Die Aktion Neue Nachbarn fördert das bürgerschaftliche Engagement – Garant für Integrationserfolge in der Flüchtlingshilfe

Das Schicksal der nach Deutschland geflüchteten Menschen hat schon immer berührt und Einheimische zum Engagement für die Aufnahme und Integration bewegt hat. Dies galt in den 1970er Jahren für politisch Verfolgte aus Chile wie für Bürgerkriegsgeschädigte aus Bosnien in den 1990er Jahren, und für alle anderen Geflüchteten auch. Höhepunkt des Berührtseins war der katastrophale Umgang von politisch Verantwortlichen in anderen Ländern mit Flüchtenden im Jahr 2015, als Deutschland die überlebensnotwendige Entscheidung zur Aufnahme treffen musste, weil unsere Nachbarländer dazu nicht in der Lage und bereit waren.

Kirchliche Einrichtungen wie Caritas und Diakonie sind seit vielen Jahren in die Integrationsarbeit von Migranten eingebunden, und übernehmen im Rahmen des Subsidiaritätsprinzips z.T. staatliche Aufgaben. Über diese Aufgabenerfüllung hinaus sind an kirchliche Dienste viele ehrenamtlich tätige Menschen angebunden, welche die Integrationsarbeit in der Wirkung multiplizieren. Dies kann ein Staat, können und wollen kommunale Behörden nicht leisten. Ohne das bürgerschaftliche Engagement sind die festgestellten Integrationserfolge nicht erreichbar.

Bereits am 11. November 2014 hat Erzbischof Kardinal Woelki in einem Brief an alle Gemeinden im Erzbistum Köln dafür geworben, sich weiterhin und intensiv für die Aufnahme von Geflüchteten einzusetzen: „Ich bin sehr zuversichtlich, dass Kirche vor Ort im Erzbistum Köln wirkungsvoll zu einer Willkommenskultur für Flüchtlinge als neue Nachbarn beitragen kann“. Im Rahmen der damals neu gegründeten „Aktion Neue Nachbarn“ sind zahlreiche Unterstützungsbausteine für haupt- und ehrenamtliches Engagement in der Integrationsarbeit ausgebaut und neu geschaffen worden. Dies geschah und geschieht in enger Vernetzung mit den professionellen Angeboten der Caritas im Migrations- und Engagementbereich, und hat elementar dazu beigetragen, dass Menschen sich in ihrem Interesse für ein Engagement ernst genommen und unterstützt fühlen konnten.

Nach den Jahren 2014 und 2015, in denen gefühlt jede/r Bürger/in etwas dazu beitragen wollte, den neu Ankommenden ein Gefühl des Willkommen-Seins zu geben, hat sich das ehrenamtliche Engagement in der Flüchtlingshilfe auf hohem Niveau stabilisiert: Zählten wir in 2015 noch ca. 20.000 Ehrenamtliche, die sich im Erzbistum Köln mehr oder weniger fest angebunden an kirchliche Unterstützungsangebote engagiert haben, so sind aktuell immer noch 10.000 Menschen in der Flüchtlingshilfe aktiv, oft aus dem christlichen Glauben heraus. Klar, dass nach der ersten Euphorie des Mittuns viele nicht mehr wollten oder konnten. Einige sind in Rechtfertigungsdruck für ihr Tun im eigenen Bekannten- und Familienkreis geraten, haben sich zurückgezogen. Und wie in jedem Agieren in menschlichen Zusammenhängen gab und gibt es Enttäuschungen, wenn die gesteckten Ziele nicht erreicht werden. Darüber hinaus haben sich die Aufgaben geändert. Waren in 2015 noch kurzfristige Unterstützung und Hilfen gefragt wie bspw. die Organisation und Durchführung von Willkommenscafés, ist für Integration kontinuierliche und oft auch zeitintensive Unterstützung gefragt, bspw. in Patenschaftsprojekten. Andere Gruppen sind durch populistische Gegen-Agitation stärker und größer geworden, und haben z.T. öffentlich bekundet: „Jetzt erst recht!“. Viele Christen sind aufgrund ihres Glaubens ermächtigt, Nächstenliebe konkret zu leben.

