Als die Rockmusik die Welt verbessern sollte

Die Mutter aller Benefizkonzerte und ihre Geschichte. Erster Teil.

Am 1. August 1971 erlebten 40.000 Menschen im New Yorker Madison Square Garden die Geburt einer neuen Veranstaltungsform, des Charity-Konzerts. Wobei das eine Legende ist, hatte doch Georg Friedrich Händel bereits 1749 sein letztes Musikstück in englischer Sprache, das Foundling Hospital Anthem, für ein Kinderkrankenhaus komponiert.

Auch die Premiere von Händels Messiah – 1742 in Dublin – war ein Benefizkonzert, dessen Erlöse gleich mehreren Sozialeinrichtungen zugutekamen. Interessanterweise scheint diese an sich naheliegende Symbiose des Guten und Schönen nach dem „Historischen Konzert zugunsten der Witwen und Waisen österreichischer und ungarischer Soldaten“, das am 12. Jänner 1918 unter Schirmherrschaft des letzten Österreichischen Kaiserpaares im großen Saal des Wiener Konzerthauses stattfand, aus der Mode geraten zu sein.

Nur so ist zu erklären, dass landläufig das Concert for Bangladesh als Mutter der großen „Charity Concerts“ gilt und allen nachfolgenden philanthropischen Engagements im Pop-Bereich von Live Aid bis Live Earth als Blaupause diente.

Der übersehene Völkermord

Der Hintergrund des Concert for Bangladesh ist heute kaum noch bekannt: Im Frühjahr 1971 begannen pakistanische Militärs und Milizen, die Unabhängigkeitsbestrebungen in Ostpakistan, dem heutigen Bangladesch, gewaltsam zu unterdrücken. Innerhalb weniger Monate verloren bei systematischen Massakern drei Millionen Menschen ihr Leben, 30 Millionen Menschen wurden vertrieben, wovon 10 Millionen ins Nachbarland Indien flohen. Die kriegerischen Auseinandersetzungen trafen eine Region, die erst wenige Monate zuvor durch einen Zyklon schwer verwüstetet worden war. Hinzu kamen sintflutartige Regenfälle und Überschwemmungen.

Die Weltöffentlichkeit nahm von dieser humanitären Katastrophe jedoch kaum Notiz. US-Präsident Nixon sah in Pakistan einen Verbündeten gegen die Sowjetunion und versuchte daher, die Berichterstattung über den Völkermord in Ostpakistan zu unterdrücken. Die US-Regierung förderte sogar geheime Waffenlieferungen aus dem Iran, der Türkei und Jordanien nach Pakistan. Ausländische Regierungen stellten nur wenige Mittel zur Verfügung, um den Menschen in Ostpakistan zu helfen.

Eine Freundschaft mit Folgen

Unter diesen Entwicklungen in seinem Heimatland litt der aus einer angesehenen bengalischen Brahmanen-Familie stammende Musiker und Komponist Ravi Shankar, der seit den 1950er Jahren auch in westlichen Ländern als Virtuose auf dem Zupfinstrument Sitar und als Repräsentant klassischer indischer Musik eine gewisse Bekanntheit erlangt hatte. Im Jahr 1966 hatte Shankar gemeinsam mit Yehudi Menuhin ein Album aufgenommen, das später einen Grammy gewann. Etwa zur gleichen Zeit lernte er einen jungen Engländer kennen, der sich für indische Musik interessierte und sein Schüler wurde: George Harrison.

Als Leadgitarrist der Beatles war Harrison weltberühmt und sehr reich geworden. Beim Beatles-Song Norwegian Wood (This Bird Has Flown) hatte er erstmals die Sitar in einem westlichen Rock-Stück eingesetzt und damit musikalisches Neuland betreten.

Harrison galt als der „stille Beatle“, der immer etwas im Schatten der beiden großen Stars John Lennon und Paul McCartney stand. Aber sein ruhiges und freundliches Wesen führten zu vielen Freundschaften mit sehr unterschiedlichen Künstlern und Musikern. Frühe Weggefährten der Beatles wie die Fotografin Astrid Kirchherr und der Bassist und Grafiker Klaus Voormann empfanden für Harrison eine besondere Zuneigung, und auch mit dem viele Jahre älteren Ravi Shankar verband ihn eine enge Freundschaft.

Shankar erinnerte sich später an ihre Gespräche über Bangladesch: „Ich war in einer sehr traurigen Stimmung, nachdem ich all diese Nachrichten gelesen hatte, und ich sagte: ‚George, das ist die Situation, ich weiß, dass es dich nicht betrifft, ich weiß, dass du dich unmöglich damit identifizieren kannst.‘ Aber während ich mit George sprach, war er sehr gerührt … und er sagte: ‚Ja, ich glaube, ich kann etwas tun‘.“

Doch die Beatles hatten sich im Jahr zuvor aufgelöst. Was konnte der damals 28 Jahre alte Ex-Beatle George Harrison also tun, um seinem Freund Ravi Shankar und den Menschen in Bangladesch zu helfen? Zumal sich die Pop-Musik Anfang der 1970er Jahre auf Abwegen befand ….

Den zweiten Teil der Geschichte lesen Sie übermorgen hier im Blog.

Bilder

Der Madison Square Garden in Manhattan, Chris Niwore auf Unsplash, gemeinfrei

Mahnmal für die ermordeten bengalischen Intellektuellen 1971, Ctg4Rahat via Wikimedia (CC BY-SA 4.0)

Ravi Shankar beim Woodstock-Festival 1969, Markgoff2972 via Wikimedia (CC BY-SA 4.0)

George Harrison, der „stille Beatle“, Mitte der 1960er Jahre, RV1864 auf Flickr (CC BY-NC-ND 2.0)

28. Juli 2021 || ein Beitrag von Akademiereferent Dr. Matthias Lehnert