Den Tag ausklingen lassen mit Immanuel Kant in dessen Lieblingsrestaurant

Den Tag ausklingen lassen mit Immanuel Kant in Kaliningrad

Trotz des Sommers wehte eine erfrischende Brise von der Ostsee in die Stadt. Ich saß mit Kant in seinem Lieblingsrestaurant. Er bestellte getrocknete Pasternack mit geräuchertem Bauchspeck.
„Für mich bitte auch Schweinefleisch mit Möhren, wie der Herr Kant!“
„Ich habe Pastinaken bestellt. Das sind zwar auch Doldenblülter, aber von der Art der Karotten zu unterscheiden, die Sie bestellt haben.“
„Gut, dass Sie das sagen. Derzeit geistert durch die Gazetten, dass Sie Rassist seien!“
Lächeln. Schon 1775 habe er betont, dass „alle Menschen auf der weiten Erde zu einer und derselben Naturgattung“ gehörten.
„Ja, das ist es ja, was verwundert.“
„Dem aufmerksamen Auge zeigt sich eine Verschiedenheit der Menschen bei aller Gleichheit. Wie kann aber etwas gleich und verschieden sein? Menschen sind alle gleich, aber man kann sie doch Gruppen zuordnen, die, und das ist die Pointe, nicht sozialer Art sind.“
„Aber es sind beliebige Einteilungen.“
„Nein, sie werden vererbt, obwohl sie einmal erworben worden sein müssen. Wie soll das gehen?“
„Aber warum dann Rasse?“
„Zur Bezeichnung des Problems wählte ich ein damals unbelastetes Wort aus dem Englischen: race, d.h. Rasse. Das Wort „Art“ habe ich abgelehnt, weil es die Menschengattung unterteilte, so, als ob es „Arten von Menschen“ gäbe, wie es Arten von Doldenblütlern gibt, Karotten und Pasternaken. Gibt es aber bei den Menschen nicht. Der Begriff der Art und dann folgend der Entartung leugnet die Einheit des Menschengeschlechts. Genau das wollte ich ja nicht. Der Begriff Rasse schien mir das Problem zu benennen, nämlich den Unterschied von Exemplaren eines und desselben Stammes, sofern er unausbleiblich erblich ist.“
„Mein Problem“, fuhr er fort, „wurde erst mit der Entdeckung von Mutation und Selektion, also mit Charles Darwin, und mit der Genetik, also Gregor Mendel, gelöst.“
„Aber deren Fragestellung, die diese Wissenschaften entstehen ließ, haben Sie aufgespürt?“
„Ich hatte allerdings etwas leichtfertig gedacht, dass man Argumente prüft, aber nicht diejenigen verdächtigt, die sie vortragen. Aber da habe ich mich wohl geirrt.“

Neuerscheinung:

Werner Zillig / Volker Ladenthin:
Alle meine Vorurteile.
Ein Roman
Altan: München 2021

Der Ausgangspunkt, die Frage: Was sind heute eigentlich die großen Probleme? Und wie würde, wie sollte „man“ diese Probleme analysieren? Es beginnt in schnellem Wechsel das E-Mail-Gespräch. Ein Bild wird gefunden: Der eine, Volker Ladenthin, Essayist und Erziehungswissenschaftler scheint wissenschaftliches Golf zu spielen. Der andere, Werner Zillig, Romancier mit der Analytischen Philosophie als Hintergrund spielt wissenschaftliches Tennis. Wie finden die beiden da zusammen? Sie treffen sich, indem sie, manchmal etwas atemlos, alles wechselseitig infrage stellen, analysieren und neu festzurren. Sie spielen Gold, sagen sie dann, wenn sie einen gemeinsamen Punkt gefunden haben.

„Ich habe mir hin und wieder vorgestellt, ich hätte eine wöchentliche Kolumne in einer Zeitung. Mir war immer klar, dass der Serientitel dieser Kolumnen lauten würde: ›Alle meine Vorurteile‹.“ – W. Z.

„Das ist doch ein Roman! Schreiben und leben wir nicht tagtäglich unseren Roman? Den Roman unseres Lebens?“ – V. L.

25. Juli 2021 || ein Beitrag von Prof. i.R. Dr. Volker Ladenthin

Volker Ladenthin

Studium in Münster und Berlin; 1990 Promotion; 1994 Habilitation. Venia legendi für Allgemeine Pädagogik. Gastprofessuren an der Universität Kairo/Ägypten und Helwan/Ägypten. 1995 Ruf an die Pädagogische Hochschule Karlsruhe. Seit 1995 C4 Professur mit dem Schwerpunkt Systematische und Historische Pädagogik und Schulpädagogik an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms Universität Bonn. Mehrere Amtsperioden Vorsitzender der Erich Kästner Gesellschaft, der Rheinischen Kinderbuch Gesellschaft. Seit 2019 Emeritus.

Den Tag ausklingen lassen mit…

Mit Jesus über Gott und die Welt reden, mit Mahatma Gandhi über zivilen Ungehorsam debattieren, mit Jean-Paul Sartre philosophieren, mit Yoko Ono und Banksy über Kunst, mit Michelle Obama über Gerechtigkeit sprechen… bei einem Glas Wein oder einem Drink.

Es gibt unzählige Menschen, denen werden wir nie begegnen, die uns jedoch sehr faszinieren und mit denen wir uns gerne einmal austauschen möchten. Welche Fragen würden wir ihnen stellen? Welche Antworten würden sie geben? Was genau fasziniert uns an ihnen?

In unserer neuen Sommer-Reihe haben wir Personen, mit denen die Akademie verbunden ist, gefragt, mit wem sie gerne einmal den Tag mit einem Sundowner ausklingen lassen möchten.

Übrigens soll der Sundowner von der britischen Marine erfunden worden sein. Mit diesem Ritual sollte ein Austausch unter der Mannschaft stattfinden. Austausch, Gemeinschaft, Begegnung… danach sehnen auch wir uns.