Königs-Gedanken zur Erscheinung des Herrn
Stellen Sie sich vor es ist 5.00 Uhr morgens. Der Tag erwacht erst aus der Nacht alles ist still, Licht erst gerade zu ahnen, allein Zeitungsboten sind schon unterwegs, Pflegende stehen langsam auf und Patienten, die nachts unruhig waren, fallen endlich in morgendlichen Schlaf.
Auch bei mir im Pfarrhaus schlafen eigentlich alle noch, nur ich stehe leise auf und gehe in meine Werkstatt. Dort bin ich allein mit mir und der Stille, die mich umgibt, und sicher auch mit meinem Gott. Von montags bis freitags beginne ich so meinen Tag – handwerkliches Tun einerseits, mindestens ebenso sehr meditatives Schaffen – ein Ritual, ein schöpferischer Prozess zwischen Nacht und Tag, sinnlicher Dialog mit dem Material, mit dem lebendigen Holz und zugleich innere, persönliche Vorbereitung auf den Tag.
Hier entstehen in einem schöpferischen Prozess Könige und Königinnen aus sehr alten Eichenbalken, die teilweise früher im Fachwerk verbaut waren. Nach Jahrhunderten des häuslichen Dienens sind die Eichenbalken irgendwann aus der Funktion befreit worden. Bei der morgendlichen Bearbeitung wird unter einer Schicht aus Staub, Farbe, Nägeln und Vergangenheit die interessante faltenreiche Haut der Eiche sichtbar. Die verschiedenen Lebensspuren gilt es zu würdigen. In der Spannung zwischen äußerer Rauheit und innerer Reinheit entstehen dann die Könige und Königinnen.
Jeder Mensch hat eine unantastbare Würde. Die Königsfiguren aus Holz veranschaulichen das. Aber wie viel Königswürde sprechen sich die Menschen selbst zu, wie viel schenken wir einander davon und wie viel davon liegt im Verborgenen? Das sind Anfragen, die sie an die Betrachtenden stellen. Genau deshalb verlassen sie meine Werkstatt und suchen sich ihren Wirkungsort in der Welt. Ich sende sie an Orte, wo Menschen in prekären Lebenssituationen sind. Diese Orte sind sehr unterschiedlich. So sind sie in Hospizen, caritativen Einrichtungen, Gefängnissen, Förderschulen, Flutgebieten … aber auch weltweit in Krisen- und Kriegsgebieten unterwegs. Derzeit sind auch zwei König*innen in der Ukraine. Überall, wo sie hinkommen, sollen sie Menschen daran erinnern, dass sie wertvoll und einzigartig sind. Gleichzeitig ermutigen sie auch, das Kostbare in den Mitmenschen zu suchen und zu erkennen.
Meine Könige und Königinnen, die aus der morgendlichen Stille erwachsen, sind schlicht. Mit ihren angelegten Armen, nehmen sie kaum Raum ein und sind doch präsent. Sehr selbstverständlich. Mit ganz eigenem Charme. Mit einer Demut, die von innen heraus fröhlich wirkt. Mit einer leisen Würde. Keiner und keine ist wie die andere. Keine unnahbaren Kunstwerke, sondern Figuren, die unmittelbar berühren – und die geradezu berührt, gefühlt werden sollen.
Die Affinität zum Königsmotiv ist bei mir schon vor vielen Jahren grundgelegt worden. Vor dem Schrein der Heiligen Drei Könige bin ich zum Diakon geweiht worden.
Auch die Heiligen Drei Könige haben sich auf den Weg hinaus in die Welt gemacht und sind einem Stern, ihrer Sehnsucht gefolgt. Im Kleinen, Ungeschützten, Wehrlosen, Machtlosen entdecken sie ihre Erfüllung und verschenken sich selber. Gott wird ganz leise, fast unscheinbar Mensch.
In unzähligen königlichen Begegnungen wird mir diese Erfahrung immer wieder neu geschenkt und das nicht nur zu Weihnachten.
Bild: Ralf Knoblauch
6. Januar 2024 || ein Beitrag von Ralf Knoblauch, Pastoralreferent und Diakon, Studium der Theologie und Ausbildung zum Tischler