Buchempfehlung von Dr. Detlev Arens
Der Weg ins Freie
Arthur Schnitzler
1908 erschienen S. Fischer in Berlin
„Es war nicht möglich […] für einen Juden […] davon abzusehen, dass er Jude war, da die andern es nicht taten. Man hatte die Wahl, für unempfindlich, zudringlich, frech oder für empfindlich, schüchtern, verfolgungswahnsinnig zu gelten.“
Arthur Schnitzler, Jugend in Wien
Fast Fünfzig Jahre sind es her, dass sich der wienaffine Student D. A. in das Werk Arthur Schnitzlers zu vertiefen begann, vor allem in den Roman „Der Weg ins Freie“.
Zunächst faszinierte mich Schnitzlers Entwurf des gesellschaftlichen Panoramas. Erzählerisch gewinnt es Konturen im Gegenüber der zwei Hauptpersonen, hier eines jüdischen Außenseiters, dort eines Lieblings der Schönen Welt. Der Dichter Heinrich Bermann ist ein notorisch Zerrissener, der Komponisten-Dilettant Georg von Wergenthin „ein schöner, schlanker, blonder junger Mann; Freiherr, Germane, Christ“. So jedenfalls erscheint er im Zerrspiegel seines (jüdischen) Rivalen und sozialdemokratischen Reichsratsabgeordneten – Schnitzlers analytische Schärfe schont keine seiner Figuren.
Vordergründig erzählt „Der Weg ins Freie“ allerdings die Geschichte des Barons, dessen Geliebte Anna Rosner eine von Schnitzlers eindrucksvollen Frauengestalten ist. Anna wird schwanger, das Kind stirbt bei der Geburt (übrigens ein autobiographisches Detail), und dieser Tod gibt dem Vater Gelegenheit, sein Leben wie gehabt fortzusetzen.
Wergenthins Indolenz macht ihn auch zum Spiegel der jüdischen Gegenwelt: „Georg lächelte liebenswürdig. In Wirklichkeit aber war er eher enerviert. Seiner Empfindung nach bestand durchaus keine Notwendigkeit, dass auch der alte Doktor Stauber ihm offizielle Mitteilung von seiner Zugehörigkeit zum Judentum machte. […] Warum fingen sie denn immer selbst davon zu reden an?“
Er stellt sich die Frage nach dem Warum nur rhetorisch, sieht aber „durchaus keine Notwendigkeit“ sie zu beantworten. Der Roman selbst rückt die Frage nach diesem „Warum“ ins Zentrum. Nahezu alle jüdischen Figuren des Romans sind Gezeichnete. Schnitzler vermittelt eine genaue Vorstellung davon, wie zerstörerisch der Antisemitismus wirkt. – „Der Weg ins Freie“ kann auch einen Leser von heute aus seiner Gedankenlosigkeit reißen.
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16. Oktober 2021 || eine Buchempfehlung von Dr. Detlev Arens, Autor zahlreicher Bildbände und mehrerer DuMont-Kunstreiseführer