Exil am Meer: Literarische Spuren in Südfrankreich
Sanary-sur-Mer 1933-1941
Exil am Mittelmeer
Das ehemalige Fischerdorf zwischen Marseille und Toulon wurde zu Beginn der Naziherrschaft in Deutschland, so jedenfalls Ludwig Marcuse, zur „Hauptstadt der deutschen Literatur“. Eine Gedenktafel in diesem kleinen Badeort verzeichnet viele Namen berühmter Schriftsteller, darunter den von Lion Feuchtwanger, René Schickele, Alfred Kantorowicz, von Franz Werfel, Bruno Frank und der Familie Mann.
Thomas Mann verbrachte den Sommer 1933 recht behaglich in der etwas oberhalb des Ortes gelegenen Villa „La Tranquille“. Fast noch ungläubig hatte er kurz zuvor die Exilsituation in seinem Tagebuch beschrieben: „Man wäre, kehrte man zurück, ein Fremder, der sich nicht zu benehmen wüßte. Wunderliches Erlebnis, daß einem, während man gerade draußen ist, sein Land irgendwohin davonläuft, sodaß man es nicht wiedergewinnen kann.“ Die Manns verließen Frankreich bald und gelangten schließlich ins rettende Exil nach Amerika.
Einer, der die rechtzeitige Abreise fast versäumt hätte, war Lion Feuchtwanger. Er lebte von 1933 bis 1940 in Sanary, schrieb dort unter anderem seinen Exil-Roman „Geschwister Oppermann“ und erlebte auch die entwürdigende Internierung unerwünschter Ausländer im Lager „Les Milles“ in der Nähe von Aix-en-Provence. Seine Villa in Sanary sah berühmte Gäste wie Arnold Zweig und Bertold Brecht.
Viel später, als das Gefühl der vorübergehenden Sommerfrische längst der düsteren Bedrückung des Exils gewichen war, kamen die Werfels. Franz Werfel und seine Frau Alma bewohnten von 1938 bis 1940 die sogenannte Graue Mühle, die sich ein Pariser Maler seinerzeit hatte herrichten lassen und die heute noch existiert. Vielleicht entstand hier das Gedicht aus dem Zyklus „1938“, in dem er seine Verse mit „Flaschenposten“ vergleicht, im „Schiffbruch, der mich täglich trifft“. Viele Schriftsteller und Literaten strandeten in jenen Jahren an der Küste Südfrankreichs und versuchten von Marseille aus die rettende Küste Amerikas zu erreichen. Manche machten kurz – oder auch für einige Jahre – Station in Sanary-sur-Mer.
Ein einziger dieser deutschen Autoren sollte von dort nie mehr aufbrechen: Franz Hessel. Er starb im Januar 1941 in Sanary, wenige Monate nach dem Freitod Walter Benjamins. Mit seinem Freund Benjamin hatte er seinerzeit Marcel Proust übersetzt. Im Lager „Les Milles“ hatte Hessel einen Schlaganfall erlitten, von dem er sich nicht mehr erholte. Sein Grab auf dem kommunalen Friedhof wurde schon wenige Jahre nach seinem Tod eingeebnet. Sein ältester Sohn, der Diplomat Stéphane Hessel, ist als alter Mann mit einem kleinen Büchlein unter dem Titel „Empört Euch“ vor einigen Jahren sehr bekannt geworden.
Der Vater blieb weitgehend vergessen. Franz Hessel, als Sohn eines Bankiers 1880 in Stettin geboren und in Berlin aufgewachsen, lebte vor dem Ersten Weltkrieg entscheidende Jahre in Paris. Er gehörte einst zur Schwabinger Bohème und erlebte die Goldenen Zwanziger als Verlagslektor in Berlin. Aber Paris war seine zweite Heimat. Aus Berlin an die Seine flüchtete er 1938 mit Hilfe seiner couragierten Frau Helen, die er zweimal heiratete, von der er zweimal geschieden wurde und mit der er doch bis zu seinem Tod in Sanary zusammenlebte.
Hören Sie hier eine kurze Erzählung von Franz Hessel, die Dr. Peters in ihrem improvisierten „home-studio“ für Sie eingelesen hat. Die Geschichte handelt vom Exil und spielt in Paris.
Quelle: „Hier tanzt man noch“, aus: Franz Hessel: Sämtliche Werke. Band V. Verstreute Prosa, Kritiken, Oldenburg 1999, S. 108ff.
Nach Paris, in die „Leuchtende Hauptstadt der Welt“, soll eine andere literarische Reise der Akademie führen. Vielleicht können wir sie tatsächlich im kommenden Herbst gemeinsam unternehmen. Es würde mich freuen.
Ihre Elisabeth Peters
Bilder: Wikimedia, gemeinfrei
21. April 2020 || Beitrag von Dr. Elisabeth Peters, Kunsthistorikerin
Sie leitet auch die geplante Ferienakademie
Paris – „Leuchtende Hauptstadt der Welt“
Literarische Spuren in der Stadt an der Seine
vom 24. bis 28. Oktober 2020