Aus der Bibliothek der Zukunft: Factfulness

Wird die Welt immer besser?

Alles wird immer schlimmer – diesen Eindruck kann man leicht bekommen, wenn man die täglichen Nachrichten verfolgt. Kriege, Gewaltverbrechen, zunehmende Ungleichheit, Pandemien – die Liste der Horrormeldungen ist lang. Und sie bestimmt unsere Wahrnehmung der Welt. Dabei scheinen wir positive Entwicklungen nicht angemessen zu würdigen. Das menschliche Gehirn ist von Natur aus darauf ausgelegt, Gefahren zu identifizieren und uns zu entsprechender Vorsicht anzuhalten. Daher betont es die für uns nachteiligen oder bedrohlichen Informationen, während es die guten Nachrichten „herunterspielt“.

Davon war zumindest der 2018 verstorbene schwedische Professor für Internationale Gesundheit Hans Rosling überzeugt. Gemeinsam mit seinem Sohn Ola und seiner Schwiegertochter Anna Rosling Rönnlund gründete er im Jahr 2005 die Gapminder-Stiftung, um eine faktenbasierten Weltsicht zu fördern und gewissermaßen unsere Wahrnehmung der Realität zu korrigieren. Rosling fasste seine Mission einmal so zusammen: „Daten als Therapie, Verständnis als Quelle von innerem Frieden. Denn die Welt ist nicht so schlecht wie sie scheint.“ Dies ist auch die zentrale Botschaft von Roslings 2018 posthum erschienen Buch Factfulness, das als sein Vermächtnis zu einem Weltbestseller wurde. Es soll nicht nur Fakten über den tatsächlich sehr viel positiveren Zustand der Welt bieten, sondern Denkhilfen vorstellen, mit denen sich die Leserinnen und Leser eigenständig ein wahrheitsgemäßeres Gesamtbild von der Lage der Dinge machen können. Ein Freund hat mir Roslings Buch empfohlen und gleich den „Gapminder-Test“ mit mir gemacht – eine Liste von 13 einfachen Fragen über den Zustand der Welt.

Der Test belegt: Wir sind zu pessimistisch.
Rosling und sein Team haben diese Fragen vielen Tausenden Menschen gestellt, darunter Nobelpreisträgern und den beim Weltwirtschaftsforum in Davos versammelten Entscheidungsträgern. Das Ergebnis war immer das gleiche: Niemand konnte alle Fragen richtig beantworten, und die meisten Menschen tendierten dazu, die Lage deutlich schlechter einzuschätzen als sie tatsächlich ist. Auch meine Antworten fielen deutlich zu pessimistisch aus.

Kann man der frohen Botschaft trauen?
Das ist natürlich irgendwie tröstlich. Dennoch traue ich der Sache noch nicht so recht. Was ist mit den 690 Millionen Menschen, die weltweit an Hunger leiden und deren Zahl laut Unicef-Report bis Ende 2020 um weitere 130 Millionen ansteigen könnte? Sie haben wenig von der Tatsache, dass die absolute Armut in den letzten Jahren halbiert wurde. Und ist nicht auch denkbar, dass wir uns dank einiger positiver Nachrichten in Scheinsicherheiten flüchten könnten? Wenn etwa die CO2-Emissionen in diesem Jahr aufgrund der Corona-Pandemie um einige Prozent sinken, klingt das zunächst gut. Aber um wirklich etwas für das Klima zu erreichen, müssten wir solche Minderungen viele Jahre in Folge erreichen und nicht nur einmalig.

Kurz: Ich bin gespannt, ob es Rosling in seinem Buch gelingt, positiven Entwicklungen faktenbasiert die gebührende Aufmerksamkeit zu geben, ohne die Welt schönzureden und so den Eindruck zu vermitteln, es bedürfe keiner weiteren Anstrengungen zu ihrer Verbesserung.

Wenn auch Sie sich an Roslings Gapminder-Test versuchen möchten, finden Sie die Fragen hier.

Hans Rosling (mit Anna Rosling Rönnlund und Ola Rosling), 2018: Factfulness: Wie wir lernen, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist. Ullstein, Berlin

Bilder
Stuttgarter Stadtbibliothek am Mailänder Platz. Bild: Mark Boss auf Unsplash, gemeinfrei
Hans Rosling im Jahr 2012. Bild: David Shankbone auf Wikipedia (CC BY 3.0).

3. August 2020 || empfohlen von Dr. Matthias Lehnert, Akademiereferent