Auf ein Wort mit… Cristina Yurena Zerr
Wer wären die Jünger*innen Jesu heute? Dieser Frage geht die Filmemacherin Cristina Yurena Zerr nach und begleitet vier Menschen, die zu den Wurzeln der christlichen Botschaft vordringen. Mit ihrem Film Of Saints and Rebels (dt. „Von Heiligen und Rebell*innen“) möchte sie zeigen, wie gelebter Glaube in unserer heutigen Zeit aussehen kann und zu Widerstand gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung in einer von Gewalt zerfurchten Welt führt. Der Film soll inspirieren und zum Nachdenken über die eigene Spiritualität und die eigene Haltung anregen. Mit den Mitteln aus dem Crowdfunding soll eine Drehreise in die USA finanziert werden.
Worum geht es in dem Film „Of Saints and Rebels“? Was verbirgt sich hinter dem Titel?
In meinem Film geht es um Christ-Sein und radikales Engagement für eine friedlichere, gerechtere Welt und die Frage, wie die eigene Spiritualität mit diesem Einsatz zusammenhängt. Man könnte auch sagen, es geht um Christentum als Widerstand.
Was den Titel anbelangt: Es geht mir nicht darum, im katholischen Sinne ‚Heilige‘ zu portraitieren, bzw. meine ProtagonistInnen zu Heiligen zu machen.
In dem Titel liegt natürlich eine gewisse Provokation: Heilig und Rebell sein – geht das? Ich glaube, ja. Das Beispiel der Sozialaktivistin Dorothy Day, für die derzeit im Vatikan das Heiligsprechungsverfahren läuft, zeigt Widersprüche auf, auf die ich hinweisen möchte:
Ihre Enkelin Martha Hennessy, die für ähnliche Themen wie ihre Großmutter eintritt, wird als Kriminelle verfolgt, da sie in einer Militärbasis gegen die dort gelagerten Atomwaffen protestierte. Derzeit sitzt sie deswegen im Gefängnis.
Dorothy Day soll übrigens gesagt haben: „Macht mich nicht zur Heiligen, so leicht will ich nicht abgetan werden.“
Diese Geschichte zeigt uns, wie oft Menschen, die unbequem waren und für Gerechtigkeit kämpften, zu Lebzeiten verfolgt wurden oder massiver Kritik ausgesetzt waren, aber im Nachhinein zu HeldInnen oder Heiligen gemacht werden – dann, wenn sie nicht mehr unbequem sind, oder diese Seite unter den Tisch gekehrt werden kann.
Jesus von Nazareth ist das beste Beispiel dafür. Aber auch der österreichische Kriegsdienstverweigerer Franz Jägerstätter, und viele andere, denen die Radikalität ihrer Botschaft genommen wurde.
Ihr Dokumentarfilmprojekt trägt den Titel „Of Saints and Rebels“. Wer sind diese Heiligen und Rebellinnen und Rebellen, um die es dabei geht?
Es sind Menschen, die sich die Frage stellen, was es bedeutet, heute, im 21. Jahrhundert der Botschaft von Jesus zu folgen.
Christ-Sein ist in diesem Fall nichts Statisches, kein Etikett, sondern ein fortwährender Prozess, der herausfordernd ist und unbequem sein kann.
Da gibt es Martha Hennessy (USA), die 2018 mit einer Gruppe von sieben Personen in eine US-Militärbasis eingebrochen ist, um gegen Atomwaffen zu protestieren. Sie wurde wegen Verschwörung, Hausfriedensbruch und Beschädigung von Staatseigentum verurteilt und sitzt derzeit im Gefängnis. Die Benediktinerin Teresa Forcades (Spanien) ist feministische Theologin und kämpft innerhalb der Institution Kirche gegen für Gleichberechtigung. Susan van der Hijden (Niederlande) wohnt in einer Gemeinschaft mit Menschen ohne Papiere, für deren Bleiberecht sie eintritt und engagiert sich zudem mit Aktionen des zivilen Ungehorsams für Klimagerechtigkeit. Der älteste Protagonist ist der Klimaaktivist Jean-Baptiste Libouban (Frankreich), der in einer autarken Klostergemeinschaft lebt und sich in direkter gewaltfreier Aktion gegen Gentechnik einsetzt.
So unterschiedlich diese vier Menschen sind, haben sie doch eines gemeinsam: Sie folgen ihrem unbequemen Vorbild Jesus in seiner Vision für eine friedliche Welt, gegen Unterdrückung und Gewalt.
Was fasziniert Sie an diesen Personen?
Die Konsequenz und Radikalität ihrer Handlung. Radikal im Sinne, an die Wurzel von etwas gehen.
Das kann eine solidarische Ökonomie sein, in der es geteilten Besitz gibt. Das kann ein Zusammenleben mit anderen Menschen unterschiedlichster Herkunft sein, zum Beispiel geflüchteten Menschen. Das Sich-Aussetzen mit anderen Meinungen, und über Unterschiede hinausblicken können. Die Unbequemlichkeit, die solche kollektiven Prozesse manchmal bedeuten. Aber auch die Auseinandersetzung mit dem Leid – dort nicht wegzuschauen.
