Sakralisierung des Ukraine-Krieges
Mit zunehmender Bestürzung haben wir alle den brutalen Überfall Putins auf die Ukraine verfolgt. Das bislang unmöglich Scheinende ist am 24. Februar real geworden; auf europäischem Boden hat der Krieg wieder Einzug gehalten.
Viel ist in diesen ersten Monaten nachgedacht, gesprochen und geschrieben worden zu Putins Gründen. Zwei Motive scheinen der Wahrheit am ehesten nahe zu kommen.
Ein wesentliches scheint dabei die Provokation der NATO zu sein, die, zunächst offenkundig außenpolitisch begründet, auf den zweiten Blick jedoch zu großen Teilen auch innenpolitisch begründet ist. Im selben Maße, wie Putin im eigenen Land Reformen schuldig blieb, Korruption nicht bekämpfte, Kritiker und Konkurrenten kalt stellte, schwierige wirtschaftliche Lebensumstände der Menschen nicht milderte und ihre Freiheit zunehmend einschränkte, sank seine Popularität in den letzten Jahren. Nun zeigt sich Putin seinem Volk als gefürchteter militärischer Führer, der mit harter Hand seine Ziele durchsetzt – ungeachtet dessen, dass er diese Ziele nie im Detail benannt hat und daher vor der Öffentlichkeit jederzeit neu kalibrieren kann.
Ein zweites, nicht minder relevant, ist Putins historisierender Entwurf eines großrussischen Imperiums, vermeintlich legitimiert im Herzstück der alten „Kiewer Rus“ und bestehend aus dem Kernland Russland, den Kleinrussen in der Ukraine und den Weißrussen in Belarus. Jüngste Äußerungen Putins etwa zu Peter dem Großen ziehen diesen Kreis noch weiter und verleiben das Baltikum diesem revisionistischen Traum unter seiner Führung ein.
Die überlieferte „Rus“ mit der Ukraine als Herzstück nahm mit der Christianisierung Wladimirs des Großen im Jahr 988 ihren Anfang und begründete die Russisch–Orthodoxe Kirche, auf die sich Putin heute beruft. War die Kirche während der Sowjet-Herrschaft unterdrückt und verboten, so ist sie heute Bundesgenosse und Handlanger der Staatsideologie. Laut Michel Eltchaninoff, Chefredakteur des französischen „Philosophie Magazine“, gibt es in der russischen Kultur einen Messianismus spätestens seit dem 16. Jahrhundert. Demzufolge betrachtet sich Russland in bestimmten Phasen seiner Geschichte mit einer „universellen zivilisatorischen Mission betraut“, in deren Rahmen Ziele des Kremls und der Kirche expansorisch zusammenfallen.
Beide Akteure, kirchliche wie staatliche, schüren und nutzen das russische Empfinden, in einer „belagerten Festung“ zu sitzen, einer Festung, der der Westen immer näher rückt. Auch den ideologisch verwaisten Intellektuellen Russlands, die 70 Jahre mit dem Marxismus-Leninismus lebten und die dann den Zusammenbruch der Sowjetunion erleben mussten, bietet Putin mit dem Narrativ von der erhabenen slawischen Seele eine innere Heimat. Nach der Vorstellungswelt Putins ist diese Seele gemeinwohlorientiert, spirituell und idealistisch: das Gegenteil des auf Profit und dekadenten Komfort bedachten Westens, der jeden ideellen Wert über dem merkantilen Vorteil vergisst.
Vor allem eines ist diese slawische Seele in Putins Erzählung: opferbereit. So inszeniert er seine geopolitischen Ambitionen als einen feierlichen, von der Kirche mitgetragenen Patriotismus, in dem Russland das Opfer des Westens und der Krieg eine Befreiungsschlacht ist.
„In Russland ist selbst der Tod noch schön“ – dieses von Putin gern zitierte Sprichwort wird zu einem zynischen Menetekel in diesen Tagen.
Es bleiben viele Fragen. Einigen wird sich ein Ukraine-Online-Abend der Thomas-Morus-Akademie am Dienstag, 21.6.22 von 19.30 – 21.00 Uhr widmen. Zugesagt hat die Generalkonsulin der Ukraine in Düsseldorf, Iryna Shum, die zur aktuellen Lage in der Ukraine sprechen wird. Zugesagt hat auch Dr. Regina Elsner vom Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien, Berlin: Sie analysiert die hochbrisante Rolle der Kirche(n), Dr. Alexander Friedman, Universität Saarbrücken und gebürtiger Belarusse, erörtert die Situation im Nachbarland Belarus und die Ziele Lukaschenkos.
Das aktuelle Programm des Abends finden Sie in den nächsten Tagen auf unserer Website. Herzliche Einladung!
Ebenso herzlich laden wir ein zu einem Benefizkonzert für die Ukraine am Sonntag, 19.6.22 von 16.30 – 18.00 Uhr im Kardinal Schulte Haus. Paul Kruk, gebürtiger Ukrainer aus Cherson und studierter Konzertpianist, spielt Werke u.a. von Beethoven und Chopin am Flügel; zwischen den Stücken berichtet er von seinen Erfahrungen als ehrenamtlicher Übersetzer der geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainer in Bergisch Gladbach.
Der Eintritt ist frei; es wird um Spenden gebeten zur Unterstützung der ukrainischen Kinder im Rheinisch-Bergischen Kreis.
Diese Benefizkonzert ist eine Kooperation der Thomas-Morus-Akademie und der Aktion Neue Nachbarn des Erzbistums Köln. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Wir freuen uns auf Ihre Teilnahme.
19. Juni 2022 (So.)
Benefizkonzert
Für die ukrainischen Kinder in Rhein-Berg
Benefizkonzert in der Thomas-Morus-Akademie / Kardinal Schulte Haus
13. Juni 2022 || ein Beitrag von Felicitas Esser, Akademiereferentin für Kultur und Gesellschaft