Eine Fliege auf dem Altar – Der Thomasaltar der Kölner Kartause in kunsthistorischer Sturzflugperspektive

Ihr Lieben, lang vertrauten
Unbeirrbar naschsüchtigen
Ihr, die gemeinen Fliegen
Ihr ruft mir alles wieder wach.
(Antonio Machado)


Thomasaltar aus der Kölner Kartause, Meister des Bartholomäusaltars, Köln, WRM, um 1500

Es regnet Blüten. Das Firmament glänzt gülden. Die jugendliche Engelskapelle malträtiert Laute und Drehleier. Eine blau und gelb leuchtende Himmelsglorie tut sich auf. Die Kirchenväter Ambrosius und Hieronymus sind auf Wolken herangefahren, die heiligen Damen Magdalena und Helena ebenfalls. Doch in der Mitte steckt ein Herr mittleren Alters einen Finger in eine gerade noch leicht verweste Wunde. Dort trifft der ungläubige Thomas auf das zu Fleisch gewordene und verstorbenen Wort, den dann wiederauferstandenen Heiland, darüber schweben Gottvater und der Heilige Geist. Wer nicht nur sieht, sondern auch berührt, dessen Zweifel werden ausgeräumt. Auf den Seitenflügeln des Retabels stehen Heilige vor einem prachtvollem Brokatvorhang, links Maria und Johannes der Evangelist, der die Thomasgeschichte erzählt, rechts Hippolytus und Afra. Hinter der Brokatdraperie blickt man in grüne Einöden mit Einsiedeleien und heiligen Eremiten, Bruno und Maria Aegyptiaca. Der linke Flügel des Altars stellt in dieser grünen Natureinsamkeit vielleicht die Kölner Kartäuserkirche Sankt Barbara dar.


Thomasaltar, Detail mit Einsidelei

Und dann krabbelt da noch, ganz rechts, unterhalb der Heiligen Afra, diese winzige Fliege, die verstohlen klitzekleine Exkremente hinter sich herzieht, eine wohl eher nicht eingeladene Teilnehmerin dieser Party.


Thomasaltar, Detail mit Fliege

Die biblische Erzählung lautet natürlich anders, seriöser und sachlicher in jedem Falle und weniger verführerisch:
„Thomas, genannt Didymus (Zwilling), einer der Zwölf, war nicht bei ihnen, als Jesus kam. Die anderen Jünger sagten zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er entgegnete ihnen: Wenn ich nicht die Male der Nägel an seinen Händen sehe und wenn ich meinen Finger nicht in die Male der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht. Acht Tage darauf waren seine Jünger wieder versammelt und Thomas war dabei. Die Türen waren verschlossen. Da kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte: Friede sei mit euch! Dann sagte er zu Thomas: Streck deinen Finger aus – hier sind meine Hände! Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! Thomas antwortete ihm: Mein Herr und mein Gott! Jesus sagte zu ihm: Weil du mich gesehen hast, glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“ Johannes 20 (24-29)

Die Bibel spricht von einem verschlossenen Raum und von der Anwesenheit aller zwölf Jünger, doch offenbar hat sich der Künstler in Absprache mit seinem Auftraggeber einige Freiheiten herausgenommen. Die Geschichte wird in einen himmlischen, überräumlichen und überzeitlichen Bereich verlegt, der den hölzernen Rahmen zu sprengen scheint, ganz im Sinne der überwältigenden Gotteserkenntnis des vorher noch zweifelnden Thomas. Dazu kommen Heilige, die vom Stifter offensichtlich gewünscht und am Aufstellungsaltar verehrt wurden. Hieronymus, Ambrosius, Helena und Magdalena.

