Nährvater Josef. Zum Namenstag des Heiligen am 19. März
Zwei Tage vor Passionssonntag eine Weihnachtsdarstellung? Ja, richtig! Denn es geht heute um den ersten modernen Mann in der Weltliteratur, den Vorsteher der bedeutendsten biblischen Patchworkfamilie. Es geht um Josef von Nazareth.
Von Josef ist in den Evangelien vornehmlich im Umkreis der Erzählungen um die Geburt Jesu die Rede. Einzige Ausnahme ist die Erzählung über den 12-jährigen Jesus im Tempel. Dass hernach an keiner weiteren Stelle der kanonischen Texte Josef auch nur erwähnt wird, hat man als Hinweis darauf gelesen, dass er deutlich älter als Maria gewesen – zumindest ein Mann in den besten Jahren – und noch vor dem öffentlichen Wirken des erwachsenen Jesus verstorben sei.(1) Getreu der Auffassung, dass heiliges Geschehen nicht Wiederkehr des Immergleichen, sondern Gleichzeitigkeit im Unzeitgleichen bedeute, darf also mitten in der Passionszeit des Anteils Josefs am weihnachtlichen Ereignis gedacht werden. Die Idee von der Sendung des Messias war ja ohnehin seit der Zeit der Propheten mit der Idee der Erlösung durch dessen Leiden verbunden. Insofern wurde die Geschichte von Jesu Geburt in Wort- und Bilderkunst schon immer mit Hinweisen auf die Passion versehen.
Matthäus und Lukas legen als typologische, also auf das Alte Testament rekurrierende Grundlage ihrer Erzählungen je eigene Versionen über den Stammbaum Jesu dar, welchen zufolge Josef als nun vorletztes Glied aus der Reihe seiner Vorväter seit Abraham respektive Adam über Isai, David, Salomon hervorgegangen sei. Da beide Evangelisten von der Geistzeugung, nicht von einer physischen Zeugung Jesu ausgehen, haben sie ein grundlegendes christologisches, mariologisches und in unserem Zusammenhang auch josefinisches Problem zu lösen. Wie kann Jesus der Messias selbst aus der Wurzel Jesse (Isai) und dem Hause Davids stammen, Josef also „Jesu Vater“ heißen (Joh 1,45), und dennoch nicht von diesem physisch abstammen?
Bei Matthäus lesen wir eine damals sicher provokante, uns Heutige aber als fortschrittlich und human erscheinende Erklärung. Josef, der Maria wegen ihrer außerehelichen und je nach Lesart zugleich vorehelichen Schwangerschaft „nicht bloßstellen wollte, beschloss, sich in aller Stille von ihr zu trennen.“ (Mt 1,19) Nachdem ihn aber ein Engel im Traum über die Geistzeugung Jesu informiert hatte, nahm Josef völlig gegen Sitte und Anstand seiner Zeit „seine Frau zu sich“. Er machte also das gesellschaftlich Unerlaubte kraft eines Gotteswortes – Engel sind Botschafter Gottes und heißen deshalb auch so – möglich und legitimierte es damit.(2)
Meister des Perikopenbuches Heinrichs II., Josefstraum, um 1010
Was Josef damit dem noch nicht geborenen Jesus zusagte, würde man im heutigen Sinne als Adoption bezeichnen. Zwar hatte der 12-jährige, als er während eines Pilgergangs nach Jerusalem für drei Tage in den Tempel ausgebüxt war, seinen Eltern unmissverständlich klargemacht, wer sein tatsächlicher Vater sei (Lk 2, 41-50). Aber das von Josef initiierte Verhältnis zum Sohn seiner Braut als Pflegevaterschaft zu bezeichnen, wäre zu wenig. Erinnern wir uns des „josefinischen Problems“, dem die Evangelisten Matthäus und Lukas gegenüberstanden, dann muss das Konstrukt einer nicht-physischen, aber vollwertigen Vaterschaft Josefs ja die volle Legitimation des Kindes als Sproß aus Isais und Davids Wurzel und Haus etc. ergeben. Das ging aber bereits in der Antike auch im juristischen Sinne nur durch Adoption.
