Bensbergs Skulpturenpark – Neussl und Lem
Bis heute sind es fünf Kunstwerke, die sich einen Platz im Bensberger Skulpturenpark erobert haben. Günther Oellers mit seinem Zweiflammenstein (mehr dazu im Blog) auf der Terrasse des Kardinal Schulte Hauses und Rolf Schaffner gleich zweimal: Einmal auf der anderen Seite der Terrasse des Tagungszentrums (mehr dazu im Blog) und einmal – wenn sie denn da sind – mitten zwischen den Kühen, auf der sanft abfallenden malerischen Wiese, die vom geschwungenen Weg hoch zum historischen Gebäude flankiert wird (mehr dazu im Blog).
Zum Gesamtkunstwerk Skulpturenpark gehört alles: Die Wiesen, die Plätze, die Wege, die Gebäude und die Kunst. Und damit endet es nicht. Der Mensch selbst wird zum Teil des Kunstortes. Er muss ihn durchschreiten, die Kunst entdecken, sich ihr räumlich nähern, sie umgehen und – und das ist natürlich außergewöhnlich – er darf sie auch berühren. Betreten Besucherinnen oder Besucher nun also das Areal des Bensberger Skulpturenparks, durchschreiten sie zunächst das Tor des Empfangs- oder Pförtnerhauses. Durch den abgedunkelten Raum entschleunigt, öffnet sich umso beeindruckender der Blick auf das Areal des Kardinal Schulte Hauses. Und das erste Schmuckstück, das ihnen begegnet ist Heinz Georg Neussls Werk Das Kreuz. Es ist die vierte Skulptur, die ihren Platz in Bensberg einnahm und wurde dann so platziert, dass sie als erste den Gast begrüßen kann. Tatsächlich kommt es so der historischen Bedeutung des Wegkreuzes sehr nah und ist vielleicht genau das: Ein Zeichen des Glaubens. Allerdings, wenn man mit dem Auto kommt, wird man es womöglich verpassen, denn es mutet trotz seines stolzen Gewichts von 600 kg bescheiden an und präsentiert sich nicht mit viel Tamtam. Es sind zwei Basaltsteine (2,4 m und 1,2 m), die so aufeinander platziert sind, dass sie, wie der Titel schon verrät, ein Kreuz ergeben… oder ein „Tau“. Und hier geht es schon los: Nicht nur eine Bedeutung liefert uns dieses Kreuz, trotz seiner Platzierung und ornamentalen Zurückhaltung. Dem Tiroler Neussl mag die Bedeutung des Wegkreuzes natürlich sehr nah sein, aber er ist seines Zeichens auch Architekt und stellt hier zwei Bauelemente gleich einem Ausschnitt aus einem Stützensystem aufeinander. So musste auch der Quer-Stein mit einem Loch versehen sein, damit er auf der Stütze stabil ruhen kann. Doch selbst das ist noch erstaunlich. Denn so richtig stabil sieht es nicht aus. Das wirft Fragen nach Stabilität auf, nach Gleichgewicht (Vgl. Rolf Schaffners Equilibrio) und nach Tragen und Lasten. Und das hört nicht bei einem Gebäude auf. Wo findet der Mensch Gleichgewicht und Stabilität? Wo braucht er Stützen? Wo kann er tragen?
Gleichzeitig erinnert das Kreuz Neussls an den griechischen Buchstaben Tau. Nicht nur in Geschichte und Mathematik findet sich das Tau, es ist auch ein christliches Symbol verschiedener Bedeutungen. Im Buch Ezechiel des Alten Testaments ist es eine Stirnmarkierung aller Glaubenstreuen, ausgeführt vom Propheten selbst. Als Antoniuskreuz wurde das Zeichen umgedeutet und als Krücke wahrgenommen. Denn der nach Antonius dem Großen benannte Antoniterorden hatte sich vor allem der Krankenpflege verschrieben, was die Entstehung dieser Deutungstheorie im 14. Jahrhundert nahelegt. Nicht zuletzt wurde das Taukreuz zum Symbol des Franziskanerordens. Der Legende nach verwendete es der Ordensgründer Franz von Assisi vielfach, so als Zeichens des Segens, der Erlösung, des Heils und der Erwählung – und schließlich sogar als Signatur.
2009 erhielt der Skulpturenpark seinen jüngsten Zuwachs. Dorissa Lems Skulptur Ohne Titel steht als Begleiter am Rand des recht steilen Fußwegs hinauf zur Terrasse des Tagungshauses. Es scheint regelrecht zu einer Pause einzuladen, die genau an dieser Stelle gut zu gebrauchen ist. Aber nicht nur deshalb steht sie hier. Man hat einen Ort ausgesucht, der den Weg der Sonne begleitet und so im Tagesverlauf immer wieder eine neue Erleuchtung erhält. Für eine Skulptur, die auf Allansichtigkeit ausgerichtet ist, also keine Vorder- oder Rückseite hat, und die zudem für einen Aufstellungsort im Freien gedacht ist, sind das ideale Bedingungen. Hinzu kommt ihr Material: Roter Sandstein. Gerade die rote Färbung lebt von unterschiedlicher Beleuchtung. Zudem verändert sich ein Werk, das Wind und Wetter ausgesetzt ist, ohnehin. Manche Stellen werden heller, manche dunkler, an manchen lagern sich Flechten und Pflanzen ab, und so lebt ein Kunstwerk im öffentlichen Raum ein Stück weit mit seiner Umgebung. Dorissa Lems Arbeit stammt aus dem Jahr 1997 ist mit ihren 1,44 m die kleinste im Skulpturenpark. Dass sie hier ihren Platz finden konnte, verdankt sie der Förderung durch die Kulturstiftung der Kreissparkasse Köln und der Künstler-Union-Köln. Zuvor hatte sie neun Jahre im Kölner Maternushaus gestanden, bevor sie nach Bensberg umziehen konnte.
Dorissa Lem hat sich ihrem Werkstoff von zwei Seiten genähert. Sie versah den gebrochenen Stein, der aber vorne und hinten ziemlich flach ist, mit einer konkaven Mandorla. Eine Mandorla, die meist als Mandelform angelegt ist, umschließt in der Kunstgeschichte eine heilige Person in einer Art Gloriole. In Dorissa Lems Werk aber befindet sich in ihrer Mitte keine Marienfigur, sondern zwei übereinander gesetzte Vertiefungen, die sich so weit in das Material hineinarbeiten, dass sie schließlich als Löcher die Verbindung zur anderen Seite und der dortigen zweiten Mandorla schaffen. Betrachtet man das Werk nun genauer, sieht man dem Stein an, wie die Künstlerin gearbeitet hat. Manche Stellen scheinen gänzlich unbearbeitet zu sein, manche sind grob in ihrer Oberfläche und manche fein, fast glatt. In der Entstehungszeit dieses Werks hat sich Lem intensiv mit dem Thema Herzkammern beschäftigt. Und die Zahl zwei taucht hier für ein formal so zurückhaltendes Werk erstaunlich oft auf: Die zwei Seiten, die zwei Mandorlen, die zwei verbindenden übereinanderstehenden Löcher. Nicht zuletzt ist für Dorissa Lem das künstlerische Schaffen oft ein geradezu meditativer Prozess, der häufig von Musik begleitet und sogar angeleitet wird. Womöglich klingen die Töne hier immer noch ein wenig nach…
Bilder: © TMA
27. Oktober 2024 || ein Beitrag von Akademiereferentin Judith Graefe