Die Künstlerfamilie Kruse in der Lietzenburg auf Hiddensee

Oskar Kruse, 1847 in Stettin geboren, lässt sich 1904/1905 nach Plänen des Architektenbüros Spalding & Grenander in Kloster auf Hiddensee eine Jugendstilvilla bauen. Als Unternehmer im Holzhandel ist er zu einigem Vermögen gekommen und kann so auf dem circa 2,5 Hektar großen Grundstück ein Sommerhaus errichten. In Anlehnung an sein Wohnhaus in Berlin-Charlottenburg in der Lietzenburger Straße trägt die Villa den Namen „Lietzenburg“.

Oskar studiert ab 1889 Malerei in Berlin, München und Paris. Studienreisen führen ihn durch Deutschland (u.a. in die Künstlerkolonie Dachau), nach England und Italien. Durch seinen jüngeren Bruder Max, der als Bildhauer tätig ist, bekommt er Verbindungen zum „Monte Verita“ und seinen Bewohnerinnen und Bewohnern.

Oskar Kruse, Blick über Hiddensee 1910, gemeinfrei

Durch diese Erfahrungen bestärkt, soll auf Hiddensee in Kloster eine Künstlerkolonie entstehen. Dieses Vorhaben setzt er mit dem Bau der Lietzenburg in Kloster um. Sein Sommerwohnsitz wird zum beliebten Treffpunkt mit anderen Künstlern und Schriftstellern. Max Reinhardt, der bekannte Theaterregisseur, gehört zu seinen ständigen Gästen.


Lietzenburg auf Hiddensee, Ansicht Süd-West, Foto: Claus Beneking

Aber auch Max Kruse und seine Familie sind ab 1910 wiederkehrende Sommergäste in der Lietzenburg. Der Bruder hatte sich durch finanzielle Unterstützung seines älteren Bruders Oskar das Recht erkauft, mit seiner Familie immer dann in der Lietzenburg zu wohnen, wenn der Sommer naht.

Käthe Kruse, die spätere Ehefrau von Max, ist bereits zu dieser Zeit eine erfolgreiche Geschäftsfrau. Mit Zielstrebigkeit und Fleiß nimmt die junge Katharina Simon (so ihr Mädchenname) Schauspielunterricht und gibt mit 17 Jahren ihr Debüt am Berliner Lessing Theater. Auf der Premierenfeier lernt sie den 30 Jahren älteren Bildhauer Max Kruse kennen, die beiden werden ein Paar. Für ihre erste Tochter Maria fertigt Käthe 1905 auf Anregung von Max eine Puppe an, eine Puppe, die weich und warm sein sollte. Käthe Kruse ahnt noch nicht, dass dies ein Wendepunkt in ihrer künstlerischen Entwicklung sein wird. Im Warenhaus Tietz präsentiert sie 1910 zum ersten Mal in der Ausstellung „Spielzeug aus eigener Hand“ ihre handgefertigten Puppen. Die Presse ist begeistert. Ein Jahr später kommt es zur Gründung der Käthe Kruse Manufaktur im Künstlerhaus in der Fasanenstraße in Berlin.


Quelle: https://www.kaethe-kruse.de/de/geschichte

Auch Großaufträge, teilweise aus Übersee, lassen nicht lange auf sich warten und so kommt es mit dem Umzug von Berlin nach Bad Kösen zur Anmietung einer Werkstatt und eines Wohnhauses. 1912 beschäftigt Käthe Kruse 100 Angestellte, um die große Nachfrage zu bedienen. Von Beginn an kümmert sie sich intensiv um die Vermarktung ihrer Puppen und arrangiert sie für den Katalog in kleinen Szenen. Letztlich erkämpft Käthe Kruse, die inzwischen mit Max verheiratet ist, das Urheber- bzw. Marktrecht für ihre Puppen. Noch 100 Jahre später gehören Käthe Kruse Puppen zu beliebten Sammlerobjekten. Die Hape Holding AG, weltgrößter Hersteller von Holzspielzeug aus nachhaltigem Material übernimmt 2013 die Käthe Kruse GmbH. Die damit verbundene Zusammenarbeit erweitert die Möglichkeiten der Produktion von altersgerechtem Spielzeug.

