Epiphantasma – Eine poetische Schau zur Feier der Erscheinung

„Die Religionswissenschaftlerin staunt, die Feministin runzelt leicht die Stirn“, schrieb mir eine gute Freundin auf meinen vorletzten Beitrag in der „Akademie in den Häusern“ („Heilige Nacht“ vom 24. Dezember) hin: So viele Texte, die sich mit dem Zustand gebärender Frauen namentlich Maria befassten, männliche Texte! Zweifel am eigenen Tun waren mir schon beim Zusammenstellen der literarischen Lese gekommen, aber dann war ich doch hingegangen und hatte das alles im immerwährenden Geltungsanspruch einer textformalen liegenden Acht dargebracht. „Ja, das sei mir auch aufgefallen“, sagte ich meiner Freundin, es gäbe aber kaum Texte von Frauen zur Weihnacht und allemal nicht unter den Autorinnen der Vergangenheit, schon weil es diese Autorinnen ja gar nicht gegeben habe, mit einer Ausnahme, aber die hätte ich ja drin, wenn auch, mit Verweis auf meine Textintention, nur paraphrasierend verändert, Margaretha Ebner, und überhaupt müsse ich ja mit dem Material umgehen, dass vorhanden sei usw., nota bene und pp.

Dem um feministische Imprimatur ringenden Autor fiel an dieser Stelle des Gesprächs fatalerweise auch noch ein, zu verdeutlichen, dass dies in der Neuen Literatur deutlich anders sei, da gäbe es, ganz klar und licht und deutlich, Else Lasker-Schüler, Rose Ausländer, Elisabeth Langgässer, Marie Luise Kaschnitz, Sarah Kirsch, Christine Busta, Christa Reinig, Mascha Kaleko, Dorothee Sölle … „Aber warum hast Du keine von den modernen Lyrikerinnen in Deinen Text aufgenommen?“ Puuh!??

Da fiel es mir wie die Sternin von den Augen: „Weißt Du“, sagte ich, „ich glaube, in den weiblichen Texten zur Weihnacht geht es weniger bis gar nicht um Maria. Die befassen sich, wenn‘s ums Nebenpersonal geht, mit den Hirten und den Heiligen Dreikönigen, vor allem mit den Königen, mit Männern!“ (Einschub: Für Josef interessiert sich außer den niederländischen Barockmalern (Männer) und Heinrich Maria (sic!) Rilke (Mann) – der lyrische Schmecklecker machte das aber innerhalb eines Marienzyklus‘ – keiner. Doch halt, die Kaschnitz!) „Ich will das nachprüfen“, versprach ich der Freundin, und heute ist Gelegenheit dazu!

Einen weiblichen Text der Vergangenheit hatte ich, wie gesagt, zum Thema Heilige Nacht ja verarbeitet, die „Offenbarungen“ der Dominikanerin Margaretha Ebner von 1344. Er – also der Text…

… sie, Margaretha Ebner, sei hier umfassender und nun auch original als Ich-Erzählerin zitiert:

An sant Stephans tag gab mir min herre (gemeint ist wohl Margarethas Beichtvater Heinrich von Nördlingen, M.E.) ain minneklich gaube minen begirden, daz mir wart gesendet von Wiene ain minneklichez bilde, daz was ain Jhesus in ainer wiegen und dem dienten vier guldin engel. und von dem kinde wart mir aines nahtez geben, daz ich ez sach in der wiegen spilen mit fröden und fuor vast mit im selber. do sprach ich zuo ime: ‚war umb bist du nit zühtig und last mich nit schlaffen? nu han ich dich doch wol gelet‘. do sprach daz kint: ‚ich will dich nit lan schlaffen, do muost mich zuo dir nehmen‘. azo nam ich ez mit begirden und mit fröden zu der wiegen und stalte ez uf min schosse. do was ez ain liplich kint, do sprach ich: ‚küsse mich, so will ich lazzen varn, daz du mich geunruowet hast‘. do fiel ez umb mich mit sinen armen und hils mich und küsset mich. dennocht het ich ain begirde von im der hailigen besnidunge, daz wart mir nit von ime. von der gesiht enphieng ich grozze genade und süesseket.

