahrhunderts aus Frankreich, darunter Meister wie Monet und Boudin, bieten inspirierende Einblicke in die Schönheit und Urgewalt des Wassers.
Wir freuen uns auf Ihr Interesse und laden Sie herzlich ein, diese einzigartige Ausstellung im Rahmen unserer Akademietagung zu besuchen!