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FÜR EINE PASTORAL DES GUTEN EINDRUCKS (2. Teil)

Erfahrungen eines Seelsorgers in einem großstädtisch-säkularen Umfeld

Jenseits dieses Befundes plädiere ich für das, was in der Politik als vertrauensbildende Maßnahmen bezeichnet wird, oder wie es der Prager Religionsphilosoph Tomas Hálik betont: „Das Korn der Verkündigung des Evangeliums braucht einen guten Boden.“ Hier möchte ich einen zweiten Dank aussprechen. Er geht an die Schriftstellerin Petra Morsbach, die in einem Interview „ … für die Pflege der Alltagskultur in den übersichtlichen sozialen Zellen“ votiert, „auf die man als Einzelner oder Einzelne noch Einfluss hat. Denn aus diesen Zellen setzt sich die große Kultur zusammen. Wahrnehmung, Haltung, Maßnahmen der kurzen Reichweite bewirken erstaunlich viel“ (HerKorr 4 / 2021). Also nicht primär die vertrauensbildenden Maßnahmen auf großer, hier welt- oder diözesankirchlicher Bühne – wobei diese fraglos bedeutsam sind –, sondern das Vertrauensbildende der „kurzen Reichweite“ in den übersichtlichen Einheiten.

Wie kann das ausschauen? Einige Überlegungen dazu:

Zuerst der wirklich längst überfällige Abschied von allem Hochwürdigen, Hochwürdigsten und autoritären Gehabe. Bescheidenheit im Auftreten auf allen Ebenen und nüchterner Realismus in der eigenen Einschätzung sind gefragt. Wie muss es auf eine kritische Öffentlichkeit wirken, wenn sich ein kirchlich geprägtes Magazin „grandios“ (bis August 2021 vom Bistum Regensburg verantwortet) nennt und damit der Anschein erweckt werden soll, dass in Glaube und Kirche alles hervorragend, vorbildlich und ethisch einwandfrei ist – das Wortspiel mit „dios“ = Gott wird nicht verstanden –, und rundherum passieren auf allen Ebenen (siehe oben Zitat Schüle) Skandale und Abgründe, geschehen Missstände und miserable Praxis. (Dass „Grandiosität“ die Gefahr in sich birgt, ins Esoterische abzudriften, sei hier nur erwähnt.) Zwischen Heiligsprechungen und Vernichtungsszenarien ist der Bedarf nach bescheideneren Brötchen so gefragt wie nie. Sollte sich dann – bei Nachprüfungen – herausstellen, dass das Hochwürdigste und die Hochwürdigen doch nicht so hochwürdigst und hochwürdig daherkommen, braucht es keine Dementis und peinlich wirkende Richtigstellungen.

Ich möchte mit jeglicher Form der Besserwisserei aufhören und bemühe mich, stets zu berücksichtigen, dass Zeitgenossen nicht Anweisung, sondern Wegweisung wollen. Nirgends tritt mir so viel Ablehnung entgegen, wie wenn ich als altkluger Oberlehrer auftrete, der sowieso schon alles weiß. Immer wieder hat der schon erwähnte Tomas Hálik darauf hingewiesen, dass die Glaubensweitergabe nur dann geschehen kann, wenn wir eingestehen, dass wir kein Monopol auf die richtigen Antworten haben, wenn wir uns bemühen, unseren Glauben nicht als ideologisches System zu verstehen, sondern als einen Weg des Suchens, wo wir den Mut haben, die Sehnsucht nach einfachen Antworten auf komplizierte Fragen abzulehnen und zu enttäuschen (vgl. HerKorr 8 / 2019).

Akzeptanz der Autonomie in allen Lebensbereichen. Das alte Adenauersche Diktum, dass man die Menschen so nehmen muss, wie sie sind, weil es ja keine anderen gibt, stimmt nach wie vor und braucht gegenwärtig die Ergänzung, dass ich auch alles annehmen muss, was Menschen in ihrer Autonomie und freien Lebensführung praktizieren. Was nicht heißt, zu allem Ja und Amen zu sagen. Doch an erster Stelle müssen Respekt und Achtung voreinander und zu diversen Lebensweisen stehen, mögen sie – aus christlicher Sicht – noch so fragwürdig, ja hanebüchen daherkommen. Die Kultur(en) unserer Zeit verstehen zu lernen, die um uns herum geschehen, gehört zu den Haltungen der Seelsorge mehr denn je. Kultur- und Glaubenskriege haben längst jegliche Daseinsberechtigung verloren.

