Ernest Bloch - Schweizer Musik - Mehr im Blog der Akademie

Ernest Bloch – Musik aus dem Geist des Judentums

Der 1880 in Genf geborene Ernest Bloch lässt sich in Brüssel vom Stargeiger Eugène Ysaÿe zum Virtuosen ausbilden, doch mehr noch als die Violine lockt ihn das Komponieren. Der Genfer Dirigent Ernest Ansermet vermittelt ihm später eine Dozentur in Lausanne, und mit 31 Jahren findet Bloch zu seinen jüdischen Wurzeln dank seines Kontakts mit Emond Fleg aus Paris. Mit seinem Psalmen-Zyklus etabliert er sich als jüdischen Komponisten und seine Israël-Symphonie (1912-1916) nennt er selbst eine «Synthese der jüdischen Seele».

Der ukrainische Cellist Barjansky inspiriert ihn zu einem Werk über den König Salomon: 1916 entsteht Schelomo, eine Rhapsodie für Cello und Orchester, sein inzwischen populärstes Werk: der Einstieg des Solisten, ein improvisatorisches Auf und Ab, bezeichnet Salomons Worte ans Volk:

Das Cello beschließt den Dialog mit dunklen Einzeltönen in der Tiefe, gemäß Salomons Weisheit, dass alles eitel sei.

Während Blochs erstem Amerika-Aufenthalt 1917-1930 mit seiner Familie vertieft er sich in die orthodoxe Welt, und schon früh bietet ihm die Carnegie Hall auf Barjanskys Initiative eine Bühne für seine jüdische Musik. Als Leiter des Musikinstituts von Cleveland publiziert er Texte zur Musik-Pädagogik und komponiert ab 1920 zahlreiche Werke mit jüdischem Gehalt, wie z.B. die drei chassidischen Bilder Baal Schem, deren Mittelteil Nigun für Violine häufig einzeln aufgeführt wird, ein Stück, das der 7-jährige Menuhin für sich entdeckt:

Nigun – Motiv

Die Bekanntschaft mit Pablo Casals in Santa Fe inspiriert Bloch zu den Méditations hébraïques – From Jewish Life von 1914 für Cello und Klavier, deren Prayer als Ausdruck ostjüdischer Melancholie ein Höchstmass an Emotionalität erreicht:

Auf Cleveland folgt San Francisco, wo Bloch als Leiter des universitären Instituts wirkt und als amerikanischer Staatsbürger (seit 1924) ein patriotisches Werk zur Aufführung bringt: Rhapsody AMERICA, ein gewaltiges Orchesterstück mit Schlusshymne – ein Riesenerfolg! – 1928 kommt es zur Begegnung mit der Familie Menuhin, und für den 12-jährigen Wundergeiger Yehudi schreibt er Abodah, eine Melodie über Yom Kippur. Die enge Freundschaft mit den Menuhins wird ihn durch sein ganzes Leben begleiten.

Mit der Rückkehr 1930 in die Schweiz sucht Bloch Erholung in den Bergen (Wandern, Fotografieren, Pilze sammeln) und tauscht sich mit Westschweizer Schriftstellern aus. Seine kompositorische Hommage an sein Vaterland heißt HELVETIA, ein symphonisches Fresko von lautmalerischer Üppigkeit über die Bergwelt mit Horn-Soli, Gewittersturm, völkischem Pathos usw.

Im Oktober 1930 zieht er mit den beiden Töchtern Suzanne und Lucienne an einen idyllischen Ort hinter Lugano, ins Tessiner Dorf Roveredo im Val Colla, wo er mit Blick gegen Süden bis zum entfernten Seebecken sein größtes Werk in Angriff nimmt, sein Synagogen-Oratorium:

AVODATH HAKODESH – der Sacred Service

Haus und Garten mit Gedenktafel an der ‘Via Ernest Bloch’ in Roveredo (Fotos J. Zemp)

Diese Sabbat-Musik, ein Auftragswerk für Baryton-Solo (Kantor), Chor und großes Orchester umfasst die fünf Teile Meditation (Torah-Schrein: gravitätisch im tiefen Register), N’Kadesh (die Weihe), Devotion (Begleitung der Torah), Torah tziva (Torah-Rollen zurück in den Schrein), Adoration + Kaddish. Den Text verfasst Bloch in aschkenasischem Hebräisch, für Italien schreibt er eine sefardische Version.

