Ein Park der Erinnerungen – Die Geschichte des Ohlsdorfer Friedhofs
Eingangstor „Werden, Sein, Vergehen“ von Klaus Bösselmann zum anonymen Urnenhain, 1980
Quelle: Edith Dietzler-Isenberg
Der starke Bevölkerungszuwachs in Hamburg während der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts löste auch die Suche nach einem Zentralfriedhof aus. Die Stadt erwarb 1874 eine 190 Hektar große Wiesen- und Feldfläche in Ohlsdorf und beauftragte Wilhelm Cordes mit der Planung. Cordes, der sich besonders der Friedhofsarchitektur widmete, sah im Stil der englischen Landschaftsgärten eine besondere Gestaltungsmöglichkeit. „Der Friedhof soll nicht eine Stätte der Toten und der Verwesung sein. Freundlich und lieblich soll Alles dem Besucher entgegentreten“, so skizzierte er sein Konzept. Die auffallende Anordnung findet Anklang und 1900 wird der Ohlsdorfer Friedhof auf der Pariser Weltausstellung mit dem „Grand Prix“ ausgezeichnet. Damit wird er zum Vorbild für andere Städte.
Otto Armand Linne setzt mit der Verdopplung der Fläche des Friedhofs um 200 Hektar weitere Maßstäbe. Als er 1919 die Leitung des Hauptfriedhofs Ohlsdorf übernimmt, reformierte er Grabgestaltung. Sie orientierte sich an der Idee der sozialen Gleichheit und zog eine Vereinheitlichung der Grabstätten nach sich. Linne bevorzugte in seinen Planungen klare Linien und geometrische Formen. Baumreihen und Hecken trennen die Grabquartiere voneinander ab. Dennoch überwiegt bei Erkundungen des Ohlsdorfer Friedhofes der Eindruck einer Parklandschaft mit schattigen Laubbäumen, riesigen Rhododendren und malerischen Wasserflächen und Teichen.
Ergänzend dazu lassen sich außergewöhnliche Grabplastiken und anrührende Skulpturen entdecken, z. B. die von Gerhard Marcks 1961 geschaffene Plastik „Prophet und Genius“ am Haupteingang. Bei den beiden Figuren handelt es sich um einen Engel, der einen alten, blinden Mann mit seinen Flügeln schützend umfängt.
Skulptur Prophet und Genius
Quelle: Von Vitavia – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=60231516
Ein drittes markantes Gestaltungsmerkmal auf dem Ohlsdorfer Friedhof ist das Krematorium. Von 1931 bis 1933 wurde es nach den Plänen von Fritz Schumacher errichtet, der mit zahlreichen Projekten das Stadtbild von Hamburg geprägt hat. (Er war in den 20iger Jahren für drei Jahre auch in Köln tätig und entwickelte dort einen Gesamtsiedlungsplan.)
Das streng geometrische Backsteingebäude in Ohlsdorf besticht im Innenraum durch die farbintensiven Glasfenster. Fritz Schumacher sah in der Konzeption des Krematoriums eine besondere Herausforderung. An seinen Bruder schreibt er dazu: „Neben das Schmerzvolle, dem der Bau dient, muss man das Feierliche zu stellen versuchen“. Eine Erweiterung und Sanierung erfolgten 2011.
Das Forum Ohlsdorf besteht aus dem historischen Schumacher-Gebäude sowie einem neuen Teil mit der Cordes- und Linne-Halle. Ergänzend dazu gibt es dort Abschiedsräume, ein Kolumbarium und eine Krypta sowie Familienräume und Räume für Ausstellungen. Das Konzept des Forums als „Raum der Ruhe“ gibt so genügend Platz für den Abschied von dem Verstorbenen.
Der Friedhofsplan enthält neben dem Forum und den 12 Kapellen, die im Park an verschiedenen Stellen zu entdecken sind, drei inhaltliche Linien, und zwar „Sehenswürdigkeiten“, „Themengrabstätten“ und „Die Erben der Geschichte.“
Zu den „Sehenswürdigkeiten“ zählen u.a. der Rosengarten, die Denkmäler für Wilhelm Cordes und Otto Linne, der Südteich und der „Garten der Frauen“. Im „Garten der Frauen“ verweisen historische Grabsteine und neu geschaffene Erinnerungssteine auf die Geschichte der Frauen und der Frauenbewegung in Hamburg. Seit Sommer 2021 ist der „Garten der Frauen“ Teil des bundesweiten Projekts „Orte der Demokratiegeschichte“.