Kirchliches Auftreten ist „ad hominem“ zu praktizieren. Die achtet das in allen Umfragen mit oberster Priorität beschriebene Postulat, dass Glaube Zuwendung bedeutet. Aus der Philosophie kommt derzeit die Überzeugung, dass es besonders auf die Kunst des Hörens und Zuhörens ankommt. Dies birgt die nicht immer leichte Herausforderung, auch manches einfach auszuhalten und zu ertragen, auch, weil es keine einfachen Lösungen gibt und vielleicht die eine oder andere Meinung auch ihr Bemerkenswertes hat. Ergänzend dazu: Sich den Gesetzen der Kommunikation stellen, trägt die Konsequenz in sich, auf jegliches geistliche Anrempeln („die da sind und doch nicht leben“, GL 489) zu verzichten. Das rechte Wort zur rechten Zeit, aber „bescheiden und ehrfürchtig“ (1 Petr 3, 14) – was muss das für ein Segen sein!

„Mission heißt zeigen, was man liebt“ (Fulbert Steffensky). Unser Glaube und unsere kirchliche Tradition haben Zukunft, wenn es uns gelingt, das Lebens- und Liebenswerte des Christseins in den Mittelpunkt zu stellen. Glauben und kirchliches Leben so zu praktizieren, dass es lebensbereichernd wirkt. Wenn es allerdings altbacken, in der Sprache und in den Formen antiquiert daherkommt, wenn wir meinen, wir brauchen nur die alten Traditionen zu wiederholen, werden wir scheitern. Deshalb ringe ich um neue Bilder, zeitgemäße Worte und schönes, bewegendes Erleben in unseren Kirchen und Gottesdiensten.

Dieses Lebensbereichernde liegt für mich vor allem in der existentiellen Kraft unseres Glaubens. „In den Herzen ereignet sich die Wahrheit, nicht in dogmatischen Behauptungen“ (Eugen Drewermann). Und die Verantwortlichen des oben kritisierten Magazins „grandios“ haben Recht, wenn sie als einen ihrer Untertitel wählen: „Es geht um dich!“ Ja, bei Christus geht es immer um mich, es geht ums persönliche Berührt-Werden, es geht um die Erfahrung eines tiefen Angesprochen-Seins, bei dem einen das Herz aufgeht.

Die Pastoral des guten Eindrucks vor Ort im Kontext der Gottesdienstpraxis besteht – nach Bischof Alois Schwarz – aus drei Komponenten: – Angenehme Atmosphäre. Die kirchenkritische Journalistin Valerie Schönian, die in der Begleitung eines Kaplans im Bistum Münster den Katholizismus kennenlernte (Blogprojekt: „Valerie und der Priester“), gab als erste Regel zur Kontaktaufnahme mit Kirchenfernen an: Atmosphäre schaffen. Demgegenüber ist klar, dass niemand gern an einem Ort ist, wo es dröge, bedrückend, abstoßend und damit unerträglich zugeht. – Ansprechende Predigt. Wenn Zuhörer die wahrlich nicht neu entdeckte Rückmeldung „schön haben’S heute wieder gepredigt“ geben, ist das viel mehr als eine ästhetische Aussage. Sie zeugt von ansprechenden Inhalten und angenehmer Atmosphäre. Und entscheidend dabei: den Hörern etwas mitzugeben, „was ihr Herz wärmt“ (Sabine Asgodorn). – Qualitätsvolle Kirchenmusik. Sicher eine unverdächtige Bestätigung, wenn der Politiker Otto Schily meint, „wenn sie den Himmel erreichen wollen, kommen sie ihm mit der Musik am nächsten“. – Diesen drei Komponenten möchte ich voll und ganz zustimmen. Mag noch so vieles in unserer Kirche schieflaufen, wenn diese drei gut praktiziert werden, werden die vorhandenen und zeitlos wertvollen Schätze des Christseins sichtbar. Und die von Kirchenoberen eingeforderte Sorge um ein ansprechendes, von Aufmerksamkeit und Wertschätzung geprägtes Klima in unseren Gemeinden kann und wird viel Gutes bewirken.