Hieronymus und Ambrosius erwähnen in ihren Schriften die Missionsreisen des Apostels Thomas in Indien, Ambrosius schreibt zu Thomas in seinen Kommentaren zu Lukas (5,8):

„Aber auch wir [Heiden] haben in Johannes gesehen, mit unseren Augen in den Aposteln geschaut, mit unseren Händen mit des Thomas Fingern prüfend getastet; denn von Anfang war, was wir gehört und was wir gesehen, mit unseren Augen geschaut und unseren Händen prüfend getastet haben.“ Der Mailänder Ambrosius erzählt von den indischen Gymnosophisten, dem Indischen Ozean, dem Fluss Ganges, „…dass der Apostel unverzüglich ausgesandt wurde nach dem Wort unseres Herrn Jesus … Sogar Königreiche, die von schroffen Bergen umringt waren, wurden ihnen zugänglich, wie Indien, Persien …“ In den Chorschrankenmalereien des Kölner Doms wird Thomas gezeigt, wie er die in den Orient zurückgekehrten Drei Heiligen Könige zu Bischöfen weiht. Dies könnte die Thomasverehrung in der Kölner Kirche Sankt Barbara erklären, die wohl in Zusammenhang mit dem Drei Königen-Kult in Köln steht.

Helena und Magdalena haben mit dem Sterben und der Wiederauferstehung Christi zu tun. Magdalena trifft den Wiederauferstandenen im Grabgarten am Ostermorgen, darf ihn allerdings laut Bibel nicht berühren, Helena, eine eng mit Köln verbundene Heilige, findet das Kreuzesholz und erweckt damit ebenso Tote wieder zum Leben.

Der Thomasaltar befand sich seit Anfang des 16. Jahrhunderts auf dem Lettner der Kartäuserkirche Sankt Barbara. Die Kartause war im Jahr 1334 begründet worden und war bis ca. 1530 eine der am reichsten mit Stiftungen Kölner Bürger bedachten religiösen Einrichtungen der Stadt. Besonders eng war das Verhältnis zum Erzbischof Dietrich von Moers und zu den Kölner Familien Hemberg und Rinck. Der Rechtsgelehrte Peter Rinck, der Stifter des Altars, war Mönch im Kloster gewesen, hatte sich aber später für eine Laufbahn als Akademiker entschieden. Er war Rektor der Kölner Universität. Seine Familie hatte den Hochaltar der Kartause gestiftet. Rinck schenkte in der Zeit um 1500 den Mönchen einen wohl schon bestehenden Altar mit einer Kreuzigung Christi (die Thomas als Assistenzfigur zeigt) und ein zweites Retabel mit dem Thomaswunder. Beide standen auf dem Lettner der kleinen Kirche; in geöffnetem Zustand müssen sie den Besuchern das Mysterium von Tod und Auferstehung wie didaktische Schautafeln beigebracht haben.


Kartäuserkirche Köln

Was aber hat die Fliege auf diesem Altar zu suchen?
Vom Herrn der Fliegen und der Verwesung alles Irdischen

Traditionell ist das kleine Insekt ein negativ besetztes Wesen, das in der Bibel mit Beelzebub, dem Herren der Fliegen in Verbindung gebracht wird. Beelzebub wird im 2. Buch der Könige 1: 2–3 erwähnt als Ba’al Zəbûb, eine Gottheit der Philister. Baal (Herr) wurde in Verbindung mit einem beschreibenden Namen eines Gottes verwendet. Oft wird Ba’al Zəbûb übersetzt als „Herr der Fliegen“. Der kanaanitische Baal stößt Fliegen aus, die Seuchen auslösen. Es wurde vermutet, dass es eine Beziehung zwischen dem Philistergott und hellenischen Fliegenkulten wie Zeus Apomyios oder Myiagros gibt, die eigentlich vor Fliegen schützen sollten. Die mythologische Welt des Mittelmeers scheint also den auf Fliegen bezogenen Namen zu stützen. Alternativ könnte der tatsächliche Name der Gottheit Ba’al Zebûl, „Herr der (himmlischen) Wohnung“ für ein abfälliges Wortspiel der Israeliten verwendet worden sein. Aus Ba’al Zebul wurde Ba’al Zebub, um die kanaanitischen Feinde der Israeliten zu beleidigen. Beelzebub wird im Markusevangelium wieder erwähnt und hier explizit als Satan bezeichnet (Markus 2, 22-23 ff.)

Durch diese biblischen Textstellen ist die Fliege in jedem Falle mit dem Bösen assoziiert.

Hinzu kommt, dass die Fliege traditionell in der spätmittelalterlichen visuellen Kultur mit dem Verwesen des menschlichen Körpers nach dem Tod in Verbindung gebracht wurde. So erscheint sie beispielsweise auf einem Elfenbeinobjekt im Museum Schnütgen in Köln, das der Elfenbeinkünstler Chicart Bailly um 1530 in Paris anfertigte.