Die Lietzenburg bleibt bis in die 1930iger Jahre Treffpunkt der Künstlerfamilie Kruse. Max Kruse jun., 1921 in Bad Kösen geboren und jüngstes Kind von Käthe und Max Kruse, erinnert sich an die Sommer seiner Kindheit in der Lietzenburg und beschreibt die Zeit als „behütete Welt“. Er wird ab 1946 mit seinem 10 Jahre älteren Bruder Michael die Puppenmanufaktur seiner Mutter zunächst nach Bad Pyrmont und dann nach Donauwörth verlegen und viele Jahre im Unternehmen als Geschäftsführer tätig sein. Danach beginnt seine Karriere als Schriftsteller und Kinderbuchautor. In Verbindung mit der Augsburger Puppenkiste gelangen vieler seiner Bücher („Urmel aus dem Eis“, „Der Löwe ist los“) zur Popularität.
Hanne Adler-Kruse, jüngste Tochter von Käthe und Max Kruse, übernimmt nach dem Rückzug der beiden Brüder aus der Geschäftsleitung die Führung des Unternehmens. Sie beginnt kreativ mit Entwürfen für Babys und Kleinkinder und erweitert so die Produktpalette. Einige dieser Schmusepuppen finden sich noch heute im Programm der Manufaktur. Bis 1990 werden sie und ihr Mann die Werkstätten erfolgreich leiten.

Und wie geht es nach 1933 mit der Lietzenburg weiter?
Käthe und Max Kruse werden aufgrund der hohen Unterhaltskosten die Villa in eine Pension umwandeln und dort Gäste empfangen.
Sie selbst verbringen mit ihren Kindern die Sommer weiterhin in der Lietzenburg und spüren dennoch, dass sich die Stimmung verändert hat. Hiddensee ist keine Idylle mehr. Jüdische Badegäste, zumeist treue Stammgäste, haben die Insel und auch Deutschland verlassen und sind emigriert. Der Komponist und Kabarettist Friedrich Hollaender schreibt dazu in seinen 1965 erschienenen Lebenserinnerungen „Von Kopf bis Fuß. Mein Leben mit Text und Musik“ vom „lieben, verlorenen Hiddensee.“

Mit Gründung der DDR kommt die Lietzenburg 1949 unter staatliche Verwaltung. Sie dient als Erholungsheim der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald. In unmittelbarer Nachbarschaft entstehen neue Anwesen u.a. für die Tanzpädagogin und Tänzerin Gret Palucca und den Regisseur Walter Felsenstein, der 1947 die Komische Oper in Ost-Berlin gründet und ihr Intendant wird.
Nach dem Ende der DDR wird Max Kruse jun. Eigentümer der Lietzenburg. Er nutzt das Gebäude nicht und bietet es zum Verkauf an. Nach einem weiteren Eigentümerwechsel wird die Jugendstilvilla nach mehrjährigem Leerstand von 2009 bis 2013 denkmalgerecht renoviert, und es entstehen sechs Ferienwohnungen. Um der historischen Bedeutung der Villa gerecht zu werden, gibt es einen öffentlichen Bereich mit Kamindiele und dem Kruse-Atelier. Hier findet zum 100. Todestages des Geschäftsmanns und Kunstmalers Oskar Kruse 2019 auf Initiative des neuen Eigentümers, Claus Beneking, eine Gedenkveranstaltung statt. Damit wird auch dem Wunsch von Max Kruse jun. Rechnung getragen, der sich für das Anwesen u.a. ein künstlerisches Nutzungskonzept vorstellte.
Oskar Kruse, sein Onkel und Bauherr der Lietzenburg, der sich in besonderer Weise der Insel verbunden fühlte und von der Hiddenseer Bevölkerung liebevoll „Onkel Os“ genannt wurde, stirbt im Sommer 1919 in Kloster/Hiddensee und wird auf dem Inselfriedhof beerdigt.

Empfohlene Literatur:

Unda Hörner: Auf nach Hiddensee! Die Boheme macht Urlaub. Berlin 2014, 6.Aufl.
Gabriele Katz: Käthe Kruse. Ein Leben. Berlin 2015
Marion Magas: Von der Lietzenburg zur Groot Partie – Architektur auf Hiddensee. Eigenverlag 2016
Begleitband zur Ausstellung „Die Kruses“ – eine geniale Künstlerfamilie und ihr Freundeskreis. Donauwörth 2016

7. April 2021|| ein Beitrag von Edith Dietzler-Isenberg, Konrektorin i. R. an einer Grundschule

Für die Akademie ist Edith Dietzler-Isenberg als engagierte Reiseleiterin unterwegs.
Reisen Sie mit ihr vom 22. bis 27. August 2021 (So.-Fr.) nach Dessau oder vom 19. bis 25. September 2021 (So.-Sa.) zu den Künstlerkolonien Hiddensee, Ahrenshoop und Schwaan.
Folgen Sie mit ihr den Spuren August Mackes am 20. August 2021 (Fr.) in Bonn.