Welche Kritikpunkte können dieser Pastoral des guten Eindrucks entgegengehalten werden? Sicher geschieht damit keine Wiederauferstehung alter kirchlicher Milieus (z.B. das Verschwinden mancher Ordenstraditionen ist nicht mehr aufzuhalten). Auch eine Re-Formation überkommener Frömmigkeitsformen wird wohl ausbleiben. Dass manche einwenden, ein solches Handeln, gerade in und mit kirchlichen Lehrinhalten, ist doch nichts anderes als eine Pastoral mit einem ganz winzigen gemeinsamen Nenner, was viel zu wenig und besonders inhaltlich, weil nicht nachhaltig, viel zu dürftig ist. Damit kann sich eine Kirche, die sich als katholisch begreift, nicht zufriedengeben. Aber wenn das Vertrauen – eine Kraft, von der gesagt wird, dass sie alles verändern kann –, nicht mehr vorhanden ist, wenn dadurch die Abwehrmechanismen unendlich stark geworden sind („mit ihnen will ich nichts zu tun haben“), was bleibt uns dann als Kirche und den Seelsorgern vor Ort übrig, als diese kleinen, immer wieder zu setzenden Lichtpunkte (z.B. bei den Kasualien) zu praktizieren: „ …dann holten sie ihre Schätze hervor …“ (Mt 2,11)? Ich sehe auf dieser unteren Ebene im großstädtisch-säkularen Umfeld keine Alternative.

Ansonsten hat diese Pastoral positive Aspekte. Wenn auf allen Ebenen ein guter Eindruck gemacht wird – transparent, glaubwürdig, ohne Tricksereien – lässt das Interesse einer skeptisch bis ablehnend gewordenen Öffentlichkeit sehr schnell nach. Unsere Empörungsgesellschaft kann mit solider und guter Arbeit wenig anfangen (alle, die sich in unseren Bistümern mit der seit Jahren praktizierten Transparenzoffensive, vor allem im finanziellen Bereich, zu beschäftigen haben, können das bestätigen). Demgegenüber sind die Überraschungsmomente erheblich. Angefüllt mit der ganzen Hitparade der Kirchenkritik reagieren manche auf die überzeugende Arbeit der kirchlichen Vertreter mit dem Eingeständnis: Beeindruckend, das hätte ich der Kirche nicht (mehr) zugetraut. Wie oft durfte ich das erleben. Was nicht heißt, dass dann mit fliegenden Fahnen eine Umkehr oder ein gar Kirchlich-Werden geschieht, aber auch in postmodernen Zeiten gilt, dass sich bewegend-berührende Eindrücke nachhaltig in mancher kritischen Seele festmachen, auch wenn es sich in der Pastoral oft um Momentaufnahmen handelt. Bis dahin, dass die Bitte nach einem wie immer gearteten persönlichen Mitnehmen geäußert wird. So meinte ein Weggefährte, der bei einer Trauerfeier anwesend war, der ich vorstand: „So musst du das auch mal bei mir machen. Das war bewegend.“

Vor einigen Jahren wurde ich gebeten, für einen Mann, eine bekannte Regensburger Persönlichkeit, der sich im kleinen Familienkreis hatte bestatten lassen, ein Requiem zu halten, bei dem die Stadtöffentlichkeit seiner gedenken und von ihm Abschied nehmen konnte. Es kamen – sicher in gediegener Form – vor allem die drei Komponenten der Pastoral des guten Eindrucks zum Tragen: wohltuende Atmosphäre, ansprechende Predigt, qualitätvolle Kirchenmusik. Hinterher bedankte sich der verwandte Impulsgeber dieser Feier, der vor vielen Jahren der Kirche den Rücken gekehrt hat: „Das war so schön, da möchte man wieder katholisch werden.“

Cover: VERLAG FRIEDRICH PUSTET

14. November 2023 || ein Beitrag von Msgr. Dr. Werner Schrüfer, Domvikar, Künstlerseelsorger und Leiter der homiletischen Aus- und Fortbildung im Bistum Regensburg

Monsignore Dr. Werner Schrüfer

Den ersten Teil des Beitrags „FÜR EINE PASTORAL DES GUTEN EINDRUCKS. Erfahrungen eines Seelsorgers in einem großstädtisch-säkularen Umfeld“ von Dr. Werner Schrüfer lesen Sie

Der Text stammt aus seinem Buch:

Das wäre doch nicht nötig gewesen
Texte und Bilder aus 40 Jahren
Dr. Werner Schrüfer

Werner Schrüfer - Das wäre doch nicht nötig gewesen

Der Beitrag wurde erstmals veröffentlicht in: Klerusblatt 102, 2022.