Glanz und Grauen im Vatikan – Gedanken zum Papstamt

Heute vor 280 Jahren, am 17. August 1740, „bestieg einer der prachtvollsten Päpste den Thron“ – so beginnt der Eintrag über Benedikt XIV. in einem schmalen Taschenlexikon der Päpste, das sich mein Vater in den 1960er Jahren für sein Geschichtsstudium angeschafft haben muss. Mittlerweile steht es in meinem Bücherregal. Von Zeit zu Zeit blättere ich darin, lese mich mal hier und mal dort fest und denke: Das ist schon ein sehr kurioses Amt! Seit nun bald 2000 Jahren kann es jeweils nur ein einziger ausüben. Er braucht sich keiner Wiederwahl zu stellen und keine Amtsenthebung zu fürchten. Eine demokratisch legitimierte Opposition gibt es ebensowenig wie eine wirkliche Kontrolle durch Gerichte. Mit Verweis auf die von Perugino wunderbar ins Bild gesetzte „Petrusverheißung“ im Matthäus-Evangelium (Mt 16,18) wird der päpstliche Primatsanspruch begründet. Er sichert dem Nachfolger Petri die höchste, volle, universale und unmittelbare bischöfliche Gewalt, die dieser ohne Hinderung durch andere Instanzen frei ausüben kann. Dieser Kompetenzfülle entspricht die Liste der päpstlichen Titel, die im lateinischen Original besonders klangvoll sind und unter denen „Vicarius Iesu Christi“ (Stellvertreter Jesu Christi) und Successor Principis Apostolorum (Nachfolger des Apostelfürsten) hervorstechen.

Welcher Mensch vermag ein solches Amt auszufüllen? Der Blick in das Lexikon der Päpste führt sehr lebendig vor Augen, wie unterschiedlich die Persönlichkeiten waren, die in die Nachfolge Petri berufen wurden. Sehr gemischt fallen auch die Bilanzen der 261 dargestellten Pontifikate aus. Das Lexikon gibt sich wenig zurückhaltend: So sei etwa der Pontifikat Sixtus IV., dem wir die Sixtinische Kapelle verdanken, für die Kirche ein Unglück gewesen, „zu dessen Steigerung es nur noch der beiden folgenden Päpste bedurfte“.

Entsprechend düster fallen die Bewertungen der Amtszeiten von Innozenz VIII. und vor allem des Borgia-Papstes Alexanders VI. aus. Julius III. attestiert das von Hans Kühner verfasste Lexikon „bäuerliches Benehmen“. Dem unglückseligen Medici-Spross Clemens VII. wird zwar ein „untadeliger Lebenswandel“ zugutegehalten, der aber nicht darüber hinwegtäuschen könne, „dass der kalte, unentschlossene, diplomatisch verschlagene, niemals offene, immer ängstliche, in andauernder Rücksichtnahme auf politische Verhältnisse schwankende Papst ohne Blick für große Zusammenhänge, ohne eindeutige Kraft im Interesse der Kirche gewesen ist“. Simonistischer Schacher, Nepotismus, schrankenlose Schamlosigkeit, Eitelkeit, ausschweifender Lebenswandel und unersättliche Vergnügungssucht – die Liste der Verfehlungen und charakterlichen Schwächen, die den Nachfolgern Petri angekreidet werden, ist lang.

Vor diesem Hintergrund mag man den Fortbestand des Papstamtes als Beleg für das Wirken einer höheren Macht sehen. Aber auch bei nüchterner Betrachtung ist es erstaunlich, dass es in den zwanzig Jahrhunderten immer wieder – und teilweise in unmittelbarer Nachfolge zu besonders kläglichen Amtsinhabern – Pontifikate gegeben hat, die sehr wohlwollend beurteilt werden. Schaut man sich diese genauer an, wird deutlich, dass jede Bewertung päpstlichen Wirkens mindestens vier Dimensionen erfassen müsste: theologisches Denken, politisches Geschick, die Förderung der Künste und Wissenschaften sowie schließlich Charakter und Lebenswandel. Mithilfe eines solchen multidimensionalen Rasters kann man erkennen, dass der als heiligmäßig beschriebene Lebenswandel eines Innozenz XI. für die Staatsfinanzen des Vatikans segensreich, für Künste und Wissenschaften jedoch wenig förderlich war: So musste Bernini, der Stararchitekt des Barock, den Lateranpalast auf Geheiß des Papstes in ein Armenhaus umwandeln. Dagegen taten sich die in Saus und Braus lebenden Renaissance-Päpste als große Förderer der Künste hervor. Die geschickten Diplomaten auf dem Stuhle Petri mögen nicht die genialsten Theologen gewesen sein, während umgekehrt theologisch-philosophischer Scharfsinn oft mit Wankelmut, politischer Kurzsichtigkeit oder schlichtem Desinteresse an weltlichen Geschicken einherging.

