Auf ein Wort mit… Dr. Barbara Haubold

Liebe Frau Dr. Haubold,  Sie arbeiten für das Kölner Auktionshaus VAN HAM Kunstauktionen. Provenienzforschung klingt nach keiner leichten Aufgabe. Das Bild der Nadel im Heuhaufen kommt mir hier in den Kopf. Wie schwierig ist Provenienzforschung tatsächlich?

Die Provenienzforschung ist am ehesten mit „Detektivarbeit“ zu vergleichen: man muss die Spuren, die auf dem jeweiligen Kunstwerk vorhanden sind, zunächst entdecken, identifizieren und die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Idealerweise führt ein bestimmter Aufkleber auf der Rückseite eines Gemäldes bereits zu einer ehemaligen Sammlung, zu der das Werk ursprünglich gehört hat und welches seit Jahren möglicherweise als Raubkunst gesucht wird. Leider sind diese Fälle in der Praxis die Ausnahme. Vielmehr liegen uns häufig Objekte vor, deren Provenienzkette (die Abfolge der Eigentümer von der Entstehung des Werks bis zum heutigen Tag) trotz Recherchen in den Werkverzeichnissen, Ausstellungskatalogen, Auktionskatalogen, weiterführenden Literatur sowie unzähligen Datenbanken nicht lückenlos geklärt werden kann. Hierfür sind dann Spürsinn, Ausdauer, Geduld, fundiertes Wissen für historische Zusammenhänge, internationales Netzwerk zu Spezialisten und manchmal auch Glück notwendig.

Das Auktionshaus VAN HAM ist in den letzten Jahren bezüglich seiner erfolgreichen Provenienzforschung und Restitutionen oft in der Presse gewesen. Was ist Ihr Erfolgsrezept?

Die gründliche Provenienzrecherche in unserem Haus konzentriert sich seit Jahren auf NS-verfolgungsbedingte Kulturgüter, Kriegsbedingt verlagerte Kunstwerke (Stichwort Beutekunst und Fluchtgut), Vermögensentzug im „Beitrittsgebiet“ (SBZ, DDR), gestohlene Objekte und Fälschungen. Gerade bei den NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern jüdischer Familien erweist sich VAN HAM als ein international anerkannter und verantwortungsvoller Partner für erfolgreiche Restitutionen. Obwohl es für Privatpersonen keine gesetzliche Rückgabeverpflichtung gibt, gelingt es VAN HAM immer wieder, faire und gerechte Lösungen für alle Beteiligten im Sinne der Washingtoner Prinzipien zu finden.

Museums- und Kunsthandelsarbeit unterscheidet sich erheblich. Worum geht es bei Provenienzforschung im Kunsthandel, was vielleicht in Sammlungshäusern nicht im Vordergrund steht? Wie sieht es beispielsweise in der Folge mit dem Wert des Kunstwerkes aus?

Wer mit Kunstwerken handelt, ist laut Kulturgutschutzgesetz vom 6. August 2016, § 41 und § 42 gesetzlich dazu verpflichtet, die Sorgfaltspflichten zu erfüllen und die Provenienz des Kulturgutes zu prüfen. Der Auktionshandel ist ein schnelles Geschäft. Von der Einlieferung bis zum Verkauf sind es nur wenige Wochen. Trotzdem sind genaue Recherchen das oberste Gebot. Spannende, historisch gesicherte und dokumentierte Provenienzen sorgen auf jeden Fall für eine Wertsteigerung des Kunstwerks und sind somit für die Einlieferer und Käufer von großem Interesse.

Liebe Frau Dr. Haubold, Sie waren diejenige, die die sensationelle Sammlung Gurlitt in seinem Anwesen in Salzburg inventarisiert hat. Die Sammlung und der Fall Gurlitt wurden in einer großen Ausstellung in Bern und in Bonn aufgearbeitet und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht – auch das wird Teil unserer Tagung sein. Diese Entdeckung war einfach unglaublich. Wie war diese Untersuchung für Sie? Gab es besonders spektakuläre Überraschungen?

Ich betrat Gurlitts Haus in Salzburg ohne zu wissen, welche Kunstwerke mich erwarteten. Niemand wusste das. Und schon nach kurzer Zeit war mir klar, dass es sich bei all diesen Bildern, die ich in der Hand hielt, fotografierte, Maß nahm, kurz beschrieb, dass es sich bei diesen Werken um absolute Meisterwerke handelte: Gemälde von Monet, Renoir, Cezanne, Breughel, Picasso, Liebermann, Schlemmer… Das machte mich sprachlos! Obwohl ich vom Auktionshandel bei uns im Hause gewöhnt war, mit vielen wertvollen Kunstwerken und außergewöhnlichen Kunstsammlungen umzugehen, hatte ich solch eine spektakuläre Sammlung noch nicht erlebt. Diesen Auftrag werde ich nicht vergessen!

