Kölner Miszellen zum Fest Mariä Empfängnis
Das am 8. Dezember von der Kirche begangene Fest der Unbefleckten Empfängnis wird von Vielen mit dem Thema der Jungfräulichkeit Mariens gleichgesetzt. Das ist so nicht korrekt. „Unbefleckte Empfängnis“ (Immaculata Conceptio) meint, dass Maria vom ersten Moment ihres irdischen Daseins im Leib ihrer Mutter Anna, also mit dem Moment ihrer Zeugung „von jeglichem Makel der Urschuld unversehrt bewahrt wurde“ (Heinrich Denzinger). Maria sei die erste und einzige Frau seit Eva, die frei von der Erbschuld empfangen wurde. Anders als makellos war die Mutter Gottes nicht denkbar. „Die Mutter des Messias als Tempel Gottes“ (Lexikon für Theologie und Kirche) musste selber geheiligt und von aller Sünde frei sein, damit auch ER in ihrem Leib mit keinem Makel in Berührung käme.
Die Hoheit der Auszeichnung Mariens als der Makellosen ist der Grund, warum das Fest der Immaculata Conceptio zu den drei marianischen Hochfesten zählt. Sie ist aber auch Ursache, warum seit der ersten bekannten Formulierung einer erbsündlichen Reinheit Mariens durch Irenäus von Lyon (um 135 bis um 200 n.Chr.) bis zur Verkündung des Dogmas der Unbefleckten Empfängnis am 8. Dezember 1854 durch Papst Pius IX. rund 1.600 Jahre vergingen. Denn bedeutete die Gleichsetzung Mariens mit der Person Jesu Christi in der Frage der Erbschuld nicht eine derartige Angleichung Mariens an den Sohn Gottes, dass sie auch an dessen Göttlichkeit teilhaben und letztlich der trinitarisch-patriarchale Monotheismus in Frage gestellt würde? Maria, eine (Halb-)Göttin zur Rechten des Vaters? Solche Fragen wurden tatsächlich in der mittelalterlichen Hochscholastik oder zu Zeiten der niederländischen Reformation heftig diskutiert.
Köln, Dom, Südquerhaus, Gemälde der hl. Anna (Geschenk von Kardinal Meisner)
© Hohe Domkirche Köln, Dombauhütte; Foto: Matz und Schenk
Am 8. Dezember 2004 erneuerte der damalige Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner die Weihe des Erzbistums Köln auf Maria, „mit besonderem Gedenken am Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Gottesmutter und Jungfrau“. Dem Kölner Dom schenkte Meisner aus diesem Anlass ein Ende des 15. Jahrhunderts entstandenes, südniederländisches Gemälde mit der Darstellung der heiligen Anna. Die Wiedergabe der Gottesmutter-Mutter mit dem vor ihrem Leib schwebenden gloriosen Brustbild einer fötalen Maria unterstreicht einmal mehr, warum sich die Kirche lange Zeit mit der Lehre von der Unbefleckten Empfängnis schwer tat.
Maria Orans, Marmor, 12. Jh., S. Maria Mater Domini, Venedig, gemeinfrei
Ganz ähnlich diesem Bildnis wurde in der traditionellen Ikonenkunst des Ostens und des Westens auch die Gottesmutter gelegentlich mit der sogenannten imago clipeata, das ist ein Brustbild des anthropomorphen göttlichen Logos im Rundschild, wiedergegeben. Der These von der Immaculata vergleichbare Vorbehalte gab es auch in Bezug auf das Fest Maria Königin bzw. gegenüber der Vorstellung von einer Himmelskrönung Mariens: Darstellungen der Marienkrönung, wie wir sie in großer Zahl vor allem aus dem 14. Jahrhundert kennen, zeigen die von Christus gekrönte Muttergestalt komplementär zum Apostolischen Glaubensbekenntnis als „zur Rechten Gottes“ sitzend.
Minoritenkirche Köln, Westfenster, gemeinfrei
Es war ein Wahlkölner, der rund 550 Jahre vor der Verkündung des Dogmas der Unbefleckten Empfängnis das entscheidende Argument hierzu lieferte. Der um 1266 in Schottland geborene Johannes Duns Scotus war 1307 an den Rhein als Leiter des Studium Generale der Kölner Franziskaner berufen worden. Zuvor hatte er in Oxford, Cambridge und an der bedeutendsten theologischen Fakultät seiner Zeit, in Paris, gelehrt. Am 8. November 1308, wenige Monate nach seiner Ankunft, starb Duns Scotus und wurde in Köln in der heute auf Mariä Empfängnis benannten Franziskanerkirche („Minoritenkirche“) beigesetzt.
