Auf ein Wort mit …  Prof. Dr. Dr. Dr. h. c. Dieter Vieweger

Lieber Herr Professor Vieweger, es war geplant, dass Sie am 11. bis 12. November 2023 wieder als Referent in der Thomas-Morus-Akademie zu Gast sein sollten. Als Thema war vorgesehen: „Von der Schöpfung bis zur Sintflut. Mythos und Weltdeutung im Alten Testament“. Die aktuellen politischen Ereignisse in Israel machen es für Sie und Professorin Katja Soennecken unmöglich auszureisen, so dass wir die Tagung auf einen neuen Termin verschieben müssen. Als kleinen Ausgleich wird es eine Online-Veranstaltung an diesem Wochenende geben.

Wir haben uns entschieden, das geplante Interview im Vorfeld der Tagung dennoch zu veröffentlichen, auch wenn die Tagung verschoben werden muss. Thematisch sollte es bei dieser Veranstaltung um die Deutung der Geschichte und des Lebens aus den verschiedenen Erzähltraditionen des Alten Testaments und des Alten Orients gehen

Sie leben seit 20 Jahren in Jerusalem. Wie erleben Sie die aktuelle Situation vor Ort?

Wir alle sind zutiefst besorgt über die neue Eskalation der Gewalt in unserem Umfeld. Wir fühlen mit den Verletzten sowie den Familien der Entführten und Getöteten.

Für meine Frau und mich kann ich nur subjektiv sprechen: Wir erleben die Situation weniger dramatisch, als es die Nachrichten in Deutschland vermitteln. Wir Deutsche – der Auguste Victoria Compound mit seinem Krankenhaus und unser Institut – stehen nicht im Fadenkreuz der Konfliktparteien.

Sehen Sie in naher Zukunft eine Aussicht auf Frieden im „Heiligen“ Land?

Nein. Doch auch wenn die Situation in den nächsten Stunden und Tagen weiter eskalieren wird, weigern wir uns, unsere Hoffnung auf Frieden und Verständigung unter den Völkern der südlichen Levante aufzugeben.

Sie leiten in Jerusalem das DEI, das Deutsche Evangelische Institut für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes, das in diesem Jahr sein 125-jähriges Bestehen feiert. Die Jubiläumstagung musste wegen des Terroranschlags der Hamas kurzfristig abgesagt werden. Können Sie ein wenig die Aufgaben des Instituts beschreiben?

Ja, das ist natürlich tief traurig. Wir haben 200 Gäste erwartet. Nun ist alles abgesagt (verschoben auf den 4.-7. März 2024). Jetzt erleben wir aber das Leid der Menschen im Süden Israels und im Gaza-Streifen, das alles überstrahlt und selbst solche großartigen Feiern unwichtig erscheinen lässt.

Das Institut ist ein lebendiges Institut mit wissenschaftlichen Ausgrabungen und vielfältigen Projekten. Dazu gehören die Erforschung des Tall Zirāʿa und das dazugehörige landschaftsarchäologische „Gadara Region Project“ sowie der archäologische Park unter der Erlöserkirche.

Die Altgrabung unter der Erlöserkirche ist unter dem Motto „Durch die Zeiten“ zum „Schaufenster“ der Tätigkeit des DEI in Jerusalem geworden und zieht jährlich tausende Besucher an. Gegenwärtig wird durch eine neu begonnene Ausgrabung auf dem Zionsberg in Zusammenarbeit mit der Israelischen Antikenbehörde das Gelände um das Essener-Tor sowie die alttestamentliche Stadt der Königszeit Israels erforscht. Eine weitere Ausgrabung in Tiberias widmet sich der neutestamentlichen Zeit, der Entstehungszeit des rabbinischen Judentums und der frühen islamischen Zeit – in Kooperation mit der Hebräischen Universität.

Der 1903 von Gustaf Dalman ins Leben gerufene Lehrkurs bietet Akademikern alljährlich die Möglichkeit, die Kultur, Geschichte und Archäologie des Heiligen Landes in einer einzigartig intensiven Weise kennenzulernen.