Das für die Bilderkunst des Spätmittelalters ungemein ertragreiche, um 150 n.C. entstandene apokryphe Protevangelium nach Jakobus, welches sehr ausführlich von der Kindheit Mariens, also von vielen Ereignissen vor dem in den kanonischen Evangelien Berichteten erzählt, entgeht dem genealogischen Dilemma, indem es flugs Maria als aus dem Hause Davids stammend erklärt. Der damit einhergehenden enormen Aufwertung der Gottesmutter entspricht die Degradierung Josefs zum menschlich-allzumenschlich um seine gesellschaftliche Reputation ringenden „gehörnten“ Mann.(3) Zunächst nämlich will er Maria überhaupt nicht zu sich nehmen. Aufgrund ihrer direkten Abstammung von David, dem Vater Salomons, war Maria berechtigt, von ihren Eltern Anna und Joachim als Kleinkind zur Erziehung in den Tempel zu Jerusalem gegeben zu werden. Als nun Maria im Alter von 12 Jahren „unrein“ wurde, also in die Pubertät gekommen war, hatten die Priester sie des Tempels verweisen und einem judäischen Witwer in die Obhut geben wollen. Ein Losverfahren, ähnlich dem Aaronschen Stabwunder, entscheidet darüber, wer dieser verwitwete Bräutigam denn werden solle. Das Los fiel auf den Holzbauingenieur Josef (4), der daraufhin sich mit Nachdruck als Greis und Vater mehrerer erwachsener Söhne bezeichnend und aus Furcht vor dem Gespött der Leute diese Ehe nicht eingehen will. Doch Gottesurteil ist Gottesurteil und als solches auch zu fürchten! Josef willigt notgedrungen ein und nimmt die noch kindliche Maria zu sich.
Bernhard Strigel, Heilige Familie, circa 1505
Allerdings lässt er sie sogleich ein halbes Jahr als Strohwitwe zurück, um sein „Häuserbauen zu besorgen“. Das klingt so, als wolle er sich um keinen Preis mit der unerwünschten Situation arrangieren. Und dann, als er von der zeitlich doch recht ausgedehnten Montagereise wiederkehrt, findet er Maria schwanger. Der Schock streckt ihn wörtlich nieder. Er macht seiner kindlichen Gattin schwerste Vorwürfe, die er aber nicht auf sich münzt, sondern darauf, dass sie sich als im Tempel erzogene, gottgeweihte Jungfrau dem Höchsten gegenüber unwürdig gezeigt habe.
Auch im Protevangelium ist es schließlich ein Engelstraum, der Josef von der Geistzeugung dessen, „was Maria unter dem Herzen trägt“ überzeugt. Für Josef ist damit die Sache erledigt, aber nun verlangen die Tempelpriester Aufklärung über die Schwangerschaft. Die von ihnen gestiftete Josefsehe verlangte nämlich beiderseitige Keuschheit dieses Paars. Ein weiteres Gottesurteil in Gestalt der Einnahme eines „Fluchwassers“ soll Josefs und Marias Sünden „in den Augen offenbaren“. Das Ergebnis fällt in dubio pro reo aus: Die Probe erweist weder Schuld noch Unschuld der Angeklagten, also kann hier auch nicht weltlich gerichtet werden.
Conrad von Soest: Geburt Christi, um 1420
Es waren wohl die ausgesprochen lebensweltlichen Passagen des Protevangeliums, die Josef zum Vorbild eines alltagstauglichen Mannes und Familienvaters(5) und ihn damit so wirkmächtig auch in der Bilderkunst werden ließen. Im Protevangelium findet Josef eine bergende Höhle für die bevorstehende Niederkunft seiner Frau.(6) Und es ist Josef, der nach einer „Wehmutter“, also einer Hebamme für die Gebärende sucht und für diese Zeit einen seiner erwachsenen Söhne zur Sorge bei der Kreißenden lässt. Von dieser Erzählung aus war es nur ein kleiner Schritt für die Bilderkunst des Spätmittelalters, welche sich sehr für psychologische und erzählerische Details interessierte, dass sie Josef in den Geburtsszenen einen stärkenden Brei für die Wöchnerin kochen (wie in Conrad von Soests Bild) oder Wasser holen und sieden, um damit Windeln zu waschen, oder ein Feuer entfachen ließ, damit sich Mutter und Kind daran erwärmen.
Doch damit nicht genug. Josef, der an der Werkbank für den Unterhalt der Heiligen Familie sorgt, der Jesus in die Lehre nimmt, Josef als der mahnende und ernste Erzieher … all diese und mehr Motive rücken uns Josef näher als viele andere der biblischen Gestalten. Zum Motiv des besorgten Vaters bot ein anderer apokrypher Text ausreichend Anlass.
