50 Jahre Pastoralreferentinnen und Pastoralreferenten
„Wenn es der Heilige Geist will, dann wird es bleiben“, so soll der Münchner Erzbischof Julius Kardinal Döpfner gesagt haben, als er sich wohl als erster 1969 entschied, motivierte Theologen als Pastoralreferenten anzustellen. Es sollte der Beginn einer neuen Geschichte in der Kirche sein – der Geschichte von Menschen, die ohne Weihe in der Kirche als hauptberufliche Theolog*innen arbeiten. Das System fremdelte von Anfang an mit ihnen. Keine Kleriker, aber auch keine fachlichen Laien; die Ausbildung mit der der Priester vergleichbar, ja fast identisch; wichtige Dienste übernehmend, aber in der Auffassung vieler kein kirchliches Amt ausübend – der kirchenrechtliche Ort bleibt unklar. Die Menschen fremdelten weniger. Schnell wurden „die Neuen“ angenommen und leiteten erst Gruppen, dann teils ganze Gemeinden. Sie übernahmen Aufgaben, die Jahrhunderte lang nur Kleriker ausgeübt hatten. Familienväter, die sonntags am Ambo predigen, so lange man es ihnen nicht wieder verbietet, und Frauen, die beerdigen, sind längst Alltag. Viele neue Seelsorgefelder in Krankenhaus, Gefängnis, Altenhilfe, Freizeit… sind durch sie aufgeschlossen worden und ungeahnte Professionalität entstand.
In diesen Jahren wird, je nach Diözese, der Beruf 50 Jahre alt. Aus den einstmals neuen sind längst die Etablierten geworden. Es ist eine Geschichte der Zufälle, der Umwege, der Frustrationen, der Neuaufbrüche, der Widersprüche und Unklarheiten. Vieles ist dabei weniger geplant als einfach so gelaufen. Doch Geschichte wird gemacht. Wie eine Geschichte erzählt wird, hängt vom Rahmen ab, in dem sie erzählt wird. Die Deutung ist oft wichtiger als die Fakten. Und viele kleine Geschichten machen erst die große Geschichte.
Jetzt zum Jubiläum erzählen viele die Geschichte. Christiane Florin und Bischof Bätzing zum Beispiel beim Festakt zum 50jährigen. Bei aller Verschiedenheit der Pastoralreferent*innen, die einzige große Gemeinsamkeit ist: die Theologie. Es ist die Ressource, die allen ermöglicht, die vielen Wege zu gehen. Theologie meint hier nicht nur – und im Fall manches Kollegen sogar nur ganz am Rande – die akademische Theologie, sondern es meint die in den vielfältigen Seelsorgefeldern stets aktualisierte, kontextualisierte und angewandte Theologie des Alltags. Sie hat vielen Kolleg*innen auch durch die Irrungen und Wirrungen mancher römischer und deutscher Entscheidungen hinweggeholfen. Sie hat Identität immer neu möglich gemacht, wo sie regelrecht bröselte, weil die Predigterlaubnis rückgängig gemacht, Gemeindeleitung wieder alleine Klerikerfeld und selbst der Begriff Seelsorger Laien entzogen wurde. Mit Identitätskrisen kennen wir uns aus. Denn wir befinden sich seit Beginn unserer Geschichte mitten drin. Lange hat man diese schon chronische Identitätskrise eher als Makel gesehen und sich dafür schon beinahe geschämt. Aber stimmt das noch? Denn auch Gesellschaft und vor allem Kirche befinden sich in einer gewaltigen Identitätskrise. Da können Pastoralreferenten*innen zu gefragten Spezialisten werden, weil sie ihre eigene Identität erst suchen mussten und das teilweise gleich mehrfach – solche Spezialisten können sie aber nur sein, wenn sie die eigene Suche auch theologisch reflektieren.
