Den Tag ausklingen lassen mit Friedrich Hölderlin auf der Gartenbank
Wenn Friedrich Hölderlin meiner nachträglichen Einladung zu seinem 250. Geburtstag folgte, dann würde ich ihn in meinen kleinen Garten am Hang bitten. Auf der fragilen, in der Zeit ergrauten Holzbank vor den sechzehn Weiden, die ich einst pflanzte, böte ich ihm Platz an. Auf einem Beistelltisch stünde ein Stövchen mit einer bauchigen Porzellankanne. In zwei zierlichen Tassen würden wir ein Kluntje mit Faden geben, darauf den heißen Tee gießen. Dem Knistern des Zuckers hörten wir schweigend zu, vermutlich würde Hölderlin das Schweigen brechen, wenn ich in den Tee mit einem Löffel Sahne an den Rand der Tasse im Uhrzeigersinn gäbe. Sicherlich würde sich mein Gast über die Sahnewolke wundern, die vom Grund der Tasse aufstiege und in Ostfriesland „Wulkje“ genannt wird.
Wie würde er regieren, wenn ich ihn nach seiner Aussage fragte: Wer nicht einmal vollkommenes Kind war, der wird schwerlich ein vollkommener Mann? Wäre die Erinnerung an den Verlust des Vaters mit zwei, den des Stiefvaters mit neun Jahren zu schmerzlich? Auch die Erinnerung an die 38 Jahre im Turm in Tübingen wäre besser nicht anzusprechen. Berichten würde ich über meine Reise in Griechenland zu 24 antiken Orten, an denen ich Erde für einen Bilderzyklus sammelte, um die Odyssee von Homer in die Gegenwart zu transponieren. Erzählen würde ich von Delphi, Sparta, Altkorinth, von den Thermopylen und den Meteora-Klöstern. Berichten würde ich über meine Ausstellung der „Offenbarung des Johannes“ auf der Insel Patmos. Ich bin sicher, dass Hölderlin interessiert wäre, zumal er einen Hymnus über die Insel als Auftragsarbeit geschrieben hatte. Über Freiheit, Gleichheit und Menschlichkeit würden wir diskutieren, auf den ersten Artikel unseres Grundgesetzes könnte ich unser Gespräch lenken.
Jede Kunst erfordert ein ganzes Menschenleben hatte Hölderlin einmal gesagt. Damit hätten wir ein gemeinsames Thema. Im Gegensatz zu mir hatte er von Griechenland immer nur träumen können, ich war häufig dort. Seine Kunst hat sein ganzes Menschenleben gefordert, so wie meine Kunst das meine. Künstlerglück.
11. Juli 2021 || ein Beitrag von Uwe Appold, Dipl. Designer, Bildhauer und Maler
Uwe Appold gestaltete das Misereor-Hungertuch 2019/2020 mit Erde aus Gethesamene.
Hier finden Sie ein Porträt von Uwe Appold. Nähere Informationen zum Künstler und zu seinem Werk finden Sie auf seiner Homepage.
Den Tag ausklingen lassen mit…
Mit Jesus über Gott und die Welt reden, mit Mahatma Gandhi über zivilen Ungehorsam debattieren, mit Jean-Paul Sartre philosophieren, mit Yoko Ono und Banksy über Kunst, mit Michelle Obama über Gerechtigkeit sprechen… bei einem Glas Wein oder einem Drink.
Es gibt unzählige Menschen, denen werden wir nie begegnen, die uns jedoch sehr faszinieren und mit denen wir uns gerne einmal austauschen möchten. Welche Fragen würden wir ihnen stellen? Welche Antworten würden sie geben? Was genau fasziniert uns an ihnen?
In unserer neuen Sommer-Reihe haben wir Personen, mit denen die Akademie verbunden ist, gefragt, mit wem sie gerne einmal den Tag mit einem Sundowner ausklingen lassen möchten.
Übrigens soll der Sundowner von der britischen Marine erfunden worden sein. Mit diesem Ritual sollte ein Austausch unter der Mannschaft stattfinden. Austausch, Gemeinschaft, Begegnung… danach sehnen auch wir uns.