„Es geht eine helle Flöte“

Mein Lieblingslied? Vorlieben wandeln sich. Ein Lieblingslied meiner Kindheit käme mir heute nicht mehr über die Lippen. Nicht einmal in der Badewanne oder alleine im Auto, den bevorzugten Orten meiner dilettantischen Stimmübungen. Als Kind liebte ich „Es geht eine helle Flöte“ von Hans Baumann (1914-1988) und war stolz, als ich es auf der Blockflöte spielen konnte. Der Klang der Flöte passt wunderschön zu Melodie und Text des Liedes. Und so hatte ich mich während der Pandemie hinreißen lassen, es als Lied ohne Worte im Rahmen einer kleinen Veranstaltung im Seniorenheim noch einmal zu spielen. Ob die Senioren mitgesungen haben, weiß ich nicht. Es war natürlich keine Präsenzveranstaltung. In der Tat ist es ein Lied, das nur älteren Semestern noch geläufig sein dürfte. Heute findet man es im Netz unter der Rubrik „Volkslieder als Therapie bei Demenzerkrankungen“. Im doppelten Sinne lädt es zur Erinnerungsarbeit ein, denn es ist ein Lied mit Vergangenheit. Mit einer braunen Vergangenheit. Der Autor Hans Baumann dichtete als Achtzehnjähriger „Es zittern die morschen Knochen …“ mit der schrecklichen Zeile „Heute (ge)hört uns Deutschland und morgen die ganze Welt“. Dagegen kommt die „Helle Flöte“, so der Titel eines noch 1950 von Baumann publizierten Liederbuches, ganz harmlos daher. Die ersten drei Strophen erzählen, wie Birken, Buchen und selbst der Bach die Ankunft des Frühlings spüren. Erstmals publiziert wurde das Lied 1938 und das gleich mehrfach. Es erschien 1938 nicht nur in Baumanns „Der helle Tag“, sondern gleich auch als „Liederblatt“ für die Hitlerjugend und für die Deutsche Arbeitsfront. Mich beschleicht der Verdacht, dass das Frühlingsgeschehen auch als Metapher für den politischen Aufbruch verstanden werden will. Die vierte Strophe, meist weggelassen (so auch in der poppig-zuckrigen Aufnahme als harmloses „Osterlied für Kinder“ von Rolf Zuckowski), verstärkt mein Misstrauen. „Tausend Halme zitternd stehen, hören sie die Flöte gehen“. Wenn erst der Sommer über dem Land ist, wird die Ernte mit eiserner Sichel eingebracht. Das ist die Botschaft des gar nicht so harmlosen Liedes. Der „Hitlerbarde Baumann“ spielte die Flöte der Rattenfänger.

Wie wichtig ist Musik? Wie wichtig ist Luft zum Atmen?! Überlebenswichtig also. Wir können sie nicht greifen, aber wir fühlen sie, wir hören sie. Musik weckt Lebensfreude.

In der Fastenzeit sprechen wir mit ganz unterschiedlichen Menschen über ihre prägenden Songs und die dazugehörigen Momente, egal, ob Popsong, Schlager, Volkslied oder Evergreen. An jedem Fastensonntag veröffentlichen wir in unserem Blog ein persönliches Lieblingslied. Lesen Sie hier spannende Ausführungen, Wissenswertes und mehr über die Freude an Musik.