«Der Herr segne und behüte Dich» in sefardischem Hebräisch: die Kantorstimme aus dem Schlussteil (Blochs Handschrift  –  gemeinfrei)

Als Inspirationsquellen nennt der Komponist die Gregorianik, die Synagogengesänge, Renaissance-Meister wie Palestrina und Orlandus Lassus, katholische Messen, Requiems und Te Deums. Das Auffallende dieses Werks: Quarten- und Quinten-Parallelen, Quarten-Schritte, die jüdischen 1½-Tonschritte, Ostinati und häufige Taktwechsel. Die Uraufführung vom 11. April 1934 in New York wird dezent gewürdigt, in Italien dagegen enthusiastisch gefeiert. Berlin erlebt ebenfalls eine Aufführung bevor die Nazis das Werk verbieten und es bei der Düsseldorfer Ausstellung von 1938 der ‘Entarteten Kunst’ zuordnen, während es in San Francisco gleichzeitig ein gewaltiges Echo erzeugt.

Bloch mit der Partitur des Avodath Hakodesh    (© Lucienne Allen)

Bei Kriegsausbruch verlässt Bloch Europa und wirkt als Dozent an der Berkeley Universität. Für seine Depressionen findet er ein Refugium in Agathe Beach (Oregon): Seine Therapie: Holz spalten und Murmeln sammeln. Zu seinem 70. Geburtstag 1950 finden überall Bloch-Konzerte statt und Chicago richtet ein Bloch-Festival mit großem Brimborium aus. In der Presse gilt Bloch inzwischen neben Georges Gershwin als der größte Komponist Amerikas.

In seinen letzten Lebensjahren schafft Bloch trotz schwerer Krankheit noch einige Werke mit jüdischem Bezug wie die Suite hébraïque für Viola und Orchester, eine Symphonie für Posaune und Orchester 1954 (ein Pendant zu ‘Schelomo’), die Proclamation für Trompete und Orchester mit ihren Anklängen an die Hornstösse des Schofar:

Der Ruf des Schofars mit den typischen Quinten und Quarten

Neben drei Cellosuiten für Zara Nelsova und den zwei Violinsuiten auf Bitten seines Freundes Menuhin entsteht 1958 als letztes Werk noch eine Solosuite für Bratsche.

Ernest Bloch stirbt 1959 im Hospital von Portland. Auf dem Sterbebett bittet er seine Töchter Suzanne und Lucienne, ihm noch Molières ‘Eingebildeten Kranken’ vorzulesen (Blochs Selbstironie bis zuletzt!). Seine Asche wird bei Agate Beach im Meer verstreut. Im Gedenkstein am Ufer ist das Bild des Pfeife rauchenden Bloch eingelassen:

Ernest Bloch an der Agate Beach (© Lucienne Allen)

Vom Gesamtwerk Blochs (Symphonien, Suiten, Solokonzerte, Kammermusik, Vokalwerke usw.) sind hier vor allem jene mit Bezug zur jüdischen Welt thematisiert worden.

Q U E L L E N :

Joseph Lewinski+Emanjelle Dijon, Ernest Bloch – sa vie et sa pensée, Vol. I-IV, éd. Slatkine Genf 1998, 2001

Einzelne Beiträge Internet der « Ernest-Bloch-Society»

Persönliche Korrespondenz mit Lucienne Allen in Kalifornien, der Urenkelin des Komponisten

A U F N A H M E N :

Israël-Symphonie:

Russisches Staatsorchester, Evgeny Svetlanov (CD)

Slowakisches Radio-Symphonie-Orchester, Dalia

Atlas (youtube audio)

Schelomo :

viele CDs, z.B. mit Janos Starker und dem Israel

Philharmonic Orchestra, Zubin Mehta

Baal Shem: Isaac Stern mit Alexander Zakin (CD)

Méditation hébraïque:  hristoph u. Marc Pantillon 2010 (youtube-Film)

From Jewish Life : Antonio Meneses u. Gérard Wyss (CD)

Prayer mit Sol Gabetta 2011 (youtube-Film)

Helvetia: Orchestre de la Suisse Romande, Lior Shambadal

(youtube audio)

Sacred Service : Choir of Community Church, Choir of Metropolitan

Synagogue, Philharmonic Orchestra, Leonard

Bernstein (youtube-audio)

Cantare Chorale, David Morales 2023 (yout.-Film)

Proclamation : Reinhold Friedrich (Trompete), Deutsches

Symphonie-Orchester Berlin, Steve Sloane 2004

(youtube mit synchronisierter Partitur)

21. November 2024 || ein Beitrag von Josef Zemp, Studium der Romanistik und Musikologie in der Westschweiz und in Frankreich (Doktorat). Parallel dazu Berufsausbildung am Konservatorium (Cello und Klavier) – Cello-Diplom.

Seit 2021 verfasst Josef Zemp Artikel für den Blog der Akademie. In diesem Zeitraum ist eine vielfältige Sammlung von Beiträgen entstanden, die Sie hier nachlesen können.