Sarkophag Johannes Duns Scotus, gemeinfrei
Die Lehre von der erbschuldfreien Existenz Mariens hatte Duns Scotus in einem Dreisatz vorgestellt: 1) Da in die heilbringende Erlösung ihres geborenen Sohnes durch Mutterschaft einbezogen, habe es Maria geziemt („decuit“), frei von der Erbschuld empfangen worden zu sein. 2) Gott war es möglich („potuit“), sie so zu schaffen. 3) Also hat er es auch getan („fecit“). Dieser Dreisatz wurde 1854 als Kernaussage in die Begründung des Dogmas übernommen.
Johannes Duns Scotus erblickt die Apokalyptische Frau als Immaculata, Minoritenkirche Köln, Westfenster, gemeinfrei
Formallogisch ist dieser Syllogismus allerdings nicht zu halten. Die philosophische Logik spricht in solch einem Fall von einer Metábasis eis állo génos (μετάβασις εἰς ἄλλο γένος: Hinübergehen in eine andere Gattung – genauer müsste es Metábasis eis állēn égklisin: Übergang in einen anderen Modus heißen): Ich kann nicht von der Möglichkeit („potuit“) auf die Wirklichkeit („ergo fecit“) schließen. Aber wie im Fall der Lehre von der Dreifaltigkeit ist der formallogische Verstand dem Tertium datur der religiösen Vernunft ja keine Messlatte.
Mariensäule Köln, © Raimond Spekking, CC BY-SA 3.0
Infolge der Dogmenverkündung kam es – mit deutlichem Schwerpunkt in den katholisch dominierten, aber protestantisch-preußisch regierten Rheinlanden – zur Errichtung einer Vielzahl darauf bezogener Denkmäler. Eines der bedeutendsten dieser Denkmäler steht in Köln. Die Architektur der 1858 eingeweihten Mariensäule stammt vom meistbeschäftigten rheinischen Neugotiker Vincenz Statz; die ursprünglich mittels einer Strahlenmandorla mit der Apokalyptischen Frau der Geheimen Offenbarung identifizierte Marienfigur vom Nazarener Eduard Steinle (Entwurf) sowie vom Schwanthaler-Schüler Gottfried Renn aus Speyer (Ausführung). Ursprünglich stand die Kölner Mariensäule mitten auf der Gereonstraße vor dem Erzbischöflichen Palais, einem vormaligen barocken Stadtpalais des Kölner Bürgermeisters Johann Balthasar Josef von Mülheim (Kölner Priesterseminar und Erzbischöfliches Palais der 1950er Jahren befinden sich an dessen Stelle). 1901 wurde das Standbild im Zuge von Verbreiterungsmaßnahmen der Gereonstraße an seinen heutigen Ort, östlich von St. Gereon in einen eigens geschaffenen Kleinpark am Gereonsdriesch versetzt.
Einweihung der Mariensäule in Köln 1858, gemeinfrei
Im Zusammenhang der Errichtung der Kölner Mariensäule war es auf hoher regionaler Ebene zu Auseinandersetzungen gekommen. Schon im Vorfeld einer 1855 veranstalteten Pfingstprozession zum Angedenken an die Verkündung des Dogmas konnte Erzbischof Johannes Kardinal von Geissel nach Rom melden, dass sich in Köln ein Verein zur Errichtung eines Maria-Immaculata-Standbildes gegründet habe. Einem entsprechenden Aufruf dazu hatte die „Kölnische Zeitung“, Vorläuferin des „Kölner Stadt-Anzeigers“, in ihrer Ausgabe vom 1. Mai 1855 die Information beigefügt, dass auch schon „ein Entwurf aus Künstlerhand“ – damit war wohl die Hand Vincenz Statz‘ gemeint – für das Standbild vorläge und der Entwurf bereits am Folgetag im Kölner Gewerbeverein vorgestellt werden würde. Als Unterstützer des Vorhabens trat unter anderen der Kunstmaler Peter Ludwig Friedrich Baudri, der jüngere Bruder des Kölner Weihbischofs, Generalvikars, Ultramontanen und Mitbegründers des Vereins für Christliche Kunst Johann Anton Friedrich Baudri auf, welch letzterer drei Jahre später die Weihe der Mariensäule dann vornehmen konnte.
Gewissermaßen antipodisch zu dieser katholischen kunstreligiösen Allianz zugunsten einer Mariensäule hatte ebenfalls im Frühjahr 1855 der Kölner Polizeidirektor Geiger, also ein Vertreter der bürgerlich-politischen Ordnung, „eine gewisse Erwärmung der Gemüter“ feststellen können, welche „die schon öfter angesprochene Absicht der Gründung eines Hospitals für arme unheilbare Kranke, die im städtischen Bürgerhospital abgewiesen wurden, Wirklichkeit werden lassen sollte.“ Demnach sollte statt eines bloß symbolwerten Mariendenkmals ein allen Bürgern, egal welcher Konfession, offenstehendes Krankenhaus zu Ehren der von Maria personifizierten Menschenliebe erbaut werden. Treibende Kraft dieser Köln, mittlerweile Stadt der „gemischten Confessionen, welche sich gegenseitig Rücksichten schulden“, besser anstehenden Alternative zur öffentlich bekennenden Dogmendankbarkeit war der Kölner Landtagsabgeordnete und Pfarrer von St. Jakob, Eugen Theodor Johann Thissen.