Der Schmetterlingsgarten und die Schmetterlingsgrabstätte sind eine von mehreren „Themengärten.“
Zu den „Erben der Geschichte“ gehört das Mahnmal für die Opfer der NS-Verfolgung gegenüber dem Krematorium. Es wurde 1949 fertig gestellt. Die Stele des Architekten Heinz Jürgen Ruscheweyh trägt 105 Urnen mit Erde und Ascheresten aus Konzentrationslagern und Hinrichtungsstätten, die in einem hohen Rahmen in 15 Reihen übereinander angeordnet sind. Eine Marmorplatte vor der Stele nennt die Namen der Konzentrationslager und Hinrichtungsstätten.
Mahnmal für die Opfer nationalsozialistischer Verfolgung
Quelle: By NordNordWest – Own work, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=17004094
Die Wegeführung ermöglicht interessante Einblicke und Zugänge in die Vielfalt der Parkanlage. So geht es zum Südteich mit dem benachbarten Rosenhain am Cordesdenkmal vorbei. Nach dem Überqueren der Cordesallee trifft die Besucherin oder der Besucher auf zahlreiche bedeutsame Persönlichkeiten: auf den Mitbegründer des Hamburger Verlags Gruner & Jahr, John Jahrs, auf Carl Tchilinghiryan, den Mitbegründer des Tchibo Konzerns oder auf Albert Ballin, der als Reeder HAPAG zur größten Schifffahrtsgesellschaft der Welt machte und um die Jahrhundertwende die Auswanderung vieler Europäer nach Amerika organisierte. Der Althamburgische Gedächtnisfriedhof beherbergt auch die Grabstätte von Oberbaudirektor Fritz Schumacher, der als Stadtplaner und Architekt zahlreiche öffentliche Gebäude in der Hansestadt geprägt hat. Auch Ida Ehre, der Leiterin der Hamburger Kammerspiele, ist dort bestattet. Sie sorgte im November 1947 für die Uraufführung des Stückes „Draußen vor der Tür“ von Wolfgang Borchert und hat das Theater weit über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt gemacht. Die Malerin Anita Rée oder der Begründer der Hamburger Kunsthalle Alfred Lichtwark fanden hier ihre letzte Ruhestätte.
Bemerkenswert ist auch die „Dichterecke“ mit der Grabstätte von Richard Ohnesorg, Gründer des gleichnamigen Theaters oder mit dem Grab von Wolfgang Borchert. Durch seine Kurzgeschichten und Essays gilt er als bedeutender Autor der Kriegs- und Nachkriegsliteratur. Der Literaturkritiker Hellmuth Karasek, der Autor und Kolumnist Harry Rowohlt sowie der Publizist und Literaturwissenschaftler Roger Willemsen sind ebenfalls hier beerdigt.
Grabstätte von Wolfgang Borchert
Quelle: Edith Dietzler-Isenberg
Als schönster Weg gilt der Bereich um den Nordteich mit dem „Stillen Weg“. Dieser Fußweg hat eine Länge von circa einem Kilometer. Gesäumt von Blumenwiesen und Teichen lassen sich waldartig angelegte Gräber entdecken. Auch der Bestand an Großbäumen (Rotbuchen und Stieleichen) ist bemerkenswert.
Ein beliebter Ort ist das Areal um den Prökelmoor-Teich. (Der Begriff „prökeln“ ist abgeleitet aus dem Niederdeutschen und deutet auf das ehemaligen Torfstechen in dieser Gegend hin.) Das Gelände wurde 1928 von Otto Linne als letzter Teil in den Friedhof einbezogen. Unweit des Teiches liegt der Ohlsdorfer Ruhewald.
Das Grab von Hannelore Loki und Helmut Schmidt liegt in Nähe der Kapelle 10 im östlichen Teil des Friedhofs und wird oft besucht. Ein kleiner Fußweg führt zum schlichten Grab der beiden Ehrenbürger der Hansestadt und ist durch einen Wegweiser markiert.
Die sehenswerten Besonderheiten und Grabstätten lassen sich gut mit einem Übersichtsplan selbständig erkunden. Führungen, teilweise auch mit dem Fahrrad, geben einen nachhaltigen Einblick in diese großzügig angelegte Parklandschaft. Besonders eindrucksvoll zeigt sich der Friedhof in der Zeit der Rhododendrenblüte. Doch ein Besuch lohnt zu jeder Jahreszeit, da die zahlreichen Grabplastiken, die berührenden Skulpturen und die Vielfalt der Bäume dem Friedhof eine besondere Stimmung verleihen. Der Ohlsdorfer Friedhof ist ein über die Stadtgrenzen hinaus geschätztes Kulturdenkmal.
Weiterführende Links:
Empfohlene Literatur:
Schoenfeld/Fischer/Leisner/Rehkopf: Der Ohlsdorfer Friedhof, Bremen 2020
2. März 2023 || ein Beitrag von Edith Dietzler-Isenberg, Konrektorin i. R. an einer Grundschule