Chicart de Bailliy, ca. 1539, Elfenbeindarstellung eines verwesenden Leichnahms im Sarkophag, Detail, Köln, Schnütgenmuseum

Diese Darstellung eines im Sarkophag verwesenden Leichnams, umgeben von Trauernden an den Pfeilern, wird von Würmern und Kröten bewohnt. Auf der Brust sitzt eine monumentale Fliege. Schon Lukian von Samosata schreibt hierzu vor 1800 Jahren:

„Sie kommt übrigens nicht sogleich in dieser Gestalt zur Welt, sondern ist zuerst ein Wurm, der sich aus menschlichen oder thierischen Leichnamen entwickelt. Nach einiger Zeit bilden sich die Füße und Flügel an: und aus dem Kriechthier wird ein geflügeltes. Jetzt erzeugt sie wieder andere Würmer, die in kurzem sich ebenfalls in Fliegen verwandeln“.

Der Meister des Bartholomäusaltars selbst stellt die Fliege ein zweites Mal in einer Handschrift des Wallraf-Richartz-Museums dar, wo sie auf einem Schädel unterhalb der Kreuzigung Platz genommen hat. In einem weiteren Gemälde desselben Meisters assistiert eine Fliege der mystischen Vermählung der Heiligen Agnes mit dem Christuskind.

Eventuell hat das Motiv der Fliege mit dem Verzicht auf alles Weltliche zu tun, der mit dem Eintritt in ein geistlich bestimmtes Leben einhergeht. Dieser Verzicht auf das Weltliche war in der besonders ausgeprägten Askese und Einsamkeit des Kartäuserlebens ein besonders wichtiges Element. Die auf dem rechten Altarflügel über der Fliege dargestellte Heilige Afra war eine Sünderin, die vom Bischof Narcissus von Gerona zum Christentum bekehrt wurde und fortan ein tugendhaftes Leben führte. Dasselbe gilt für die Heilige Maria Aegyptiaca in der Landschaftsdarstellung darüber und die Heilige Magdalena in der Mitteltafel, die sich beide in die Einsamkeit zurückziehen. Alle drei sagen dem weltlichen Genuss Lebewohl. Ca. 60 Jahre früher stellt der Brügger Maler Petrus Christus einen Kartäusermönch ebenfalls mit einer Fliege dar. Die Fliege stünde demnach für das Flüchtige der Welt, ist Teil einer Erzählung vom Weltverzicht.


Petrus Christus, Kartäusermönch mit Fliege, ca. 1440, New York, Metropolitan Museum

Konrad von Würzburg beschreibt in seinem Gedicht „Der Lohn der Welt“ um 1270 dementsprechend das Treffen zwischen dem Ritter Wirnt von Grafenberg und einer attraktiven jungen Dame, die sich als Frau Welt vorstellt. Wie so oft, verbirgt sich hinter der gelifteten Oberfläche etwas Garstiges, denn irgendwann zeigt sie dem edlen Recken seine Rückseite, und die ist eher speziell:

„Damit kehrte sie ihm den Rücken zu: Der war überall übersät und bedeckt mit Würmern und Schlangen, mit Kröten und Nattern; ihr Leib war voller Blattern und schlimmen Eiterbeulen, Unmengen von Fliegen und Ameisen saßen darin, ihr Fleisch fraßen die Maden bis auf die Knochen ab. Sie war so unrein, dass von ihrem kranken Leib ein so furchtbarer Gestank ausging, den niemand aushalten konnte.“

Wirnt entscheidet sich dann natürlich gegen ein längeres Rendez-Vous. Dieser Text findet sein Vorbild und Echo in der rheinischen Skulptur des Hochmittelalters. So ist der Rücken einer Frau Welt – Darstellung in Worms – mit Ungeziefer geschmückt, genauso wie der berühmte Fürst Welt im Straßburger Münster. Die Fliege steht also für das Verderbliche, die Vergänglichkeit und die Vanitas der Welt.