In meiner Dissertation habe ich nach Haltungen von Pastoralreferent*innen gesucht. Vielfältige habe ich gefunden, eine Zusammenfassung auch in einer Sonderausgabe der Lebendigen Seelsorge zum Jubiläum. Gemeinsam haben die Haltungen eines: Sie sind auf den Dienst an Anderen ausgerichtet. Pastoralreferent*innen handeln als kirchliche Mitarbeiter*innen eng verbunden mit der Institution und zugleich an der Welt und in der Welt. Sie wollen Brücken zwischen kirchlicher und nicht-kirchlicher Wirklichkeit bauen, beziehungsweise diese verbinden. Damit stellen sie für eine Kirche in der Spätmoderne eine entscheidende Ressource dar. In ihrem Dienst agieren sie in den gleichen Polen, wie die Kirche als Ganzes, sie handeln ad intra und ad extra. So werden sie zu christlichen Zeitgenoss*innen, deren Dienst nicht nur für andere da ist, sondern die das Gegenüber selbst zwingend brauchen. Gerade in den aktuellen Diskussionen um das Primat der Evangelisierung stehen sie mit ihrer Haltung Dialog zwischen Kirche und Welt zu fördern für einen Evangelisierungsbegriff, der sich deutlich von manchen neueren Strömungen abhebt, die meist von Neuevangelisierung sprechen und eher instruktionstheoretisch denken. Pastoralreferent*innen stehen für hingegen ein wechselseitiges Lernen, für eine Wertschätzung individueller Lebensgeschichten und damit für eine Evangelisierung, in der auch sie selbst durch den Dialog mit anderen evangelisiert werden.
Im Zueinander der Ämter könnten sie als die Amtsträger*innen verstanden werden, die ganz im Sinne der pastoralen Kirchenkonstitution Gaudium et Spes den Blick besonders auf das ad extra richten. Sie bräuchten dafür jedoch viel weniger Misstrauen, das ja gerade im Fragen nach ihrer Kirchlichkeit und Loyalität von Seiten Verantwortlicher oft aufscheint. In den Worten Christiane Florins: „Ich wünsche Ihnen, dass Sie keine Sätze von der Sorte mehr sagen müssen: „Ich habe hier meinen kleinen Freiraum, da kann ich viel Gutes gestalten.“ In autoritären Regimen braucht der Mensch Nischen. In freiheitlichen sind Freiräume die Regel, nicht die erwähnenswerte Ausnahme.“
Pastoralreferent*innen kennen und respektieren die Ohnmachtserfahrungen vieler Menschen und können so zu einer Pastoral beitragen, die niemanden ausschließt. Sie stehen dann auch für ein erneuertes Kirchenbild einer Kirche der Selbstunsicherheit und des Wagnisses. Diese Chance zu ergreifen bedeutete aber für die Pastoralreferent*innen immer Fragen der Selbstreflexion zu stellen: Welche Relevanz hat meine Tätigkeit? Was bedeutet mein Tun für den Ort und die Menschen, an dem und mit denen ich arbeite? Erhalte ich mit meinem Tun nur Strukturen, oder dient es dem Zueinander von Mensch und Botschaft? Manche lieb gewonnene Tätigkeit würde dann sterben, es wäre ein Wagnis. Pastoralreferent*innen dürfen dabei weder Lehrer*innen sein, die anderen aus einer Perspektive des Wissens erklären, wie Kirche in Zukunft ist. Noch sollen sie Vorturnende sein, die Lücken füllen und Vergangenes stabilisieren. Um im Bild des Sports zu bleiben, bringen sie gute Voraussetzungen mit, eine Art Spielertrainer*in zu sein; selbst auf dem Platz, also mitten in der realen Welt, mit eigenen Interessen und Bedürfnissen, aber ausgerüstet mit speziellem Handwerkszeug und speziellen Aufgaben. Eine Stärkung der Haltung als Theolog*in zu handeln scheint mir ein wichtiger Schritt in die Zukunft zu sein, weil das in einer nach Professionalisierung strebenden Welt die Frage nach der Legitimation einer Hauptberuflichkeit beantworten kann.
Bild: Daniel Zamilski
In: Pfarrbriefservice.de
1. Februar 2022 || ein Beitrag von Dr. Konstantin Bischoff, geboren 1985, Pastoralreferent im Erzbistum München und Freising, als Pfarrbeauftragter Leiter der Pfarrei Herz Jesu in München, Mitglied der Vollversammlung des Synodalen Wegs für den Berufsverband der Pastoralreferent*innen Deutschlands e.V. und des Theologischen Beirats des Berufsverbands.