Der deutsche „Beinahe-Beatle“
Hamburg, Oktober 1960. Klaus Voormann, 22 Jahre alt, Student an der Meisterschule für Gestaltung und daneben als Grafiker und Illustrator für die Springer-Zeitschriften Kristall und Hörzu tätig, hat Streit mit seiner Freundin. Um Dampf abzulassen, zieht er allein und ziellos über die Reeperbahn. Plötzlich hört er aus einem der vielen Lokale einen ungewohnten Krach. Voormann, der stets im schwarzen Existentialisten-Dress unterwegs ist und gerne Jazz hört, geht dem Impuls nach und in den Club hinein. Was er dort sieht und hört, elektrisiert ihn und wird sein Leben verändern: Fünf junge Burschen spielen auf der Bühne mit elektrischen Gitarren und Schlagzeug Rock‘n‘Roll. „Es war roh und grob und ging richtig in die Knochen“ sollte sich Voormann viele Jahre später erinnern. Aber da ist auch ein Charisma, ein Zauber, dem sich der Besucher nicht entziehen kann. In einer Pause kommt er mit den jungen Musikern ins Gespräch. Man findet sich gegenseitig interessant: die Rocker aus Liverpool und der Künstler aus Hamburg.
In den kommenden Monaten verbringt Voormann unzählige Stunden mit der Band, die sich „The Beatles“ nennt und die noch kaum jemand kennt. Eine Freundschaft entsteht. Doch Stuart Sutcliffe, der sensible Bassist, ist unzufrieden. Er fremdelt mit dem Dasein als Rockmusiker und möchte sich wieder der Malerei widmen, die er daheim in Liverpool studiert hat. Da kommt Voormann ein Gedanke: Vielleicht könnte er den Part übernehmen und Teil der Beatles werden… Voormann kauft Sutcliffe das Instrument ab und fragt dann bei John Lennon, dem Kopf der Gruppe, vorsichtig nach, ob das denkbar wäre: Er, den sie „Kraut“ nennen, am Bass der Beatles? Aber Lennon winkt ab: Paul McCartney habe sich bereits eine Bassgitarre gekauft, und man werde zukünftig zu viert weitermachen. Damit ist die Sache erledigt.
Doch Voormann gibt den Traum von der Musik nicht auf. Er gründet seine eigene Band, wohnt in London mit Harrison und Starr zusammen, und wird Mitte der 60er Jahre Bassist bei der englischen Beat-Band Manfred Mann. Da erreicht ihn ein Anruf seines alten Kumpels Lennon, der mittlerweile ein weltweit bekannter Superstar ist: Ob Voormann nicht das Cover des neuen Beatles-Albums Revolver gestalten könne? Der Deutsche meistert die Aufgabe mit Bravour: Die von ihm geschaffene schwarz-weiße Mischung aus Collage und Zeichnung sticht aus dem Kunterbunt der Plattenhüllen heraus, bringt ihrem Schöpfer zahlreiche Preise ein und gilt noch heute als eines der besten Plattencover aller Zeiten.
Voormann macht indes weiter Musik, spielt als Studiomusiker mit den großen Stars: B.B. King, Lou Reed, Harry Nilsson, Art Garfunkel, Randy Newman. Und natürlich mit seinen Freunden aus Liverpool, die nach dem Ende der Beatles eigene Wege gehen. Ringo Starr verpflichtet Voormann als Bassisten für einige Plattenaufnahmen, an denen auch die anderen Ex-Beatles mitwirken – allerdings nie alle an einem Song. Gemeinsam mit George Harrison tritt Voormann 1971 beim ersten großen Benefizkonzert der Rock-Geschichte im Madison Square Garden auf. Als Bassist in John Lennons „Plastic Ono Band“ wirkt er an zeitlosen Klassikern wie Instant Karma! und Imagine mit.
Auf seinem einzigen Soloalbum, das Voormann bescheiden A Sideman’s Journey nennt, erweisen ihm 2009 die Weggefährten von einst die Ehre: Neben vielen anderen prominenten Rock-Musikern wirken auch die beiden noch lebenden Ex-Beatles, Paul McCartney und Ringo Starr, an einem Fats-Domino-Song mit, der die Freunde an die alten Hamburger Tage erinnert – als Klaus Voormann beinahe der „deutsche Beatle“ geworden wäre.
Heute feiert Klaus Voormann, der in der Nähe von München lebt und als Grafiker arbeitet, seinen 82. Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch!
Bilder:
Klaus Voormann, 2018. Bild von re:publica, Flickr, gemeinfrei
Gitarren. Bild von Markus Spiske, unsplash, gemeinfrei
Das legendäre Revolver-Cover. Bild von K.oa, Flickr, gemeinfrei
29. April 2020 || empfohlen von Dr. Matthias Lehnert, Referent Forum: PGR