Frau Welt, Außenskulptur am Wormers Dom, nach 1298

Wenn in der Mitteltafel des Altaraufsatzes der Sieger über den Tod triumphiert, so ist die Fliege auf der rechten Seitentafel hier ein Verweis auf die Sterblichkeit des Menschen. Tod und Verwesung werden überwunden durch Christus und das ewige Leben: „Der letzte Feind, der entmachtet wird, ist der Tod. (…) Verschlungen ist der Tod vom Sieg. Tod, wo ist dein Sieg, Tod, wo ist dein Stachel?“ (1. Kor. 15, 26.54 f.) Auch Paulus stellt sich den Tod anscheinend wie ein stechendes Insekt vor.

Künstlerkonkurrenz

Die Fliege ist seit dem 15. Jahrhundert jedoch auch Bestandteil der Künstleranekdoten. Sie erscheint zum ersten Mal 1460 in einer Anekdote über Giotto, die von dem Mailänder Architekten Filarete erzählt und hundert Jahre später von Vasari aufgegriffen wird:

„Und auch von Giotto steht zu lesen, dass er in frühen Jahren einmal Fliegen gemalt hat, mit denen er seinen Meister Cimabue so vollständig zu täuschen vermochte, dass dieser glaubte, sie seien lebendig, und sie mit einem Tuch verscheuchen wollte.“

Filarete erschafft damit eine Bildmetapher für eine augentäuscherische Fähigkeit, die schon hundert Jahre früher von Boccacccio dem Giotto angedichtet wird. Während Filarete mit einem konkreten Bild arbeitet, beschreibt Boccaccio diese Fähigkeit noch recht allgemein:

„Giotto (…) war mit so vorzüglichen Talenten begabt, dass die Natur, welche die Mutter aller Dinge ist, deren fortwährendes Gedeihen durch das unablässige Kreisen der Himmel bewirkt wird, nichts hervorbringt, was er mit Griffel, Feder oder Pinsel nicht dem Urbild so ähnlich darzustellen gewusst hätte, dass es nicht als ein Abbild, sondern als die Sache selbst erschienen wäre, weshalb denn der Gesichtssinn der Menschen nicht selten irregeleitet ward und für wirklich hielt, was nur gemalt war“.

Filarete und Boccaccio waren sicherlich mit dem römischen Autoren Plinius dem Älteren und seinen Künstleranekdoten vertraut. Plinius schildert einen Wettstreit der Augentäuscherei zwischen den Malern Zeuxis und Parrhasios:

„Es wird erzählt, dass (Parrhasios) mit Zeuxis wetteiferte: Jener stellte einige gemalte Trauben derart genau dar, dass Vögel sich fliegend der Szene näherten. (Parrhasios wiederum) zeigte einen gemalten Vorhang mit solcher Wirklichkeitstreue, dass Zeuxis, geschwollen vor Stolz durch das Urteil der Vögel, sich beeilte, den Vorhang zu entfernen, um sein Gemälde zu enthüllen. Als er sich seines Irrtums bewusstwurde, gewährte er die Siegespalme arglos und beschämt seinem Rivalen. Er selbst hatte die Vögel betrügen können, aber Parrhasios hatte ihn selbst angeführt, der er doch Künstler war. Es wird gesagt, dass Zeuxis hiernach einen Jungen mit Trauben in der Hand dargestellt habe und dass einige Vögel sich näherten. Mit derselben Arglosigkeit, nun verärgert, stellte (Zeuxis) sich vor sein Werk und sagte: „Ich habe die Trauben besser als den Knaben gemalt, denn hätte ich dieselbe Vollkommenheit im Jungen erreicht, hätten die Vögel Angst gehabt“.

Die Debatte um den bedenklichen Charakter der die Sinne täuschenden Malerei führt bis in das vierte vorchristliche Jahrhundert, hin zu Platon: Der Philosoph siedelt die nachahmenden Künste in einem niederen Bereich an; er vergleicht den subjektiven Sinneseindruck, der sich täuschen lässt, mit dem wissenschaftlichen Messen der Realität. Besonders streng fällt sein Urteil über antike Bühnenbildner aus, die den Betrachter wie Magier oder Taschenspieler düpieren.

