Auf ein Wort mit… Dominik Meiering
Lieber Herr Dr. Meiering,
seit 2018 sind Sie Leitender Pfarrer in der Kölner Innenstadt und koordinieren den „Sendungsraum Köln-Mitte“, also die katholische Kirche in der Kölner Innenstadt.
Aktuell hat die Covid 19-Pandemie das ganze Land im Griff. Auch die Kirchen waren von den Ausgangsbeschränkungen und Versammlungsverboten massiv betroffen. Wie haben Sie die Corona-Pandemie in der Kölner Innenstadt, in der Kölner Kirche erlebt?
Es ist eine aufregende Zeit. Frère Roger hat immer gesagt: „Wir leben im Vorläufigen“ und das spüre ich augenblicklich sehr existentiell. Wir leben von Woche und zu Woche und hören was die Politik sagt, was die Wissenschaftler sagen, was auch die Verantwortlichen der Kirche sagen. Und bei alledem versuchen wir, schon irgendwie unser Leben neu zu gestalten, ganz persönlich, aber auch unser Gemeinde- und Glaubensleben neu zu sortieren. Es ist eine mühsame Zeit, aber nicht ohne Hoffnung.
Auch wenn Kirchen und Gemeindezentren wieder geöffnet werden – welche Folgen hat die Pandemie langfristig für die Kirche? Was wird nicht mehr so sein wie früher?
Gott sei Dank sind unsere Kirchen die ganze Zeit geöffnet gewesen, die Menschen sind gekommen. Wir haben das besonders stark an Ostern erlebt. Sie haben sich Palmzweige, Osterkerzen und unsere Glaubensimpulse und Gottesdienstvorlagen mitgenommen. Wir versuchen auch, untereinander Kontakt zu halten, indem wir viel anrufen oder auch hier und da in den Gremien eine Telefonkonferenz machen. Das kirchliche Leben hat sich trotzdem extrem gewandelt. Es ist ja nicht nur der Gottesdienst der fehlt, sondern es sind die Erstkommunionfeiern und deren Vorbereitung, es sind die Chorproben und die Treffen der kfd und so weiter. Ich bin der festen Überzeugung, sobald die Menschen sich wieder bewegen können, werden sie sich aufeinander zu bewegen. Das liegt in der Natur des Menschen. Und wenn die Kirche nach wie vor einen Anlass oder einen Ort anbietet, um miteinander das Leben zu teilen, dann wird sich auch kirchliches Leben wieder entwickeln.
Was erhoffen Sie sich für das 1. Maiwochenende, wenn die Kirchen wieder geöffnet und Gottesdienste unter strengen Auflagen gefeiert werden können?
Wir sehnen uns nach einer völlig ungezwungenen Normalität wieder zurück. Aber das wird so schnell nicht wieder kommen. Daher müssen wir realistisch sein und langsam und vorsichtig anfangen und dabei alle unterschiedlichen Perspektiven im Blick behalten. Ich glaube, wir brauchen jetzt die Fähigkeit, von Woche zu Woche immer wieder neu zu beginnen. Was kann ich jetzt anfangen? Das ist jetzt eine Geduldsfrage. Keiner soll sagen, es gäbe jetzt weniger Arbeit – es gibt viel zu tun: vieles, was wir im Augenblick tun, hat eine Halbwertzeit von einer Woche. Aber es ist auch eine geistliche Frage: Was ist jetzt dran, wo bin ich jetzt gefordert?
Gab es für Sie in dieser Krisenzeit auch Neuentdeckungen, haben sich für die Kirche auch neue Chancen eröffnet, die es sonst vielleicht gar nicht gegeben hätte? Corona als Anstoß für Neues?
Ich fand hochspannend, wie aus dem Nichts heraus plötzlich Dinge gewachsen sind, z.B. zu der normalen Gottesdienstzeit in St. Gereon waren einigen Menschen in der Kirche versammelt und da sagte jemand: „Sollen wir nicht gemeinsam etwas beten?“ – die Personen saßen weit genug auseinander. Und da haben sie das Vater Unser gebetet. Und ein anderer sagte: Ich lese jetzt mal das Evangelium vor und dann haben sie Fürbitten gesprochen. Da ist jetzt eine Kultur gewachsen von der man sagen könnte: Das jetzt zu verlieren, wäre schade. Wie können wir diese Erfahrungen mitnehmen und nicht einfach nur zur Eucharistiefeier zurückkehren. Das sind Impulse, die machen mich sehr nachdenklich, dass Menschen ihren Glauben sehr selbständig leben und auch feiern können und wollen. Das muss Konsequenzen auch für unser gottesdienstliches Angebot haben.
Sie haben neben Theologie auch Kunstgeschichte studiert und Ihre Promotion in Kunstgeschichte geschrieben. Welche Bedeutung spielt die Kunst in ihrer pastoralen Arbeit in der Innenstadt?
Ohne Kunst und Kultur ist die Kölner Innenstadt gar nicht zu denken. Unsere Gottesdienste und unser Gemeindeleben wären tot. Das spüren wir jetzt in Corona-Zeit ganz besonders. Wir sehnen uns alle nach Gottesdiensten, aber wir sehnen uns auch nach einer Kultur, nämlich der Wärme der Menschen, mit denen wir unterwegs sind, der Schönheit der Räume, in denen etwas wieder neu erklingt und zelebriert wird, nach Inhalten, die wir dort vielleicht wieder neu erfahren können, auch wenn Kulturveranstaltungen wie z.B. Lesungen im Moment nicht stattfinden können. Ich habe das Privileg hier in der Kölner Innenstadt, mit die besten Kirchen auf der ganzen Welt hier zu haben. Diese leben aus der mit der Geschichte verbundenen Kultur. Und deshalb sind sie aufgeladen mit dem Glauben und der Kultur der Jahrhunderte. Und wir dürfen damit wuchern – natürlich auch, indem wir unsere Kultur heute da hinein tragen, mit Kunstaktionen oder auch mit Neuanschaffungen, die Fäden der Kulturgeschichte weiter spinnen. In der Innenstadt gibt es dazu eine große Tradition von Räumen, in denen sich Kunst und Kirche wie selbstverständlich begegnen. Da freue ich mich sehr darauf, wenn das bald wieder gehen kann.
Lieber Herr Dr. Meiering, wir danken Ihnen herzlich für das interessante Gespräch!
Bild: S. Schomäcker
3. Mai 2020 || empfohlen von Andreas Würbel, Akademiereferent