Bacchus und seine Trauben
Von einer Leinwand und in Öl blickt Bacchus mit ruhigen Augen auf den Betrachter hinab. Erkennbar als der, der er ist, nur durch seine Attribute: Trauben, Weinlaub und Wein. Entgegen einer bis heute weit verbreiteten Bildtradition ist Bacchus hier nicht als Mann im mittleren Alter, rotwangig, tanzend, taumelnd, torkelnd mit einem wankenden Weinglas in der Hand dargestellt, umgeben von bacchantischen Begleitern und Begleiterinnen und ganz offensichtlich bereits auf dem Zenit (oder darüber hinaus) seines Festes, einem Weingott würdig. Michelangelo Merisi da Caravaggio wählt einen anderen Ansatz. Sein Bacchus ist jung und bedacht, rotwangig zwar, aber doch in der Lage, das delikate Weinglas mit nur zwei Fingern zu halten, und zwar kerzengerade. Es scheint eine Einladung zu sein, ganz leicht streckt der antikisierend Teilverhüllte den Kelch dem Betrachter entgegen.
Vor dem jungen Gott auf einer Art Tischplatte befindet sich eine eigene kleine Genrearbeit – ein Bild im Bild sozusagen: Es ist ein Korb mit überreifen Früchten und eine Karaffe, gut gefüllt mit dem süßen Wein, der für dieses Bild so wichtig ist. Die Karaffe ist ein feines Glas, es steht auf kleinem Fuß und hat einen kunstvollen Ausguss. Kaum eine Brechung entsteht im Hintergrund des Gefäßes. Vielleicht eine ungenaue Beobachtung durch den Künstler? Vielleicht aber auch ein Hinweis auf die sehr hohe Qualität des sehr dünnwandigen Glases. Diese Hochwertigkeit wird auch am anderen Glas sichtbar. Das süße Nass im delikaten Kelch scheint in konzentrischen Kreisen zu schwingen, aber tatsächlich sind es kunstvolle Rillen, die diese Schale als sehr teuer kenntlich machen. All dem Luxus scheinen die nicht mehr ganz frischen Früchte entgegen zu stehen, doch beachtet man die klassische Aufgabe eines Stilllebens, so ist es nicht weit hergeholt, hier von einem symbolischen Gehalt auszugehen, dem nämlich des Vanitas-Gedankens. Überreife Äpfel, ein aufgeplatzter Granatapfel (nebenbei auch noch ein Symbol für Leben und Fruchtbarkeit) stehen genauso für die Vergänglichkeit alles Lebens wie das leicht welke Weinlaub auf dem Kopf des schönen Bacchus-Knaben. Übrigens: Hat dieser nicht viel dunklere Hände und ein auffallend rötlich-braunes Antlitz im Vergleich zur noblen Blässe seines Oberkörpers?
In Auftrag gegeben wurde das Gemälde von Kardinal Francesco Maria del Monte. In die (Kunst)geschichte eingegangen ist dieser unter anderem als Mäzen eben jenes Caravaggio und als Sammler barocker Malerei. Aristokratische Auftraggeber hatten im 16. Jahrhundert häufig Interesse an Darstellungen aus der griechischen und römischen Mythologie. Sie waren ideale Möglichkeiten, ihre Bildung und Weltgewandtheit jedem eintretenden Gast auf den ersten Blick zu demonstrieren.
Vielleicht ist es diese Verbindung zu Kardinal del Monte, die eine Entschlüsselung mancher Details des Gemäldes möglich macht. Scheint es sich im vorliegenden Gemälde nicht um eine Szene auf einer Bühne zu handeln? Sieht es nicht so aus, als wären Lippen, Wangen und Augenbrauen des jungen Mannes geschminkt? Caravaggio verbrachte einige Jahre in Rom in den Diensten des Kardinals. Und dieser war bekannt für seine privaten Theaterstücke. Man schminkte sich, man kostümierte sich, man spielte Theater. Vielleicht kam Caravaggios bühnenbildnerische Begeisterung, die nicht nur hier, sondern auch in vielen anderen Werken spürbar ist, aus dieser für einen jungen Mann besonders prägenden Zeit.
Neben der Liebe zur Malerei und zum Theater hatten es Caravaggios Gönner auch feinste Glasobjekte angetan, nicht wenige in seiner Sammlung stammten aus mediceischer Produktion. Ein Grund also womöglich für das ausgesprochen dünnwandige Geschirr, das dem Gott des Weines zur Verfügung gestellt wurde.
Sicher ist auch der junge Bacchus keine Fantasiegestalt, sondern ein Portrait. Ein Portrait eines Mannes, der sich viel an der frischen Luft aufhält, das verraten seine Hände und sein Gesicht, daher die dunklere Farbe. Vielleicht kommt er aus dem theaterspielenden Umfeld des Kardinals; tatsächlich rankt sich um die Identität des Mannes mehr als eine Theorie. War es ein Freund? Ein Schüler? Ein Geliebter?
Alle Geheimnisse wird das berühmte Werk des noch berühmteren Malers wohl nicht preisgeben, und das soll es auch nicht. Aber Denkanstöße hat es dem Betrachter wohl schon immer mitgegeben, und das wird vermutlich auch so bleiben.
Caravaggio, Public domain, via Wikimedia Commons
6. Oktober 2023 || ein Beitrag von Judith Graefe, Akademiereferentin Referat Erkundungen