Was passiert eigentlich, wenn man selbst im Besitz eines Werkes mit unklarer Provenienz ist? Es hängt seit Jahren im Wohnzimmer, aber keiner weiß, wo es eigentlich hergekommen ist. An wen kann man sich wenden, wenn man mehr über das Objekt erfahren möchte?

Falls der Eigentümer sich entschieden hat, das Kunstwerk über eine unserer Auktionen zu verkaufen, so wird die Provenienz innerhalb unseres Hauses erforscht.

Falls der Eigentümer grundsätzlich wissen möchte, welche Abfolge nachweisbarer Besitzer bzw. Eigentümer sowie welche Besitz- und Eigentümerwechsel sein Kunstwerk möglicherweise durchlaufen hat, so empfiehlt es sich, sich an den Arbeitskreis Provenienzforschung (https://www.arbeitskreis-provenienzforschung.org)  zu wenden. Dieser wurde im Jahr 2000 gegründet und besteht inzwischen aus über 500 Wissenschaftler*innen aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Israel, Italien, Luxemburg, den Niederlanden, Österreich, der Schweiz und den USA. Hier kann man Kontakt zu Provenienzforscher*innen aufnehmen, die dann bei der Klärung der Provenienz des eigenen Kunstwerks behilflich sind.

Und wie ist es umgekehrt? Was passiert, wenn man weiß (oder vermutet), dass der Familie während des NS-Regimes ein Kunstwerk entwendet wurde? Ist hier auch der Arbeitskreis Provenienzforschung die richtige Adresse?

In diesem Fall wendet man sich mit allen Unterlagen, die den Nachweis des Verlustes des Kulturguts untermauern, an das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg https://kulturgutverluste.de/ und meldet seine Ansprüche an. Ist der Anspruch berechtigt, wird die Suche nach dem Kunstwerk in die Lostart-Datenbank https://www.lostart.de/de/start gestellt. Diese ist für jeden zugänglich und verzeichnet alle Kulturgüter, die den Verfolgten der NS-Diktatur, insbesondere jüdischen Eigentümer*innen, zwischen 1933 und 1945 entzogen wurden und deshalb aktuell gesucht werden. Auf der anderen Seite sind auch Fundmeldungen verzeichnet.

In Ihrem Arbeitsgebiet stecken die spannendsten Geschichten. Mit Ihrer Expertise und in Ihrer langjährigen Berufserfahrung haben Sie sicher abenteuerliche Geschichten erlebt. Gibt es einen Fall, der Ihnen besonders am Herzen liegt und der Sie besonders berührt hat?

Seit Jahren bin ich für die Familie Dittmayer als Provenienzforscherin tätig. Hierbei geht es um einen Dresdner Unternehmer mit einer unglaublichen Kunstsammlung (Feininger, Kirchner, Müller, Dix etc.), die er ab den 20er Jahren des 20. Jahrhundert aufgebaut hat. Da seine Frau Jüdin war, musste er mit seiner Familie, dem Unternehmen und dieser Kunstsammlung über mehrere Stationen bis nach Prag fliehen, um alles zu retten. Dort wurde Dittmayer im Herbst 1945 verhaftet und verstarb kurz darauf im Gefängnis. Seine Familie wurde gezwungen, innerhalb von 24 Stunden das Land zu verlassen. Die Kunstsammlung blieb vor Ort. Alle Bemühungen, sie später nachzuholen, blieben erfolglos. In den späten 50er Jahren tauchten einige dieser Werke im Deutschen Kunsthandel auf und hängen nun in Deutschen Museen, wie der Berliner Nationalgalerie, dem Wuppertaler Von der Heydt-Museum etc. Jegliche Restitutionsansprüche wurden bisher abgelehnt… Diese spannende und zugleich tragische Geschichte ist in einem Podcast beim Deutschlandfunk unter der Reihe „Tatort Kunst“ zu hören.

Liebe Frau Dr. Haubold, vielen herzlichen Dank für Ihre Zeit!

Das Interview führte Judith Graefe, Referentin Erkundungen

Einmal im Monat erscheint „Auf ein Wort mit…“ und stellt interessante und engagierte Personen vor, mit denen die Akademie auf unterschiedliche Weise verbunden ist. Gesprochen wird über Gott und die Welt, über Kunst und Kultur, über Aktuelles aus Gesellschaft und Kirche ….

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21. April 2024 || ein Gespräch mit Dr. Barbara Haubold, Leitung der Repräsentanz für München und Süddeutschland für das Kölner Auktionshaus VAN HAM

Dr. Barbara Haubold

Studium der Kunstgeschichte, Klassischen Archäologie und Volkskunde an den Universitäten in Regensburg, Wien und Münster. Dissertation über „Die Grabdenkmäler des Wiener Zentralfriedhofs von 1878 bis 1914“, Universität Münster.

Van Ham Kunstauktionen – Repräsentanz München/Süddeutschland

Leiterin des Expertenteams der Provenienzforschung beim Auktionshaus VAN HAM

Mitglied im Arbeitskreis Provenienzforschung

Weitere Details unter: https://www.barbara-haubold.de/person/