Begegnungsorte wie Willkommenscafés und Einladungen der neuen Nachbarn zu festlichen Gelegenheiten in Pfarrgemeinden waren niedrigschwellige Anlaufstellen und ermöglichten erste Begegnungen. Von Anfang an nahmen Menschen mit Zuwanderungsgeschichte und Sprachkompetenz aus Fluchtländern eine wichtige Mittlerfunktion für die Gründung der neuen Nachbarschaften wahr. Und zunehmend beobachten wir, dass sich in den stabilen Unterstützungsgruppen Geflüchtete selbst engagieren: Sie können auf Augenhöhe mit den neu ankommenden Menschen sprechen und sind wichtige Erstkontaktpersonen und Lotsen beim Zurechtfinden in der neuen Umgebung. Viele sind auch motiviert, wertvolle Unterstützungsangebote, von denen sie selber profitierten, weiterzugeben.

Die Aktion Neue Nachbarn macht keine Vorgaben, wie vor Ort Integration aussehen müsste. Die vernetzte Arbeit vor Ort von vielen Menschen guten Willens, durchaus mit professioneller Unterstützung aus den Fachdiensten der Caritas (Integration und Engagementförderung), füllt Integrationsarbeit selbst mit vielen guten Ideen.

Der Auf- und Ausbau der Vernetzung für ehrenamtlich Engagierte mit hauptberuflichen Ansprechpartner*innen hat sich als substantielles Erfolgsmodell für die Integrationsbegleitung erwiesen: flächendeckend in jedem Stadt- und Kreisdekanat arbeiten Integrationsbeauftragte der Aktion Neue Nachbarn: Sie vernetzen innerkirchlich und in die Zivilgesellschaft hinein und sind für die Engagierten und Ehrenamtlichen ansprechbar. Diese Aufgabe hat sich beispielhaft in der aktuellen Corona-Krise und unmittelbar nach der Flutkatastrophe im Juli 2021 bewährt, als die Integrationsbeauftragten quasi über Nacht die Vernetzung der Nachbarschaftshilfe übernahmen oder unterstützten.

Ehrenamtlich getragene Integrationsarbeit und Nachbarschaftshilfe gelingt, weil die Katholische Kirche im Erzbistum Köln mit finanziellen Mitteln unterstützt: Neben der Einrichtung von Koordinierungsstellen in Stadt- und Kreisdekanaten (Integrationsbeauftragte der Aktion Neue Nachbarn) sowie in den Seelsorgebereichen (Engagementförderer) bieten die Katholischen Bildungswerke Qualifizierungsbausteine, Diskussionsabende und Kulturveranstaltungen. Über die Diözesanstelle für pastorale Begleitung können sich Gruppen und Einzelpersonen durch Coaching und Supervision stärken. Darüber hinaus tritt die Kirche dann ein, wenn staatliche Mittel nicht ausreichen, um gelingende Integration zu ermöglichen. So gibt es nach wie vor differenzierte Sprachkurs-Angebote, Fachdienste wie Schwangeren- und Erziehungsberatung sind ausgebaut, Kitas, Schulen und Jugendagenturen werden zusätzlich gefördert.

Die Engagierten, die sich für die Menschen interessieren, haben über die Einzelschicksale auch die Zusammenhänge von Fluchtursachen und deren globaler Entstehungsverantwortlichkeit kennen gelernt, oder engagieren sich im Wissen um die globalen Missstände. Oft sind sie politisch wach und äußern sich entsprechend. So fordern sie auch Kirche heraus, Stellung zu beziehen. Statements und das Engagement von Erzbischof Kardinal Woelki und anderen Bischöfen zu den Themen Bekämpfung von Fluchtursachen, Forderung nach sicheren Zugangswegen, Integrationsförderung und Familienzusammenführung bestärken Engagierte innerkirchlich und gesellschaftlich.

26. Dezember 2021 || ein Beitrag von Klaus Hagedorn, Koordinator für Flüchtlings- und Nachbarschaftshilfe im Erzbistum Köln