Fliegen – Mitesser im Stillleben der Barockzeit

Die Geschichte von Zeuxis und Parrhasios entfaltete eine Fernwirkung, die bis in unsere Wohnzimmer reicht. Ab dem Beginn der Neuzeit bedienen sich Künstler der antiken Kunstliteratur und rekonstruieren anhand von Bildbeschreibungen, die von antiken Autoren verfasst wurden, verloren gegangene Gemälde der Antike. Das berühmteste Beispiel ist vielleicht die Verleumdung des Appelles, die von Botticelli und Dürer nachgemalt wurde.

Ein Kölner Früchtegemälde von Abraham Mignon kommt schließlich – für ein Stillleben – erstaunlich laut und belebt daher. Inmitten von Blüten, Obst und Kürbissen tummeln sich Stieglitze (dem Christuskind zugeordnet), Salamander (dem auferstandenen Christus zugewiesen) und Mäuse (Schädlinge) in einem Kampf zwischen Gut und Böse so zahlreich, als wäre es eine deutsche Fußgängerzone vor der Corona-Pandemie. Mittig auf den Mirabellen tummeln sich schließlich einige fette Fliegen als Zeichen der Verderblichkeit. Die üppige Obstpyramide steht für den Glanz und das Verführerische aller sinnlichen Genüsse, sie steht für Frau Welt. Hier treffen sich die Traditionen aus Antike und Spätmittelalter, der vollkommene Illusionismus eines Zeuxis, der die Vögel herbeimalt, trifft auf Giottos Fliege, die aber auch für das Vergängliche und Parasitäre steht (oder fliegt).

 
Abraham Mignon, Früchtestilleben, Gesamtansicht und Detail

Lukian schreibt zu Fliegen und ihrer schmarotzerischen Beziehung zum Essen folgendes, was sich sicherlich auch auf die Stillleben des Barock beziehen lässt:

„Uebrigens lebt die Fliege unabhängig und mühelos, und genießt nur, was Andere gearbeitet haben. Allenthalben ist für sie der Tisch gedeckt. Für sie wird die Ziege gemolken: für sie nicht minder, als für die Menschen, bereitet die Biene ihren Honig: für sie würzt der Koch seine besten Gerichte. Sogar auf des Königes Tafel spaziert sie umher, kostet alle Schüsseln zuerst, und läßt sich, so gut als der König selbst, von jeder Speise belieben.“

Man ist als Genießer also nicht immer ganz allein, besonders wenn Obstkuchen auf der Kaffeetafel steht, wie wir wissen.


Caravaggio, Knabe mit Fruchtkorb

Die oben erwähnte Traubendarstellung des Zeuxis mit dem Knaben wurde in einem berühmten Caravaggio-Gemälde nachgestellt und noch Rembrandt malte auf eine Krippendarstellung einen Vorhang nach dem Vorbild des Parrhasios. Rembrandt ist da so ein bisschen wie Peter Squenz aus dem Mittsommernachtstraum: Er möchte alle Rollen spielen, auch den Löwen. Rembrandt malt also das Bild, den Vorhang und den Rahmen.


Rembrandt, Heilige Familie mit Vorhang, 1646

Auch hier ist unser Kölner Maler, der Meister des Bartholomäus-Altars allerdings Vorläufer und altmeisterliches Vorbild und läuft somit Herrn Van Rijn den Rang ab. Im oberen Teil der Mitteltafel beider Altäre im Wallraf malt er das scheinbar geschnitzte Pflanzenmaßwerk in perfekter Augentäuschung, auf den Rückseiten der Altarflügel fiktive Steinstatuen; so sparte man den Bildschnitzer.

Lange vor Rembrandt malte unser Maler also den lieben Gott, die Heiligen, den goldenen Vorhang dahinter, das geschnitzte Maßwerk, die Kirche, in der das Kunstwerk steht – und die Fliege, die sich auf dem Gemälde niedergelassen hat.

Es gibt wirklich nichts Neues in der Kunstgeschichte.
Und in der schlimmen Schule,
Flinke Fliegen voll Vergnügen
Die verfolgten, stets verfolgten
Aus Liebe zu dem, was fliegt.
(Antonio Machado)

Bildnachweis:

Bilder 1-6: aufgenommen durch Dr. Till Busse
Bilder 7 und 10: Wikipedia, gemeinfrei
Bild 11: Museum Kassel

1. September 2020 || ein Beitrag des Kunsthistorikers Dr. Till Busse