Münstermaifeld-Heiliges Grab-Impuls von Pfarrer Axel Hammes am Karsamstag

Abgrund der Stille

Da liegt er nun am Ende seiner Passion, „nahe dem Ort, wo man ihn gekreuzigt hatte“ (Joh 19,41). Es musste ja schnell gehen wegen des Rüsttags für das Paschafest. Hastig mühen sich zwei heimliche Sympathisanten darum, Jesus eine allerletzte Schande zu ersparen und ein ordentliches Begräbnis zustande zu bringen.

Zu den prägenden Bildeindrücken meiner Kindheit in der Eifel zählt auch ein Ausflug mit meinem Onkel Willy zur gotischen Stiftskirche in Münstermaifeld. Im nördlichen Seitenschiff stand ich auf einmal vor dem Heiligen Grab Steinfiguren gegenüber, die mir damals lebensgroß und erschreckend echt erschienen. Mit geschlossenen Augen lag der geschundene Leichnam Jesu da, bedeckt allein von einem Leinentuch. Noch hat ihm niemand das Blut aus dem Gesicht gewaschen, noch trägt er die Dornenkrone. Am Sarkophag des toten Christus steht das vor Entsetzen erstarrte Elend. Zaghaft umfassen Josef von Arimathäa und Nikodemus das Leichentuch. Wahrhaft versteinert sind die Gesichter der vier Frauen, die der Evangelist Johannes unter dem Kreuz Christi aushalten sieht (vgl. Joh 19,25). Gerade eben hat Maria Magdalena ihr Salbgefäß geöffnet. Aber anscheinend will sich niemand aus diesem Häuflein der Getreuen daran machen, nun endlich den Verstorbenen zu waschen, zu salben und in Leinen zu wickeln. Der Lieblingsjünger faltet lieber zusammen mit der Mutter des Herrn die Hände und hält stille Andacht. Sie alle sind offenbar noch nicht so weit, Abschied zu nehmen, den Toten zur Ruhe zu betten und fortan ohne ihn zu leben.

Sie wissen ganz genau: Mit ihm müssen sie auch einen wichtigen Teil ihres eigenen Lebens begraben. Sie stehen tatsächlich mit dem Rücken zur Wand. Was und wer soll jetzt noch kommen, das Hoffnung wecken könnte, so wie Jesus es tat bis zum letzten Atemzug. Mit ihm sahen sie Gottes neue Welt anbrechen. Nun aber: alles aus und vorbei, verloren, für immer zerstört. Sind nicht auch sie von Jesu Sarkophag umschlossen, ihres Lebens beraubt, am Ende?

Karsamstag ist der Tag der Grabesruhe Christi. Nur an diesem Tag im Kirchenjahr wird keine Eucharistie gefeiert und nicht die Kommunion gereicht. Wir treten ein in ein liturgisches Vakuum, in den Tag der Stille und der Leere. Die frommen Seelen an seinem Grab tun gut daran, nicht zu schnell den Fall ihres Herrn abzuwickeln. Sie lassen ganz nahe an sich heran, wie sich all ihre Wünsche und Sehnsüchte langsam aber sicher in Verwesung aufzulösen scheinen. Diese wahrhaft Heiligen, von denen auch der französische Philosoph und Mathematiker Blaise Pascal (*1623 †1662) sprach:

„Jesus Christus war tot, doch am Kreuz wurde er gesehen.
Im Grab ist er tot und dem Blick entzogen.
Jesus Christus wurde nur von Heiligen zu Grabe gelegt.
Jesus Christus hat im Grab kein einziges Wunder gewirkt.
Es sind nur Heilige, die das Grab betreten.
Dort gelangt Jesus Christus zu neuem Leben, und nicht am Kreuz.
Jesus Christus lehrt als Lebender, als Toter, als Begrabener und als Auferstandener.
Jesus Christus hatte auf Erden keinen Ort, um sich auszuruhen, als das Grab.
Seine Feinde haben ihn ohne Unterlass gequält, bis zum Grab.“ (Pensées Nr. 492)

Lassen wir die Botschaft des Karsamstags in die Tiefen unserer Seele sinken: Der tote Jesus teilt das Schicksal der Toten, ohne Abstriche, total und radikal. Indem er versinkt, steigt er herab in die Infernos der absoluten Gottesferne. Auch der dunkelste menschliche Abgrund bleibt nicht länger leer. Denn dort wartet das Mitleid selbst. Es löst des Todes Fesseln, weil es alles auf sich nimmt, auch diese letzte Verneinung. Die steinernen Heiligen aus Münstermaifeld ahnen, was sie zurückschrecken lässt. Aber sie bleiben an der Seite des Toten. Und an ihrer Seite kann unsere Ahnung von dem wachsen, was Ostern uns Ungeheuerliches verspricht.

Bild:
Das „Heilige Grab“ aus der ehemaligen Stiftskirche St. Martin und St. Severus Münstermaifeld (um 1500), gemeinfrei

Osterfreude

Texte & Gedanken an den Kar- und Ostertagen

Pfarrer Dr. Axel Hammes, Subsidiar in Bensberg und Bergisch Gladbach, wird die Kar- und Ostertage mit Texten in unserem Blog „Akademie in den Häusern“ gestalten. Ein regelmäßiger Blick in unseren Blog lohnt sich!

16. April 2022 || ein Beitrag von Pfarrer Dr. Axel Hammes, Lehrbeauftragter für Neues Testament und Homiletik in Köln, Bonn und Lantershofen; Geistlicher Begleiter; bis 2021 Spiritual am Collegium Albertinum in Bonn, seit Anfang 2022 Subsidiar in Bensberg und Bergisch Gladbach