Wer trägt das Institut und mit welchen personellen Ressourcen können Sie arbeiten?

Das DEI wird von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) getragen und ist zugleich eine Forschungsstelle des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI). Es unterhält Institute in Jerusalem und Amman. Damit ist es als deutsche Einrichtung und Forschungsinstitut eine wichtige Plattform für die archäologische, altgeschichtliche und theologische Arbeit in Israel / Palästina und Jordanien.

Das DEI agiert in Jerusalem und in Amman. Viele unserer Mitarbeitenden sind durch Projektgelder (Ausgrabungen) angestellt.

Bei unserer Tagung im November wollten wir uns mit Mythen (Schöpfung, Sintflut, Turmbau) im Alten Orient und der Biblischen Tradition beschäftigen. Was kann die Archäologie erschließen, was entmythologisieren, was uns die überlieferten Texte zu vermitteln suchen?

Die Veranstaltung bezieht sich auf den Vergleich biblischer und nicht-biblischer, altorientalischer Text(fund)e. Die im Alten Testament gesammelten Mythen gehören zu einer im Alten Orient weit verbreiteten Erzählgattung, die die Entstehung der Welt und ihre Grundprinzipien erklärte: Warum mühen wir uns mit Arbeit? Weshalb gibt es Jahreszeiten und so viele Sprachen, warum müssen wir sterben und weshalb kommt niemand aus der Totenwelt wieder zurück?

Im Alten Testament werden diese Fragen klar auf Jahwe als Schöpfer der Welt bezogen. Und dabei häufig entgegen der Ausrichtung der lange vor ihnen bekannten Mythen aus Mesopotamien und Syrien ausgelegt.

Welche Weltdeutungen liefern die Erzählungen von Schöpfungsbericht, Sintflut, Turmbau zu Babel oder alttestamentlicher Figuren? Welches Gottes- und Menschenbild haben sie? Wie passen diese Mythen in unser heutiges Glaubensverständnis, wie sind sie theologisch einzuordnen? Kann die Archäologie den Kern von Mythen belegen?

Lieber Herr Professor Vieweger, wir danken Ihnen für dieses Gespräch! Wir freuen uns sehr auf unsere zukünftigen gemeinsamen Veranstaltungen.

Das Interview führte Andreas Würbel, Akademiereferent.

Online-Veranstaltung
11. November 2023 (Sa.)
von 15 bis 17 Uhr
Der 7. Oktober und die Folgen
Der aktuelle Krieg und das Heilige Land
Vortrag und Gespräch mit Prof. Dr. Dr. Dieter Vieweger

Der Terrorangriff der Hamas auf den Süden Israels am 7. Oktober 2023 hat zu einem Krieg im Heiligen Land geführt. Prof. Dr. Dr. Dieter Vieweger und Prof. Dr. Katja Soennecken können daher aus unterschiedlichen Gründen nicht ausreisen und zur geplanten Veranstaltung am 11.-12. November 2023 nach Bensberg kommen. Wir sind froh, dass Prof. Vieweger bereit ist, online einen Einblick in die aktuelle Situation vor Ort zu geben.

Einmal im Monat erscheint „Auf ein Wort mit…“ und stellt interessante und engagierte Personen vor, mit denen die Akademie auf unterschiedliche Weise verbunden ist. Gesprochen wird über Gott und die Welt, über Kunst und Kultur, über Aktuelles aus Gesellschaft und Kirche ….

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5. November 2023 || ein Gespräch mit Prof. Dr. Dr. Dr. h. c. Dieter Vieweger

Dieter Vieweger ist Professor an der Universität Wuppertal und Leiter des Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes (DIE) in Jerusalem. Er leitet seit vielen Jahren Seminare zur Biblischen Geschichte und Archäologie in der Akademie in Bensberg. Mehrere Ausgrabungsreisen in Jordanien und Jerusalem wurden gemeinsam mit ihm realisiert.

Professor Dr. Dr. Dr. h. c. Dieter Vieweger