Die Kraft und der Mut dieser Personen, die auch Konsequenzen ihrer Handlungen in Kauf nehmen, wie der Gang ins Gefängnis. Und daran nicht zu zerbrechen.
Das muss nicht heißen, dass ich immer einer Meinung mit den Personen bin, darum geht es nicht. Ohne selbst Christin zu sein, teile ich viele der Anliegen der Protagonist*innen. Ich teile ihre Suche nach dem eigenen Platz in der Welt, das Ringen, angesichts unserer Handlungsgrenzen und die Zweifel, nicht genug zu sein, nicht genug zu tun gegen das Leid der Welt. Dabei habe ich beobachtet, wieviel Kraft sie aus ihrem Glauben schöpfen. Eine Kraft, die mich neugierig macht. Es sind Menschen, die trotzdem Ja zum Leben sagen und Sinn finden in einer Welt, die manchmal so wenig Hoffnung zulässt.
In ihrem Engagement bauen sie an der gerechteren, solidarischeren Welt, die sie sich wünschen, und zeigen mir, dass es möglich ist, Veränderung zu schaffen. Auch konfrontieren sie mich mit meinen Vorurteilen gegenüber einer Religion, die mich zwar seit meiner Kindheit umgeben hat, deren Wurzel ich aber nie gesucht habe.
Was möchten Sie mit dem Film erreichen? Was könnten Kirche und Gesellschaft hierzulande durch Ihren Film erfahren?
Genauso wie mich, soll der Film die Zuschauenden herausfordern – Christinnen wie Nicht-Christen – und die Frage aufwerfen: Was würde ich tun? Wo folge ich dem Gewissen, wo den Gesetzen? Und wo wird Widerstand zur Pflicht?
Es wird die Frage aufgeworfen, ob und wie Religiosität einen Beitrag zu sozialer Gerechtigkeit leisten kann. Dabei möchte ich die Vielfalt emanzipatorischer Kämpfe aufzeigen, die sich nicht nur mit oberflächlichen Reformen zufriedengeben, sondern die vorherrschenden Verhältnisse grundsätzlich in Frage stellen und lautstark Gerechtigkeit im Hier und Jetzt einfordern.
Mein Film soll ein ermutigendes Kinoerlebnis werden und das Publikum auch zum Schmunzeln bringen. Es soll ein Film voller Hoffnung sein, der uns mit uns selbst konfrontiert und dazu ermutigt, menschlich ein wenig zu wachsen.
Die Corona-Pandemie hat auch das Filmemachen erschwert. Was haben Sie in den letzten Monaten machen können? Und wie sehen Ihre Planungen aus – jetzt, da wir auf mehr Möglichkeiten hoffen können?
Ich war leider tatsächlich sehr eingeschränkt und habe die letzten eineinhalb Jahre kaum gefilmt. Nur im letzten November konnte ich nach New York reisen, um die Verurteilung von Martha Hennessy zu filmen und ihre letzten Wochen vor dem Gang ins Gefängnis zu begleiten. Das war eine intensive, sehr bewegende Reise.
Ein schönes Projekt, für welches dafür aber mehr Zeit war und das thematisch ganz eng mit meinem Film verknüpft ist, ist das Herausgeben eines Buches mit dem Titel „Brot und Gesetze brechen. Christlicher Antimilitarismus auf der Anklagebank“. Kernstück des Buches sind für mich die Abschlussplädoyers von angeklagten Aktivist*innen, die gegen Atomwaffen protestiert haben. Zwei dieser angeklagten Personen sind auch Protagonistinnen meines Films.
Ich plane derzeit in die USA zu fliegen, wenn Martha Hennessy aus dem Gefängnis kommt. Und auch mit den anderen Personen will ich filmen, sobald das wieder unbeschwert möglich sein wird.
Liebe Frau Zerr, wir bedanken uns für dieses Gespräch und wünschen Ihnen und Ihrem Filmprojekt alles Gute.
Das Interview führte Akademiereferent Dr. Matthias Lehnert.
Weitere Informationen zum Film „Of Saints and Rebels“ zum Crowdfunding-Projekt der Thomas-Morus-Akademie finden Sie hier:
Einmal im Monat erscheint „Auf ein Wort mit…“ und stellt interessante und engagierte Personen vor, mit denen die Akademie auf unterschiedliche Weise verbunden ist. Gesprochen wird über Gott und die Welt, über Kunst und Kultur, über Aktuelles aus Gesellschaft und Kirche ….
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Bilder
Alle Aufnahmen mit freundlicher Genehmigung der Urheberin. © Cristina Yurena Zerr
4. Juli 2021 || ein Gespräch mit der Filmemacherin Cristina Yurena Zerr