Köln, Mariensäule_Standort Gereonstraße, © Eduard Trier, Köln
Anlässlich einer zur Abstimmung der Frage „Mariensäule oder Krankenhaus?“ einberufenen Bürgerversammlung prallten die Argumente aufeinander. Den Befürwortern der Mariensäule war es wohl vornehmlich um ein papsttreues Symbol einer nach den Kölner Wirren von 1837 (der Kölner Erzbischof Clemens August von Droste zu Vischering war wegen seiner ultramontanen Haltung in der Frage sogenannter Mischehen verhaftet worden) bereits in sehr gespanntem Verhältnis zur preußischen Obrigkeit stehenden katholischen Öffentlichkeit im Rheinland gegangen, während die Befürworter eines zweiten, auf Maria geweihten Bürgerhospitals caritative Argumente anführten: „Das Hospital sei bestimmt, der darbenden und leidenden Menschheit ein Obdach zu reichen, die Säule dagegen gewähre keinerlei praktischen Nutzen“, so der Stadtverordnete Klein. Noch deutlicher der Stadtverordnete Mülhens: „So lange die Stadt noch so viel Notwendiges bedürfe, solle man zu Überflüssigem nicht übergehen.“
Köln, Marienhospital 1870, © Archiv der Stiftung des Marienhospitals
Die Mehrheit des Gemeinderats fand schließlich eine kölsche Lösung, die auch die Frage des künftigen Standorts beider Projekte berücksichtigte sowie den von Kardinal Geissel unterstützten „Kompromissvorschlag“ des Kölner Marienvereins. Es sollte beides geben! Der die Mariensäule favorisierende Verein hatte vorgeschlagen, „zunächst die Mittel zu deren Errichtung auf einem öffentlichen Platz der Stadt Köln zu sammeln und sodann durch fortlaufende Monatsbeiträge eine nie versiegende Quelle zur Ausübung von Liebeswerken unter dem hohen Patronate der allerseligsten Jungfrau zu eröffnen.“ Sprich: Erst die Säule, dann mit dem, was noch an Geldern kommen mag, das Krankenhaus! Die Lösung des Gemeinderats bestand nun unter anderem darin, für die Mariensäule ausschließlich einen Standort in der Nähe einer kirchlichen Umgebung zu genehmigen, damit in der gemischt-konfessionellen Stadt nicht der Eindruck entstünde, das papistische Denkmal sei von der Gesamtbürgerschaft initiiert worden.
Köln Marienhospital, © CEphoto, Uwe Aranas, CC BY-SA 3.0
Für den Standort des Marienhospitals erkor man das Kunibertsviertel. Diese ebenfalls zugunsten einer „kirchlichen Umgebung“ gefällte Entscheidung entsprach zwar dem, was man in puncto Säule auch von den Marienstyliten erwartete; allerdings mit dem feinen Unterschied, dass die Mariensäule nächst dem Hauptgebäude der Kölner Kirchenhierarchie errichtet wurde, das Krankenhaus aber in Nachbarschaft zur Basis, neben einem nur noch als Pfarrkirche genutzten prächtigen und altehrwürdigen Gotteshaus. Zur praktischen Umsetzung der Idee eines zweiten Kölner Bürgerhospitals bildete sich im Frühjahr 1858 ein Vereins-Komitee, Vorgänger der heutigen Stiftung St. Marien-Hospital. 1864 konnte das Krankenhaus eingeweiht werden. Seine als Hausmadonna in einen Baldachin an der Fassade eingestellte Mariengestalt stammt von Dombildhauer Peter Fuchs, der bereits an der Mariensäule die typologischen Prophetengestalten im Sockelbereich ausführen konnte. Der ursprünglichen Funktion als einer Art Hospiz für mittellose unheilbare Kranke entsprechend hatte sich für das Krankenhaus in der Kölner Bevölkerung schnell die liebevoll-sarkastische Bezeichnung „et Duudespidölche“ eingestellt.
(Die im Text verwendeten Zitate stammen aus Claudia Tiggemann-Klein und Anselm Tiggemann: Das St. Marien-Hospital im Herzen Kölns, hg. von der Stiftung St. Marien-Hospital, Köln 2004, Ss. 9ff. und Eduard Trier: Die religiösen Denkmäler, in: Kunst des 19. Jahrhunderts im Rheinland, hg. von Eduard Trier und Willy Weyres, Bd. 4, Düsseldorf 1980, Ss. 177-212.)
Titelbild:
Köln, Dom, Südquerhaus, Gemälde der hl. Anna (Geschenk von Kardinal Meisner)
© Hohe Domkirche Köln, Dombauhütte; Foto: Matz und Schenk
8. Dezember 2020 || ein Beitrag des Kunsthistorikers und Germanisten Markus Juraschek-Eckstein