Einkehren und Umkehren
Fest mit dem Ostermontag verbunden ist der Gang zweier Jünger nach Emmaus (Lk 24,13-35). Sie beschreiten ein echten Trauerweg, wie ihn Menschen immer zu gehen haben nach einem schweren Verlust. Sie sind gewiss nicht weniger verzweifelt als Jesu Mutter, Petrus und die übrigen. Aber sie suchen das Weite und lösen sich aus der Jerusalemer Angststarre. Ihre Beweglichkeit hat Schule gemacht. Der „Emmausgang“ ist als österlicher Brauch im deutschen Sprachraum weit verbreitet. Ein solcher Spaziergang taucht nicht nur tief ein in die aufblühende Natur, er will auch in die Weite unserer Hoffnung führen, geistlich aufatmen lassen. Wir nehmen uns selbst, unser ganzes Leben und Glauben mit auf diesen Weg.
Und wenn auch die Jünger von Emmaus die Stätte der Tragik hinter sich lassen, ihre Erschütterung, ihre brutal zerbrochenen Träume, ihre Zweifel und Ängste nehmen sie mit. Vielleicht ergeht es ihnen dabei so, wie es Hilde Domin (*1909 †2006) in ihrem Gedicht „Die schwersten Wege“ beschreibt:
Die schwersten Wege
werden alleine gegangen,
die Enttäuschung, der Verlust,
das Opfer,
sind einsam.
Selbst der Tote der jedem Ruf antwortet
und sich keiner Bitte versagt
steht uns nicht bei
und sieht zu
ob wir es vermögen …^
Im Evangelium machen sich zwei gemeinsam auf den Weg und kommen miteinander ins Gespräch. Sie rufen sich in Erinnerung, was sie erlebt haben. Das hilft in jeder Trauer ungemein. Und dennoch bleiben wir nirgends so extrem auf uns selbst zurückgeworfen wie beim Verlust eines geliebten Menschen. Der Blick geht ganz nach innen und nimmt kaum mehr wahr, was vor uns liegt und nach vorne bringen könnte. „Ihre Augen waren gehalten“ (Lk 24,16) berichtet der Evangelist. Und der Unerkannte weiß, dass Trost, der zu früh gespendet wird, nur verletzt und verdunstet. Indem er behutsam nachfragt und alles noch einmal mit ihnen durchgeht, kommt es zur Wende.
An der Schwelle des Abends, wo sie ihr Dorf erreicht haben, bitten sie den Trauerbegleiter, zu bleiben. Sie scheinen zu spüren, dass ihnen in dieser Begegnung ein Licht aufgegangen ist, das sie jetzt nicht einfach an sich vorbeiziehen lassen dürfen. Diese Erfahrung kennt auch die Dichterin:
Nimm eine Kerze in die Hand
wie in den Katakomben,
das kleine Licht atmet kaum.
Und doch, wenn du lange gegangen bist,
bleibt das Wunder nicht aus,
weil das Wunder immer geschieht,
und weil wir ohne die Gnade
nicht leben können …
Trauern braucht seine Zeit; sie braucht ihren Ort; und sie braucht Rituale, die uns helfen, dem Leben wieder zu trauen. Das „Brotbrechen“ wird für die beiden Jünger zum Moment der Gnade (Lk 24,31.35). Und danach gibt es für sie kein Halten mehr. Auch unser Glaube brauch wohl solche Trauerwege, bis die Glut im Herzen neu entfacht ist, bis in den vielen Worten seine lebendige Stimme wieder gehört, bis im Sakrament der Eucharistie wieder seine Leidenschaft, sich selbst mitzuteilen, empfangen wird. Gehen wir solche Wege „weil wir ohne die Gnade nicht leben können“.
Die schwersten Wege
Die schwersten Wege
werden alleine gegangen,
die Enttäuschung, der Verlust,
das Opfer,
sind einsam.
Selbst der Tote der jedem Ruf antwortet
und sich keiner Bitte versagt
steht uns nicht bei
und sieht zu
ob wir es vermögen.
Die Hände der Lebenden die sich ausstrecken
ohne uns zu erreichen
sind wie die Äste der Bäume im Winter.
Alle Vögel schweigen.
Man hört nur den eigenen Schritt
und den Schritt den der Fuß
noch nicht gegangen ist aber gehen wird.
Stehenbleiben und sich umdrehn
hilft nicht. Es muss
gegangen sein.
Nimm eine Kerze in die Hand
wie in den Katakomben,
das kleine Licht atmet kaum.
Und doch, wenn du lange gegangen bist,
bleibt das Wunder nicht aus,
weil das Wunder immer geschieht,
und weil wir ohne die Gnade
nicht leben können:
die Kerze wird hell vom freien Atem des Tags,
du bläst sie lächelnd aus
wenn du in die Sonne trittst
und unter den blühenden Gärten
die Stadt vor dir liegt,
und in deinem Hause
dir der Tisch weiß gedeckt ist.
Und die verlierbaren Lebenden
und die unverlierbaren Toten
dir das Brot brechen und den Wein reichen –
und du ihre Stimmen wieder hörst
ganz nahe
bei deinem Herzen.
Hilde Domin
Bild: „Unterwegs nach Emmaus“ von Janet Brooks-Gerloff im Kreuzgang der Abtei Kornelimünster (1992)
Auszüge aus dem Gedicht „Die schwersten Wege“ von Hilde Domin
Osterfreude
Texte & Gedanken an den Kar- und Ostertagen
Pfarrer Dr. Axel Hammes, Subsidiar in Bensberg und Bergisch Gladbach, wird die Kar- und Ostertage mit Texten in unserem Blog „Akademie in den Häusern“ gestalten. Ein regelmäßiger Blick in unseren Blog lohnt sich!
18. April 2022 || ein Beitrag von Pfarrer Dr. Axel Hammes, Lehrbeauftragter für Neues Testament und Homiletik in Köln, Bonn und Lantershofen; Geistlicher Begleiter; bis 2021 Spiritual am Collegium Albertinum in Bonn, seit Anfang 2022 Subsidiar in Bensberg und Bergisch Gladbach