Wie nicht anders zu erwarten, konnte dieser Text aber nur aufgrund männlicher Gnaden niedergeschrieben werden. Margaretha Ebner reiht sich zwar in eine große Zahl mittelalterlicher Mystikerinnen ein, deren erste im 12. Jahrhundert (Hildegard von Bingen oder Elisabeth von Schönau) auftraten, deren im scholastisch-maskulinen 13. Jahrhundert im flämisch-niederdeutschen Raum weit verbreitetes Sehen und Wirken (Lutgard von Tongern, Ida von Nivelles, Beatrijs von Nazareth, Christine von St. Trond, Juliana von Lüttich, Christina von Retters und viele mehr) aber eher als bloß privatim vorgenommene Religiositäten angesehen, und welches dann im 14. Jahrhundert von der Deutschen Mystik Meister Eckharts, Heinrich Seuses oder Johannes Taulers gewissermaßen okkupiert und mit einem als dringlich erachteten homilektischen Überbau versehen wurde. Weiblicher Mystik im Hochmittelalter schlug wohl immer der Anruch der Häresie entgegen und deshalb musste sie wie im Fall der Elisabeth von Schönau erst durch männliche Autorität (hier war es deren leibliches Geschwister und geistlicher Beistand Bruder Eberhard) legitimiert werden. Die Überbau-Mystik des 14. Jahrhunderts war qua Instrumentalisierung einer genuin weiblichen Praxis der geistig wie physisch durchlebten Gottesschau und deren im 13. Jahrhundert erfolgten maskulinen Transformation durch Franziskaner wie Antonius von Padua oder durch den prämonstratensisch-leutseligen Hermann Joseph von Steinfeld nun derart erfolgreich in Gestalt von sich wie Gebrauchsanweisungen lesenden, vor allem dominikanischen Texten verbreitet worden, dass Margarete Ebner wohl „nur“ als Eine unter Vielen angesehen werden muss, die eine ihrerzeit in alle Bevölkerungsschichten reichende Frömmigkeit praktizierte. Auch Margaretha Ebner konnte ihre Visionen erst mit Plazet („Ermunterung“ hieß das ehedem) ihres Beichtvaters Heinrich von Nördlingen veröffentlichen. Mit autonomer literarischer weiblicher Textproduktion hatte das wenig zu tun.

Was nun die modernen Weihnachtstexte und meine durch das kritische Gespräch mit ‚der‘ Freundin ermunterte, erneute Recherche angeht, so kneife ich vorsorglich und werde mich nicht auf das verminnte Feld der Ernte weiblicher Lyrik durch einen männlichen Interpretanten begeben. Ich überlasse also drei meiner Lieblingsweihnachtsgedichte – erkoren sicher, deutlich und bestimmt ohne gendergeleitetem Interesse – den Epiphantasma in Ohren und Geister ihrer Leser*innen:

6. Januar 2021 ||ein Beitrag des Kunsthistorikers und Germanisten Markus Juraschek-Eckstein

Dezembernacht

Feldhüter haben in einem Geräteschuppen
(Steckrübenacker, Pflaumenbäume, Flußwind)
Eine Geburt aufgespürt, hier unzulässig.
Flüchtlinge gehören ins Lager und registriert.
Der Schafhirt kam dazu, ein junger Mann
Der ging mit einem Stecken übers Mondfeld.
Sein Hund mit Namen Wasser sprang an der Hütte hoch
Ein Alter drinnen gab Auskunft, er sei nicht der Vater.
Die Feldhüter verlangten Papiere. Das Neugeborene schrie.
Die Schafe versperrten die Straße. Drei Automobile
Ein Mercedes, ein Bentley, eine Isetta hielten an,
Drei Herren stiegen aus, drei Frauen schöner als Engel
Fragten, wo sind wir, spielten mit den Lämmern.
Spenden sie etwas, sagten die Feldhüter. Da gaben sie ihnen
Ein Parfüm von Dior, einen Pelz,
Einen Scheck auf die Bank von England
Sie blieben stehen und sahen zu den Sternen auf
Glänzte nicht einer besonders? Ein Rauhreif fiel
Die kleine Stimme schluchzte noch und schwieg.
Ein Mercedes, ein Bentley, eine Isetta rührten sich
Und summten wie Libellen. Der Hirte schrie
Fort mit euch Schafen, fort mit euch Lämmern.
Ist das Kind gestorben? Das Kind stirbt nie.

Marie Luise Kaschnitz

In dieser Nacht

In dieser nacht
verließen die sterne ihre angestammten plätze
und zündeten lärmfeuer an
überschallschnell

In dieser nacht
verließen die hirten ihre arbeitsstellen
und schrien sich in die verkrusteten ohren
die neuen parolen

In dieser nacht
verließen die füchse die wärmenden höhlen
und der löwe wiegte den kopf
„das ist das ende
der revolution“

In dieser nacht
liefen die rosen der erde davon
und fingen das blühen an
im schnee

Dorothee Sölle

New Yorker Weihnachten

In erträumten Türmen
läuten Glocken Mirakel

Läden fiebern
aus Drehtüren rollen Lieder
in den Tumult

 Tannen lächeln
elektrische Liebe

Taube weihnachtsweiß
deine Botschaft
in welchem Reich
freundlich aufgenommen
auf welcher Tanne wächst
dein Gefieder

Die verschollenen Könige
kommen heute nach New York
mit magischen Geschenken
Sie pilgern nach Harlem
zu den Spirituals
verbrüdern sich im Hafen
mit der Mannschaft gescheiterter Schiffe
verloben sich in einer Bar
mit Branntweinbräuten

In imaginären Türmen
läuten Glocken Mirakel

Rose Ausländer

Titelbild: Die heiligen drei Königinnen, https://elisabethmauracher.at/de/lens_portfolio/die-heiligen-drei-koeniginnen/
Bild Rose Ausländer: Von Aus Nachlaß Max Scherzer – http://www.dradio.de/dlf/sendungen/langenacht_alt/990115.html, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=8642136
Winternacht: Unsplash, gemeinfrei