Plastik Industrie Natur I Duisburg neu erleben
Duisburg war der „Brotkorb des Ruhrgebietes”, an dessen Innenhafen große Mühlengebäude entstanden. Heute befindet sich nach Umbauten durch das Schweizer Architektenduo Herzog und de Meuron in der Küppersmühle ein Museum für moderne Kunst. Diese Umnutzung steht im Zusammenhang mit einer Umplanung der ganzen Stadt durch Norman Foster. In unmittelbarer Nähe zur City wurde im Innenhafen das Konzept von Arbeiten, Wohnen, Kultur und Freizeit am Wasser verwirklicht. Wie sehr hat die Stadt Duisburg dadurch gewonnen?
Duisburg hat erheblich gewonnen. Der Plan der 1993 von der Stadt Duisburg und dem Land NRW gegründeten INNENHAFEN DUISBURG Entwicklungsgesellschaft mbH war, aus einem 100 Jahre lang bestehenden Wirtschaftsstandort ein anspruchsvolles modernes Stadtquartier zu schaffen. Auf den ersten Blick ist das ein Konzept, das den bekannten in London, Hamburg oder Köln gleicht. In Duisburg gelang es aber, die Gentrifizierung des angegliederten Wohnbereichs weitgehend zu vermeiden.
Der Innenhafen grenzt im Osten an die bewohnte Altstadt, im Westen an die historische Bebauung mit Salvatorkirche, Karmelkirche sowie Kultur- und Stadthistorisches Museum. Sir Norman Fosters Masterplan für die Umgestaltung des Innenhafens sah nun ganz bewusst eine Öffnung zu diesen Arealen vor, oder besser umgekehrt: Es sollten fließende, niederschwellige Übergänge vom historischen Stadtkern in das neue Quartier entstehen.
Das, meine ich, ist gelungen. Auch wenn ein zentraler Komplex, das Eurogate Duisburg im Bogen des Holzhafens noch gar nicht erbaut wurde, so ist aber das großzügige, auf 89 Hektar ausgebreitete Gelände in seiner Mischung von Parkanlage, Wohn- und Bürogebäuden, neuen Kulturstätten wie das Museum Küppersmühle, das NRW-Landesarchiv oder das jüdische Gemeindezentrum von hoher Anziehungskraft.
Kunstwerke im öffentlichen Raum machen eine Stadt lebendig und regen zur Auseinandersetzung mit Kunst, Kultur und Stadtentwicklung an. Welche Kunstwerke werden während der Erkundung zu sehen sein? Welche schätzen Sie besonders?
Der Rat der Stadt Duisburg hatte bereits 1964 mit der Eröffnung des Lehmbruck-Museums sehr vorausschauend eine Umstrukturierung der gesamten Stadt im Sinn – von der Kohle zur Kultur! Damals wurden die Grundlagen für die heutige Skulpturenstadt gelegt. Die ganze City ist voller moderner und zeitgenössischer Kunst.
Es ist weniger ein einzelnes Werk, das ich favorisiere, sondern die Gesamtheit der den Duisburger urbanen Raum gestaltenden Objekte. So werden wir den Immanuel-Kant-Park mit den für diesen Standort konzipierten Arbeiten von Magdalena Abakanowicz, Richard Serra oder Ansgar Nierhoff aufsuchen. Wir werden entlang der großartigen Brunnenmeile, die unter anderem das vielleicht einzige gemeinschaftliche Projekt Niki de Saint Phalles und Jean Tinguelys bereithält, spazieren. Den ein oder anderen Seitenblick werden wir von der Brunnenmeile aus auf die bis zur Deutschen Oper, in die Banken, Kaufhäuser, U-Bahnen und Behörden auswabernde moderne Plastik werfen.
Auf dem Weg zur Altstadt von Duisburg führt der Weg vorbei am jüdischen Gemeindezentrum mit der Synagoge und dem Garten der Erinnerungen, den Dani Karavan 1999 angelegt hat. Wie ist es dem international bekannten israelischen Künstler gelungen, die besondere Bedeutung des Innenhafens und seiner Industriegeschichte herauszuarbeiten?
Karavans Garten der Erinnerung und das jüdische Gemeindezentrum müssen zusammen gesehen werden. Beide wurden bis 1999 fertiggestellt. Der Gemeindebau von Architekt Zvi Hecker ist in den Garten der Erinnerung integriert und greift in seiner Gestalt Elemente der von Karavan als Ruinen belassenen vormaligen Hafengebäude auf. Die Nähe zum Standort der 1938 zerstörten Synagoge und die unmittelbar vor dem Gemeindezentrum aufgestellte Skulptur „Gleichgewicht“ von Menashe Kadishman lassen den Bau als Erinnerungsmal an die Shoah und als ein auf Neubeginn und Zukunft aufgeschlagenes Buch, als ein neues Kapitel der Duisburger Stadtgeschichte interpretieren.
Genau diese Spanne zwischen Rückerinnerung und Öffnung auf Zukunft ist das, was Dani Karavan mit seinen begehbaren Skulpturen – das nämlich ist der Garten der Erinnerung, eine begehbare Skulptur – realisieren wollte, und zwar ganz allgemein, also ohne einen auf das deutsch-jüdische Verhältnis begrenzten Blickwinkel. Dazu arbeitete Karavan in Duisburg mit vorhandenem Material: den Hinterlassenschaften des ehemaligen Hafengeländes. Er ließ aber auch junge Bäume und Getreiderabatte anpflanzen, warf einen Hügel aus Betonschutt auf, auf dem sich in der Zwischenzeit allerlei Pflanzen und Getier angesiedelt haben. Der Garten der Erinnerung erneuert und entwickelt sich immerfort. Er verjüngt sich gewissermaßen selber, wie auch die Menschen, die ihn aufsuchen und sich in ihm wohlfühlen, nachwachsen mögen.
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