In den Blick nehmen

Pietà  um 1420

Von Trauer gebeugt, wiegt Maria ihren toten Sohn in ihren Armen. Die spätmittelalterliche Plastik gibt beiden zutiefst menschliche Dimensionen. Beide sind ausgezehrt, gezeichnet von Schmerz und Tod – wie viele Menschen jener Epoche, die von Kriegen, Hunger und der Pest gebeutelt wurde. Der unbekannte Salzburger Bildhauer zeigt Maria und Christus bewusst als Teil der Gemeinschaft. Er will aber auch ihre innere Kraft und Stärke in ihrem Abbild bannen, so dass sie im doppelten Sinne begreifbar wird. Bildwerke wie dieses spendeten Trost, nahmen den Schmerz. Sie halfen denen, die mit Maria litten und die die Plastik berührten, um hoffen zu können. Bis heute zeigt sie wie viele ihrer Art Spuren dieser haptischen Glaubenserfahrung.

In Corona-Zeiten ist Berührung ein seltenes unschätzbares Gut – direkt und indirekt. Skulpturen wie diese zeigen damals wie heute, wie wichtig es ist, vom Leid anderer berührt zu werden, mitzuleiden, menschlich zu bleiben. Daher auch der Begriff der Pietà, der sich vom lateinischen „domina nostra de pietate“, „unsere Herrin vom Mitleid“ ableitet. Im deutschen Sprachraum bürgerte sich auch der Begriff des Vesperbildes (von latein. Ad vespera, der Abend) ein, das an die Abendandacht erinnert, in der man u. a. der Kreuzabnahme Christi und der Beweinung seines Leichnams gedachte.

Die farbig gefasste Terrakotta stammt aus der Sammlung Rau für UNICEF. Sie ist im Rahmen der Ausstellung „In Form! Skulptur und Plastik bis 1900“ vom 28. März 2021 bis zum 30 Januar 2022 im Arp Museum Bahnhof Rolandseck in Remagen zu sehen.

Bilder

Pietà, Salzburg? um 1420. Terrakotta, farbig gefasst, 92 x 100 cm. Arp Museum Bahnhof Rolandseck / Sammlung Rau für UNICEF, Inv. GR 2.044

Dr. Susanne Blöcker. Bild: Helmut Reinelt. (C) Arp Museum

In der neuen Reihe haben wir ausgewählte Personen gebeten, ihr persönliches Lieblingsbild (Gemälde, Foto, Zeichnung, Druck) „in den Blick zu nehmen“ und dazu etwas zu schreiben. An jedem Fastensonntag erscheint nun ein ganz persönlicher Beitrag zu einem Bild.

Wie kam es zu dieser Idee? Ein Kunstwerk zu betrachten, sich damit auseinander zu setzen, hineingezogen zu werden, das kann glücklich machen, davon sind wir, das Redaktionsteam des Blogs „Akademie in den Häusern“, überzeugt. Aber auch die Perspektive zu wechseln und den Horizont zu erweitern, bringt uns dem Glück und der Zufriedenheit ein entscheidendes Stückchen näher. Die unterschiedlichen Bilder, die in dieser kleinen Reihe gezeigt werden, laden uns ein, genauer hinzusehen und wahrzunehmen, was ist. Auf diesen Perspektivenwechsel in der Fastenzeit freuen wir uns! Lassen Sie sich, genau wie wir, mit allen Sinnen ansprechen.

Pietà, Salzburg? um 1420. Terrakotta, farbig gefasst, 92 x 100 cm. Arp Museum Bahnhof Rolandseck / Sammlung Rau für UNICEF, Inv. GR 2.044

14. März 2021 || ein Beitrag von Dr. Susanne Blöcker, Kunsthistorikerin und Kuratorin der Kunstkammer Rau im Arp Museum Bahnhof Rolandseck