Auf ein Wort mit… Liane Dirks, Schriftstellerin und Dozentin

Sie sind von der Kraft des Erzählens und der Macht des Wortes überzeugt, was genau bedeutet das?
Welche Macht Worte haben, erleben wir zur Zeit allerorten und leider zumeist als Negativbeispiel. Da müssen wir nur über den Atlantik in die USA schauen. Hier zeigt sich, wie Worte Aggressivität und Hass schüren und eine ganze Gesellschaft spalten können. Mit Worten kann man die Wirklichkeit leugnen, Wahrheiten verzerren und eine Stimmung größter Unsicherheit erzeugen, was wiederum dazu dient, die Sehnsucht nach klaren Worten so sehr zu steigern, dass die Menschen gefügig werden, gehorsam, den Worten ihrer Anführer folgen.
Klare Worte, eine klare Ansage! Wie groß ist die Sehnsucht danach, auch bei uns und gerade jetzt, in einer Lage, die uns die Unberechenbarkeit des Lebens einmal wieder intensiv spüren lässt.

Aber was sind klare Worte?
Darauf gibt es nur eine Antwort: Es sind jene, die aus dem Geist der Liebe und der Verbundenheit kommen; Worte, die aus dem Atemraum dessen gesprochen werden, was Papst Franziskus die Geschwisterlichkeit nennt. Und interessanterweise sind es Worte, die nicht behaupten, sondern erzählen und uns so die Möglichkeit geben, ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen und sie mit unserer eigenen Erfahrung abzugleichen.

Und hier sind wir bei der Kraft des Erzählens angelangt: Es ist seit eh und je die Form, in der die Menschheit ihren Erfahrungsschatz weitergibt, sich Trost spendet und über die Generationen hinweg in Verbindung bleibt. Wenn wir sterben nehmen wir keine Formeln mit hinüber, wir nehmen unsere Geschichten mit. Brauchen wir Beistand im Leben, fragen wir nach den Geschichten, den Erfahrungen der anderen. Der Mensch ist ein narratives Wesen, wir brauchen Geschichten, um uns zu verstehen. Die Fokussierung allein auf die Wissenschaft und ihre kurzwelligen Ergebnisse ist ein Irrglaube. Wissenschaft ist ein kostbares Mittel der Erkenntnis, sie entspricht unserem Forscherdrang, aber sie erfasst nicht die Essenz des Menschseins, dazu braucht es mehr.

Geschichten können die Welt verändern, wie müsste die Geschichte heißen, die die Welt in ihrer aktuellen Krise zum Positiven ändert? Wie würde die Geschichte anfangen?
Wir müssen uns wieder von der Schönheit, von der Größe und Zartheit, von der Verletzbarkeit der Welt erzählen, vom Zauber der Vergänglichkeit und von der Kostbarkeit des Hierseins. Um so endlich wieder einem poetischen Lebensgefühl Ausdruck zu geben, das jene Räume einbezieht, die wir zwar erfahren, aber nicht erfassen können, die mehr sind als wir selbst. Weg vom Fokus auf Angst und Schrecken. In allem, was wir erleben, gibt es ein großes Aufgehobensein.

Wenn ich jetzt eine Erzählung schreiben würde, so wäre wohl das Bild eines Menschen am Anfang, der zum Himmel schaut.

Zum Beispiel so:
Es war ihm erst später aufgefallen, wie lange er sich das nicht mehr gegönnt hatte, morgens am Fenster stehen und in den Himmel schauen. Wie frisch dieses Blau war und wie herrlich diese Wolkenbilder. Als Kind hatte er immer versucht herauszufinden, welchem Tier die Wolken ähnlich sehen. Oft waren es Drachen, die verwandelten sich in Vögel oder doch eher in eine Maus? Und wenn Gott da oben wohnte, konnte man dann nicht irgendwann mal seine Füße von unten sehen?…

Na? Wer hat Lust, weiterzuschreiben?

Da schließt sich gleich die nächste Frage an: Mitte Oktober findet ein weiterer Workshop mit Ihnen in der Thomas-Morus-Akademie zum Thema Schreiben als Mittel zur Selbstentfaltung statt. Was geben Sie den Teilnehmenden mit auf dem Weg? Wie kann die Sehnsucht und die Suche nach authentischem Selbstausdruck gestaltet werden?
Als erstes ist es wichtig mit einer Art liebendem Blick zu versuchen, den Zustand des Jetzt zu akzeptieren, ein wohlwollendes „es ist, wie es ist“. Sich dann auf die eigenen Kräfte und Ressourcen zu besinnen und beim Schreiben, den Einfällen zu trauen und nicht gleich alles zu kritisieren. „Erster Gedanke, bester Gedanke“, das ist zunächst mal der Leitsatz beim Schreiben, wie ich es lehre. Es geht darum, die Gestaltungskräfte zu aktivieren, zusammen mit der Fähigkeit der Empathie unser kostbarstes Gut, und dabei die Freude zuzulassen, Freude an der Schönheit, Freude an der Schöpfung.

Liebe Frau Dirks, herzlichen Dank für das Gespräch.

Titelbild: unsplash.com, gemeinfrei
Bild Liane Dirks: Bettina Fürst-Fastré

11. Oktober 2020 || ein Gespräch mit der Schriftstellerin und Dozentin Liane Dirks

Seit vielen Jahren gibt Liane Dirks in der Akademie Workshops im biografischen Schreiben. Sie hat bisher 26 Bücher veröffentlicht, zahlreiche Auszeichnungen erhalten und einen eigenen zertifizierten Ausbildungsgang, Life Script®, in kreativer, heilender Biografiearbeit entwickelt.

Von Liane Dirks erschien zuletzt das Buch „Sich ins Leben schreiben – Der Weg der Selbstentfaltung“, Kösel Verlag.
www.liane-dirks.de

Ein weiteres Biografie-Seminar mit Liane Dirks ist vom 9. bis 11. Juli 2021 (Fr.-So.) in Bensberg geplant.