Selten finden sich Päpste, die auf allen vier Dimensionen beachtenswert erscheinen. Eine dieser Ausnahmepersönlichkeiten scheint Prospero Lambertini gewesen zu sein, der eingangs erwähnte Papst Benedikt XIV. Aus einer verarmten Bologneser Adelsfamilie stammend, war er umfassend theologisch und juristisch geschult und auch literarisch gebildet. Selbst als Erzbischof von Bologna betätigte sich Lambertini noch schriftstellerisch. Nach einem langen Konklave wurde er, der nicht zu den „papabili“ gezählt hatte, im Alter von 65 Jahren zum Papst gewählt.

Benedikt ging mit großem Reformeifer ans Werk und veröffentlichte bereits kurz nach Amtsantritt als erster Papst eine Enzyklika. Auch modernisierte er die Kurie und die Mönchsorden. Als Intellektueller genoss Benedikt selbst bei den ärgsten Kritikern der Kirche wie dem französischen Philosophen Voltaire höchste Achtung. Er gründete wissenschaftliche Akademien, Museen und Gemäldegalerien, stiftete Laboratorien und Lehrstühle – darunter zwei für Professorinnen.

Die Stadt Rom verdankt ihm zudem die Modernisierung ihrer rückständigen Infrastruktur, die Restaurierung zahlreicher antiker Bauten und die Vollendung des berühmten Trevi-Brunnens. Auch die Trockenlegung der Pontinischen Sümpfe begann auf Initiative Benedikts. In politischen Fragen agierte der Papst umsichtig und geschickt, schloss zahlreiche Konkordate mit europäischen Staaten ab und reduzierte das weitgehend nutzlos gewordene päpstliche Heer.

Sein Lebenswandel wird als untadelig und bescheiden beschrieben, keinen seiner Neffen bedachte er mit kurialen Ämtern, nicht einmal in Rom besuchen durften sie ihn. Die eigene Reisetätigkeit beschränkte Benedikt ebenfalls, um das so gesparte Geld der Armenfürsorge zukommen zu lassen. Seine amtliche und moralische Autorität nutzte Benedikt, um sich gegen den Zinswucher auszusprechen und die Wahrung der Menschenrechte in den Missionen Lateinamerikas einzufordern. Den Bann gegen die kopernikanischen Lehren hob er auf, so dass mit 200 Jahren Verzögerung auch die Kirche anerkannte, dass sich die Erde um die Sonne dreht. Bei alledem war Benedikt volksnah und soll zu Fuß durch die Straßen Roms spaziert sein und mit den Leuten geplaudert haben.

So scheint Benedikt auf allen Dimensionen beachtliche Leistungen erbracht zu haben, was ihm allseits Verehrung einbrachte. Allerdings erwähnt das Lexikon nicht, dass Benedikt drakonische Strafen gegen die Freimaurer verhängte und die antisemitische Legende vom angeblichen Ritualmord an dem kleinen Jungen Andreas Oxner nicht als solche verdammte, sondern den absurden Anderl-Kult mit einer päpstlichen Bulle sogar offiziell bekräftigte. Solche dunklen Flecken brauchen indes nicht aus dem Bild Benedikts XIV. retuschiert werden, um seine Amtszeit als besonders geglückte Episode in der langen Geschichte des Papsttums zu begreifen.

Das Lexikon meines Vaters endet mit Johannes XXIII., wobei das Zweite Vatikanum noch keine Erwähnung findet. Wie es wohl die letzten Pontifikate aufnehmen würde? Wie stünden diese im Vergleich zur glanzvollen Amtsperiode Benedikts XIV. da? Vielleicht würde das Lexikon das umtriebige Wirken Johannes Paul II. mit der Politik Benedikts im Österreichischen Erbfolgekrieg vergleichen. Aber wie würde es sein naives und nachgiebiges Verhalten gegenüber dem Finsterling Marcial Maciel bewerten, der als Leiter der von ihm gegründeten  Legionäre Christi zahllose junge Männer vergewaltigt hat? Und würde das Lexikon Benedikt XVI. zwar den gleichen intellektuellen Rang zusprechen wie Benedikt XIV., aber die weltentrückte Abgehobenheit des deutschen Papstes im Vergleich zum volksnahen Lambertini beklagen? Wie würde das Lexikon schließlich über den amtierenden Papst urteilen, der vielleicht nicht zu Fuß durch die Straßen der ewigen Stadt spaziert, aber doch für seine bescheidene Lebensart gerühmt wird? Würde Franziskus vorgehalten, dass er zwar wie Benedikt XIV. großen Reformwillen gezeigt, in der Umsetzung aber gescheitert sei, so dass sein Pontifikat letztlich anders als das Lambertinis eine herbe Enttäuschung war? Wir werden es nicht erfahren. Aber zu einem nachdenklichen Vergleich lädt die Erinnerung an den glanzvollen Pontifikat Benedikts XIV. allemal ein.

Bilder
Consegna delle chiavi a Pietro. Gemälde von Pietro Perugino, 1481. Sixtinische Kapelle, Vatikan.
Papst Alexander VI. Gemälde von Cristofano dell’Altissimo. Uffizien, Florenz.
Papst Benedikt XIV. Gemälde von Pierre Subleyras. Musée Condé, Chantilly.

17. August 2020 || von Dr. Matthias Lehnert, Akademiereferent