Ernst Zimmermann: Josef mit dem kleinen Jesus, 1899; aus dem 1931 zerstörten Münchener Glaspalast 1899
Das vermutlich Ende des 2. Jahrhunderts entstandene Kindheitsevangelium nach Thomas (KThom) erzählt von den frühen Jahren Jesu im Hause Nazareth. Das Bild, das hier von dem Knaben gezeichnet wird, ist nach heutigem Verständnis eher das eines verstörend schwer, ja unerziehbaren Kleinkindes. Systembrecher! Da hilft Jesus seinem Vater bei der Aussaat und in der Werkstatt und kann auf wundersame Weise alles besser. Da erfahren wir, wie dieser harte Knochen und schon immer Herr über Leben und Tod zur Schande seines Vaters am heiligen Sabbath Vögel aus Lehm knetet und lebendig werden lässt.(7) Bereits als Fünfjähriger lässt Jesus Verstorbene wieder auferstehen und bringt mehrfach Gleichaltrige aus nichtigem Anlass oder einen seiner Lehrer, weil er die trinitarische Gestalt des Buchstaben A nicht zu erkennen weiß, ums Leben. Jesus, der tötet oder leben lässt, wie es ihm gerade so in den eschatologischen Kram passt!
Im doppelten Sinn versöhnlich stimmt im Kindheitsevangelium die Stelle, in welcher Josef pädagogisch korrekt ob des seine Umwelt verängstigenden Knaben Stubenarrest über den massiv verhaltensauffälligen Spross verfügt: „Dass du ihn mir nicht aus dem Hause lässt, weil alle sterben, die ihn erzürnen“, gebietet er Maria, der Mutter, nachdem Jesus seinen zweiten Lehrer niedergeschlagen hatte.
1) Das Greisenalter Josefs zu Eingang der Ehe mit Maria findet sich im, allerdings apokryphen sogenannten Protevangelium nach Jakobus (PrJak) bestätigt.
2) Über die Stelle in Mt 1,25: „Er erkannte sie aber nicht, bis sie ihren Sohn gebar“, hat die kirchliche Hagiologie aus Josef den „defensor virginitatis Mariae“, also den Verteidiger der Jungfräulichkeit Mariens gemacht. Die Charakterisierung setzt voraus, dass Josef auch fürderhin Maria „nicht erkannt“ habe. So konnte Josef allgemein zum Vorbild der Keuschheit werden – „Josefsehe“ meint genau dies – und er damit unter anderem zum Patron der Ordensleute.
3) Das Protevangelium nach Jakobus speist sich aus zwei unabhängig voneinander entstandenen Quelltexten. Im 18. Kapitel tritt Josef unvermittelt und entgegen dem ersten Textteil als Ich-Erzähler auf und mutiert zum prophetischen Seher. Da die formalen und narrativen Beliebigkeiten, die dem Redakteur des Protevangeliums bei der Zusammenführung der beiden Quellen unterliefen, mehr Verwirrung als Verständnis über die Figur des Josef erzeugen, sollen diese Motive nicht weiter betrachtet werden.
4) Das griechische Wort in den Originaltexten lautet τέκτων (téktôn), Bauhandwerker, Baumeister, Architekt. Der Beruf Josefs wird deshalb meist mit Zimmermann bezeichnet.
5) Seit 1955 wird in der katholischen Kirche am 1. Mai der Gedenktag des Heiligen Josef des Arbeiters begangen. Schon in der vorangehenden Tradition wurde Josef als Patron der Arbeiter, insbesondere der Zimmerleute und Holzfäller, der Jungfrauen und der Eheleute gefeiert.
6) Die unter Konstantin dem Großen gegründete Geburtskirche in Bethlehem, einer der Urbauten des Christentums, wurde über einer Grotte, nicht über den Ruinen eines Stalles erbaut!
7) Ein beliebtes Motiv der Bilderkunst seit dem 13. Jahrhundert: Jesus auf dem Arm oder Schoß seiner Mutter sitzend und mit einem Vogel in der Hand.
Alle Abbildungen sind gemeinfrei.
19. März 2021 || ein Beitrag von Markus Juraschek-Eckstein, Kunsthistoriker und Germanist